„Der schwere Weg“

„Der schwere Weg“

Mit dem Rollenspiel „Deus Ex“ hat Warren Spector die Spielelandschaft für immer verändert. GEE traf den Texaner in London und sprach mit ihm über sein neues Disney-Projekt „Epic Mickey“, Game-Design als Selbsttherapie und seine Vergangenheit als Videospieljournalist

Sie haben Anfang der achtziger Jahre als Redakteur für das Spielemagazin „Space Gamer“ geschrieben. Was würde der Videospieljournalist von damals den Videospielproduzenten von heute als Erstes fragen?

Warren Spector: Wir haben uns beim „Space Gamer“ damals sehr ernst genommen. Ich würde den Warren Spector von heute daher fragen, ob er eine Designphilosophie hat. Und ob er der Auffassung ist, dass Spiele wirklich wichtig sind.

Und was würden Sie antworten?

Meine Antwort wäre: Ja, Spiele sind wichtig. Und: Ja, ich habe eine Designphilosophie. Als Spielentwickler möchte ich den kreativen Prozess mit dem Spieler teilen. Das ist das Schöne an meinem Beruf: Ich kann Spieler zu Schöpfern machen. Allein dadurch, dass sie mein Spiel spielen, werden sie zu kreativen Menschen. Das unterscheidet Spiele von allen anderen Medien und macht sie in vielerlei Hinsicht zu einem besseren Medium. Die Philosophie, die jedem meiner Spiele zugrunde liegt, lautet: Die Art und Weise, wie der Spieler mit dem Spiel umgeht, ist von größter Bedeutung.

Bevor Sie als Videospieljournalist arbeiteten, wollten Sie Filmkritiker werden. Warum hat es Sie zu der Zeit mehr gereizt, über Dinge zu schreiben, als sie entstehen zu lassen?

Ich habe in meiner Jugend sehr viel mit Super-8 gedreht: kleine Stop-Motion-Trickfilme, aber auch Filme mit richtigen Schauspielern. An der Uni habe ich dann Film und Journalismus parallel studiert und zu meiner Enttäuschung feststellen müssen, dass es bereits viele Leute gab, die bessere Sachen drehten als ich. Das hat meiner Begeisterung für das Kino keinen Abbruch getan. Ich liebe Filme und die Art, wie sie funktionieren, auch heute noch. Ich habe nur irgendwann aufgehört, mich als Filme-macher zu versuchen, und mich stattdessen darauf beschränkt zu analysieren, wie Filme Geschichten erzählen und Bedeutung erzeugen.

Erzählen Sie uns von einem Ihrer Filme.

Der Held einer meiner Zeichentrickfilme hieß Charlie the Dot: ein kleiner, hüpfender Ball auf spindeldürren Beinen, der sich immer wieder in Schwierigkeiten brachte. Wenn ich es mir recht überlege: Ich sollte ein Videospiel mit ihm in der Hauptrolle programmieren. Seltsam, dass ich daran noch nicht gedacht habe.

Trotz Ihrer gescheiterten Karriere als Regisseur sind Sie als Videospieldesigner dann doch auf der kreativen Seite gelandet.

Ich war schon immer besessen von Spielen. Ich habe Brettspiele geliebt und Rollenspiele aller Art. Ständig war ich dabei, mir neue Regeln auszudenken. Das Schöne ist: In Videospielen kann ich meine Leidenschaft für Gesellschaftsspiele verbinden mit den Erfahrungen, die ich mit den dramaturgischen Möglichkeiten des Films gesammelt habe. Auf diese Weise fordert mein Beruf mehrere Bereiche meines Gehirns und nicht nur einen einzigen.

Was bewegt Sie heutzutage sonst noch dazu, Videospiele zu entwickeln?

Sicherlich nicht die Bezahlung. Es gibt sehr viele Entwickler, die mehr Geld verdienen als ich. Oft genug haue ich mit dem Kopf gegen die Wand und frage mich: Warum muss ich immer den schweren Weg gehen? Produzenten sagen oft zu mir: „Entwickle doch einfach einen Shooter oder ein Jump’n’Run.“ Aber das kann ich nicht. Ich möchte, dass meine Spiele mehr sind als nur eine weitere Möglichkeit, die Zeit totzuschlagen. Sie sollen den Spieler dazu bringen, über die Welt nachzudenken. Das gilt auch für „Epic Mickey“, das Wii-Spiel über Micky Maus, das ich gerade für Disney entwickle. Natürlich soll es dem Spieler Spaß machen. Aber es wäre schön, wenn er danach etwas über sich selbst herausgefunden hätte. Etwas, das ihm vorher nicht bewusst gewesen ist. Zum Beispiel, dass er netter zu seinen Freunden sein oder sich mehr um seine Familie kümmern sollte. In einem Spiel kann ich ihm zeigen, was geschieht, wenn er sich anders verhält.

