Auf gut Glück

Auf gut Glück

Ob als Minispiel im Videogame, in der Ecke einer Kneipe oder reihenweise in Spielhallen: Geldspielgeräte faszinieren ungemein viele Menschen. Wir wollten wissen, warum Mit blinkenden Lichtern buhlt der Kasten an der Wand um Aufmerksamkeit. Und tatsächlich schafft er es mit dieser billigen Tour, einen Gast in der Kneipe anzumachen. Zwei Euro schmeißt dieser in das Gerät, woraufhin sich drei mit bunten Symbolen bedruckte Walzen zu drehen beginnen. Wenige Sekunden später stoppen sie bei Krone-Kirsche-Sieben. Das war wohl nichts. 20 Cent werden von dem in roten Zahlen angezeigten Guthaben abgezogen – und schon drehen sich die Walzen erneut. Einen Einfluss scheint das Drücken der roten Stopp-Taste nicht auf den Ausgang des Spiels zu haben. Dennoch kommt es immer wieder zu Gewinnkombinationen, die den Automaten wild blinken lassen, das Guthaben aufstocken oder ein Spiel auf der Risikoleiter ermöglichen. „Doppelt oder nichts“ heißt es dann, im immer schnellerem Rhythmus leuchten Zahlen auf, es gilt sie mit der Risiko-Taste im richtigen Moment zu stoppen. Währenddessen leuchten die Augen des Spielers so hell wie die Lämpchen des Automaten. Und das soll Spaß machen? Warum sollte jemand in weniger als einer Stunde so viel Geld ausgeben wie für ein Videospiel, an dem er zehn Stunden oder länger sitzt, bis er es durchgespielt hat? Nur weil er vielleicht das Zehnfache gewinnen kann? Nicht nur. Es geht um den Nervenkitzel, immer mehr aus dem Einsatz herausschlagen zu können. „Ob der Spieler gewinnt oder nicht, ist zwar dem Zufall überlassen“, sagt Christopher Röricht, Marketingleiter beim Automatenhersteller Löwen -Entertainment – „aber er kann selbst entscheiden, ob er einen Gewinn annimmt oder versucht, ihn zu verdoppeln. Er kann wählen, wie viel Geld er pro Spiel einsetzt. Ob er aus zehn gewonnenen Euro fünf Spiele à zwei Euro macht oder zig Spiele à 20 Cent.“ Spielspaß am Geldspielautomaten entsteht also weniger durch das Gameplay selbst, sondern vor allem dadurch, dass der Spieler etwas riskiert – und seien es auch nur 20 Cent. Un-überschaubar sind daher auch die Möglichkeiten, an den Automaten gewonnenes Geld einzusetzen, aufzuteilen oder hochzutreiben. Sonderausspielungen, Ultraspiele oder „Top Risc“-Boni versuchen den Spieler dazu zu bringen, das Risiko zu erhöhen. „Psychologische Betrugsmaschinen“, nennt Detlef Kress die Geldspielautomaten. Er betreut beim Verein „Aktive Suchthilfe“ in Hamburg Menschen, für die das Spielen an den Automaten zum Problem geworden ist. Pathologische Spieler, die nicht mehr davon lassen können, weil sie süchtig danach sind. Kress kann daher genau beschreiben, was die Automaten so faszinierend macht: „Diese Automaten erzeugen eine ganz besonders dichte Spielerfahrung“, sagt er, „sekundenschnell folgt ein Spiel auf das andere. Die Geräte lassen dem Spieler keine Zeit zu reflektieren, was er da eigentlich gerade macht, und jeder neue Geldeinsatz verursacht ein weiteres Kribbeln.“ Das hat zur Folge, dass die Automaten eine geradezu betäubende Wirkung entfalten können. Niemand denkt beim Spielen an den Streit mit seiner Frau oder andere Probleme. Auch durch häufige Fast-Gewinne bleibt der Spieler in ständiger -Erregung: Er schmeißt immer wieder Münzen nach, denn der große Gewinn scheint stets zum Greifen nah. „Wer Pech hat, gewinnt am Anfang“, sagt Kress, „denn das gibt den Spielern ein besonderes euphorisierendes Gefühl, das sie in der Folge immer wieder suchen“. Allzu leicht denken einige Spieler auch, dass sie den Automaten durchschaut haben. Sie glauben zu wissen, wie sie ihm das Geld entlocken – und selbst nachdem sie alles verloren haben, treibt sie das eher wieder zu den Automaten hin als von ihnen weg. „Der Ausschlag der Erregung ist entscheidend“, sagt Kress, „dabei ist es egal, ob es sich um positive oder negative Spitzen handelt.“

Gewinne nach Gesetz

Die Problematik der Spielsucht ist seit vielen Jahren bekannt. Zum Schutz der Allgemeinheit und der Spieler im Speziellen gibt es daher seit 1962 eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erlassene „Spielverordnung“. Zuletzt wurde sie 2006 überarbeitet. In dem 70-seitigen Regelwerk sind alle gesetzlichen Vorgaben bis ins kleinste Detail beschrieben: in welchen Räumen wie viele Geldspielgeräte aufgestellt werden dürfen und welche Gewinn- und Verlustmöglichkeiten es zu geben hat. Die Zeit/Geld-Ratio ist genau festgelegt: Aktuell darf in Deutschland der Verlust an einem Automaten pro Stunde maximal 80 Euro betragen, der Gewinn höchstens 500 Euro. „Es gibt wohl keine andere Branche in Deutschland, die dermaßen stark reglementiert ist“, sagt Dirk Lamprecht, Geschäftsführer der die Industrie nach außen vertretenden Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbH. „Wir sehen diese Verordnung nicht als Problem“, stellt er klar. „Die bestehende Gesetzgebung hat sich bewährt. Und wir haben kein Interesse daran, dass sie geändert wird.“ Das Geschäft geht schließlich auch so gut: 220000 Geldspielgeräte seien hierzulande aufgestellt, schätzt Lamprecht – Tendenz steigend. Für Klaus Doderer, der bei Löwen Entertainment in der Entwicklungsabteilung tätig ist, bedeutet die Spielverordnung vor allem eine Menge Rechenarbeit. „In jedem Gerät gibt es einen Chip, der während des Spiels ständig überprüft, ob theoretisch die Möglichkeit besteht, dass eine gesetzliche Grenze verletzt wird“, erklärt Doderer – „und der würde das Gerät gegebenenfalls in einen Pausenmodus versetzen.“ Der Automat nimmt dann kein weiteres Geld mehr an und stellt den Betrieb so lang wie nötig ein. Um die entsprechende Systemsoftware zu entwickeln, simuliert der Mathematiker den Betrieb neuer Automaten erst einmal am Computer. Auch über Glück oder Pech entscheidet keine Mechanik mehr, sondern ein Programm: Nachdem dieses eine Zufallskombination generiert hat – beispielsweise „Krone-Kirsche-Sieben“ – werden die Walzen der Maschine nur noch dementsprechend gestoppt. Dass dabei alles mit rechten Dingen zugeht und die Spielverordnung eingehalten wird, überprüft die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Berlin. Nur mit ihrer Zulassungsplakette dürfen Geldspielgeräte in Deutschland überhaupt aufgestellt werden. 60 bis 80 neue Gerätevarianten testen Dieter Richter und sein Team pro Jahr. „Die Entwickler sind sehr kreativ bei der Suche nach neuen Möglichkeiten, den Spieler dazu zu bringen, sein Guthaben zu riskieren“, sagt er, „und manche wagen sich auch absichtlich besonders nah an die zulässigen Grenzen heran“. Im Ernstfall muss die Zulassung -daher verweigert werden. Mal wegen unabsichtlicher Fehler, manchmal auch -wegen all zu lockerer Auslegung der Gesetzestexte. -Neben der korrekten Funktionsweise überprüft die PTB auch, ob die Geräte sicher gegen Manipulationen von außen sind. Gegen Aufbrechen mit roher Gewalt oder das Austricksen der Münzprüftechnik zum Beispiel. Es gibt sogar Software, die sich selbst zerstört, wenn das Gehäuse angebohrt wird, weiß Richter. Warum immer mehr Menschen an solchen Geräten ihr Glück herausfordern, weiß Richter nicht. „Wir wundern uns selbst manchmal, wenn ein Automat später besonders erfolgreich ist“, sagt er, „dafür fehlt uns wohl das Gespür. Unter unseren Technikern gibt es niemanden mit einer Affinität zu diesen Spielen, das ist eine rein technische Betrachtung der Materie.“