Sie haben in Ihrer Jugend selbst Animations-filme erstellt und arbeiten jetzt an einem Spiel über Micky Maus, die bekannteste Zeichentrickfigur der Welt. Was fasziniert Sie an gezeichneten und überzeichneten Figuren?

Mal abgesehen davon, dass ich als Kind so viele Cartoons geschaut habe, dass sich meine Mutter ernsthaft Sorgen um meinen Geisteszustand gemacht hat, finde ich: Gelungene Animationsfilme haben sowohl für Kinder als auch für Erwachsene etwas zu bieten – und es gelingt eher selten, dass ein Werk auf Jung und Alt gleichermaßen anziehend wirkt. Cartoons funktionieren nämlich auf verschiedenen Ebenen. Außerdem experimentieren sie häufiger als Spielfilme mit den Möglichkeiten des Mediums. Zum Beispiel damit, wie Geräusche und Schnitt im Film funktionieren.

Ist Micky Maus Ihre Lieblingsfigur aus dem Disney-Universum?

Ich würde sagen, er steht auf Platz zwei oder drei. Meine Nummer eins ist Onkel Dagobert. Der Kerl hat wirklich Charakter. Ich hoffe, dass ich irgendwann die Gelegenheit dazu haben werde, ein Dagobert-Duck-Spiel zu produzieren. An Micky selbst wiederum fasziniert mich seine Wandlungsfähigkeit. Diese Figur wurde von Disney wieder und wieder neu erfunden. Der Micky aus dem ersten Film „Steamboat Willie“ verfügt über ganz andere Fähigkeiten und eine ganz andere Persönlichkeit als der Micky im Zauberlehrling-Segment aus „Fantasia“ oder der Micky mit Schulterpolstern aus den achtziger Jahren. Das Bemerkenswerte ist aber, dass Mi-cky durch all diese Veränderungen hindurch für unsere Kultur relevant geblieben ist. Das hat bisher keine andere Cartoonfigur geschafft. Ich versuche nun, die nächste, für unsere Zeit relevante Version von Micky zu erfinden.

Fühlen Sie sich durch den hohen Bekanntheitsgrad von Micky Maus eingeschüchtert?

Nein, im Gegenteil: Ich finde es wunderbar, an etwas mitzuwirken, das viel größer ist, als ich selbst es je sein könnte. Selbst wenn ich mit „Epic Mickey“ scheitern sollte, wäre ich immer noch eine Fußnote in der Geschichte von Disney. Meine eigene Firma Ion Storm in Austin hat gerade mal ein halbes Jahrzehnt überlebt, den Walt-Disney-Konzern hingegen gibt es bereits seit 1923. Wenn man über das Gelände der Disney-Studios geht, atmet man Geschichte. Das ist magisch. Und mit dieser Geschichte verbunden zu sein bedeutet mir sehr viel.

Sie haben anlässlich der Enthüllung von „Epic Mickey“ gesagt, dass Sie Micky wieder cool sein lassen wollen. Welche bisherige Version von Micky fanden Sie denn am coolsten?

Ich bin mir sicher, dass es Menschen gibt, die den Micky aus den Sechzigern oder aus den achtziger Jahren für den coolsten halten. Mein Ding ist das nicht. Der Micky aus der Zeit zwischen 1928 und 1934 hat einfach jeden angesprochen. Damals war er der größte Kinostar der Welt. Er war beliebter und bekannter als jeder Hollywoodschauspieler. Das nenne ich cool. Ich möchte dazu beitragen, dass er diesen Stellenwert zurückerlangt und er nicht mehr nur für Kinder unter acht Jahren interessant ist.

Sie haben in Ihren Games – allen voran „Deus Ex“ – gezeigt, dass neben der Action auch andere Aspekte an einem Videospiel interessant sein können: Gespräche mit Figuren aus der Spielwelt führen, moralische Entscheidungen fällen, sich in Computersysteme hacken … aber leben Disney-Cartoons nicht vor allem von ihrer Action?