Die Glücksmelodie

„Oft entscheidet der erste Eindruck des Spielers über den Erfolg eines Geräts“, sagt Entwickler Klaus Doderer – und der muss es wissen. Denn sein Team entwirft auch die Grafiken für die Gerätefronten sowie die einprägsamen Sounds und Gewinnmelodien. Und genau diese Elemente werden manchen Menschen zum Verhängnis: „Da wir mit allen Sinnen wahrnehmen, wird die betäubende Wirkung durch bunte Lichter und Gewinnmelodien noch verstärkt“, sagt Suchtberater Kress. „Ich habe hier Leute erlebt, die haben Schweißausbrüche bekommen, wenn sie die Geräte nur gehört haben.“ Der Übergang zur Sucht verlaufe schleichend, „und irgendwann können sie auf das gute Gefühl am Automaten nicht mehr verzichten.“ Im Extremfall ruinieren sich Spieler, belügen Familie und Freunde, werden kriminell und kommen ohne Hilfe nicht mehr vom Glücksspiel los. Ein Verbot von Geldspiel-automaten würde allerdings nach Ansicht des Hamburger Büros für Suchtprävention keine Abhilfe schaffen. Darum setzt man dort auf Präventivmaßnahmen und Aufklärung. Im Rahmen der Kampagne „Automatisch verloren“ liegen in Bars, Cafés und Restaurants Karten mit Kontaktadressen aus, um ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen. Die Automatenwirtschaft arbeitet derweil an den Geldspielgeräten der Zukunft. So haben die klassischen Modelle mit Walzen oder Scheiben heutzutage beinahe ausgedient. Die neuen Gerä-te heißen „Multigamer“ und bieten auf einem Touchscreen gleich mehrere Spielvarianten an. „Wer Tiere oder Natur mag, den können wir mit einem Spiel im Wald-Design beglücken“, freut sich Marketingleiter Röricht, „andere wählen je nach Vorliebe eines mit Mystery-Symbolen oder eines mit Delfinen.“ Es ist also für jeden etwas dabei. Neben den typischen Walzenspielen gibt es auf modernen Automaten nun auch Roulette oder Kartenspiele wie Poker. Optisch nähern sich Geldspielgeräte klassischen Videospiel-automaten an – die jedoch sind eine aussterbende Unterhaltungsgattung. „Ich habe früher auch oft Geld in einen ,Phoenix‘-Spielautomaten gesteckt“, sagt Löwen-Marketingleiter Röhrich, „da gab es nur einen Platz in der Highscore-Liste zu gewinnen. Aber so etwas lohnt sich heutzutage nicht mehr.“ Die Anschaffungspreise für die Geräte seien zu hoch, und es gäbe kaum noch Interesse auf Seiten der potenziellen Kunden – schließlich sei gleichwertiges Entertainment heute auch auf den Videospielkonsolen zu Hause möglich. „So ein Gerät muss sich durch das eingeworfene Geld amortisieren“, sagt er, „also hängen sich die Leute lieber einen Geldspielautomaten in die Kneipe.“ Und da werden sie wohl noch viele Jahre vor sich hin blinken und Gäste anlocken. Und deren klingende Münze.
Tags:
von Moses Grohé / Januar 26th, 2010 /

Comments are closed.