Es stimmt zwar, dass Walt Disney seine Autoren zeitweise pro Gag bezahlt hat, was zur Folge hatte, dass die Filme oft nur aus einer Aneinanderreihung dieser Gags bestanden. Aber in den dreißiger und vierziger Jahren gab es Filme wie „Micky, Donald und Goofy im Märchenland“, die sehr gute Geschichten erzählt haben. Micky war in ihnen der strahlende Held. Auch darf man all die Comics nicht vergessen, in denen Micky als Abenteurer unterwegs ist. Durch „Epic Mickey“ sollen sich die Menschen an diesen Micky zurückerinnern.

Abgesehen von der Neigung, heldenhaft zu sein: Über welche Charaktereigenschaften verfügt Micky Maus überhaupt?

Das zu beurteilen, würde ich gerne dem Spieler überlassen. Es wird ihm in „Epic Mickey“ vollkommen frei stehen, ob er lieber den Micky aus den zwanziger und dreißiger Jahren spielt, der ständig etwas im Schilde führt, den stets freundlichen und hilfsbereiten Kerl aus der jüngeren Vergangenheit, oder vielleicht doch den abenteuerlustigen Draufgänger aus der mittleren Phase, der tut, was er tun muss, um an sein Ziel zu gelangen. Sicherlich gibt es bei Disney genug Leute, die Micky mit einer sehr spezifischen Persönlichkeit ausstatten wollen. Aber ich will und kann das nicht. Würde ich das versuchen, wäre „Epic Mickey“ von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da Micky jeden von uns auf ganz unterschiedliche Art und Weise berührt. Das ist nicht einfach nur eine Puppe, die der Spieler durch das Spiel steuert. Das ist seine ganz eigene Persönlichkeit.

Mit „Epic Mickey“ lernen wir also die fröhliche und verspielte Seite von Warren Spector kennen, während wir bisher in Ihren Spielen eher Ihre dunkle, dystopische Weltsicht er-leben durften. Was Sie an Cartoons begeistert, wissen wir nun – woher aber stammt Ihr Hang zu Verschwörungstheorien und Weltuntergangsstimmung?

Manchmal glaube ich, dass meine Karriere eine einzige Therapiesitzung ist. Viel tiefer möchte ich da lieber nicht nachbohren. Ich halte meine früheren Spiele aber auch gar nicht für so finster. Was in ihnen zum Ausdruck kommt, ist meine Haltung als moralischer Relativist. Ich glaube nicht an Gut und Böse. In „Deus Ex“ wollte ich ein plausibles Bild einer möglichen Zukunft zeichnen und den Spieler entscheiden lassen, was er davon hält. Es geht mir niemals darum, Menschen etwas zu mitzuteilen. Stattdessen möchte ich Fragen aufwerfen: Stünden wir besser da ohne all diese von Großkonzernen kontrollierte Hochtechnologie, die uns umgibt? Ist weltumspannender Frieden es wert, dass wir persönliche Freiheiten für ihn aufgeben?

Und dieser moralische Relativismus, von dem Sie sprechen: Hatte die Disney-Company damit keine Probleme?

Ich habe den Leuten von Disney gleich am ersten Tag gesagt: „Ich mache die Spiele, die ich machen will. Auch gibt es für mich keine festgeschriebenen Budgets oder Zeitpläne. Wenn euch das nicht gefällt, kommen wir nicht zusammen. Wir können Freunde sein, aber keine Geschäftspartner.“ Sie hatten keine Probleme damit, meine Bedingungen zu akzeptieren. Warren Evan Spector, 54, wollte ursprünglich Filmkritiker werden. Seine Liebe zu Pen-&-Paper-Rollenspielen und ein Job als Redakteur beim Videospielmagazin „Space Gamer“ brachten ihn jedoch auf die Idee, sich als Gamedesigner zu versuchen. Für zwei US-Firmen entwickelte er klassische, am Küchentisch gespielte Rollenspiele wie „Toon: The Cartoon Roleplaying Game“ und „Top Secret / S.I.“. Danach produzierte er für den Videospiel-Entwickler Looking Glass mehrere Teile der „Ultima“-Reihe und den Klassiker „System Shock“. 1997 gründete Spector einen Ableger des Studios Ion Storm und landete mit „Deus Ex“ und dem Nachfolger „Deus Ex: Invisible War“ zwei Hits. Nachdem er Ion Storm verlassen hatte, gründete er die Junction Point Studios, die er 2007 an Disney verkaufte. Spector lebt mit seiner Frau in Austin, Texas, liebt Basketball und ist Gitarrist der Band „Two-Headed Baby“. Hin und wieder bloggt Warren Spector auf junctionpoint.wordpress.com
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von Oliver Klatt / Dezember 12th, 2009 /

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