„Nur nicht vom Himmel fallen“
Casey Hudson hat die Weltraumsaga „Mass Effect 2“ erfunden, das neue Rollenspiel-Meisterstück von Bioware. Mit GEE spricht er nur über große Themen: über seine Liebe zum Fliegen, über Antimaterie und die gar nicht idyllische Zukunft der Menschheit
Sie sind der Kopf hinter Spielen wie „Star Wars: Knights Of The Old Republic“ und „Mass Effect 2“. Wenig ist jedoch über den Menschen Casey Hudson bekannt. Mögen Sie uns ein wenig von sich erzählen? Wofür schlägt Ihr Herz?
Casey Hudson: Meine Interessen waren schon immer breit gestreut. Ich interessiere mich seit meiner Kindheit für Kunst, und ich habe bereits während meiner Schulzeit damit begonnen, Spiele für den Commodore VC-20 zu programmieren, den Vorgänger des C64. Das muss 1983 gewesen sein. Nebenher nahm ich Klavier- und Gitarrenunterricht. An der Uni habe ich dann Maschinenbau studiert und wollte danach zum Militär, um eine Laufbahn als Kampfpilot zu beginnen. Meinen Flugschein habe ich im Alter von 17 Jahren gemacht. Aber auch das wäre nur ein weiterer Schritt gewesen auf dem Weg zu meinem größten Traum: Astronaut zu werden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie die Besatzung des zweiten Nasa-Spaceshuttle-Fluges meiner Heimatstadt Edmonton einen Besuch abgestattet hat, als ich sehr klein war. Meine Mutter hat mir bergeweise Bücher über die bemannte Raumfahrt gekauft, die ich gierig verschlungen habe. Ich habe den Mut der Astronauten immer sehr bewundert. Und ich wusste immer: Ich will unbedingt werden wie sie.
Was ist dazwischengekommen?
Ausgerechnet als ich mit der Universität fertig war und endlich Kampfpilot werden wollte, gab es bei der kanadischen Luftwaffe einen zweijährigen Einstellungsstopp. Das war hart, denn damit platzte mein Traum von der Raumfahrt, und ich musste mich anderweitig umsehen. Immerhin: Dem Fliegen bin ich treu geblieben.
Was für ein Flugzeug fliegen Sie?
Eine Diamond Star DA 40, eine Viersitzer-Propellermaschine aus Österreich.
Finden Sie Worte, um zu beschreiben, was Sie so ungemein am Fliegen fasziniert?
Ich glaube, ursprünglich waren Kinofilme wie „Top Gun“ schuld an meinem Entschluss, mich als Pilot zu versuchen – was übrigens gleichzeitig meine Leidenschaft für den Film gefördert hat. Ich wollte genau dasselbe erleben wie die Helden auf der Leinwand. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, ein Flugzeug zu steuern.
Und fühlt es sich so gut an, wie es auf der Kinoleinwand aussieht?
Besser. Es gibt dir ein Gefühl von Freiheit und nie gekannter Macht. Jemand hat das einmal als einen Zustand entspannter Konzentration beschrieben. Das trifft es genau. Denn einerseits ist es dort oben ungewohnt friedlich, andererseits musst du als Pilot ständig Zahlen, Winkel und Parameter im Auge behalten, damit du nur nicht vom Himmel fällst. Du fühlst dich von der Hektik des Alltags entbunden und bist zugleich Herausforderungen ausgesetzt, die dir der Alltag in dieser Intensität nie abverlangt. Nimm zum Beispiel die Kommunikation über Funk: Als Pilot musst du präzise Angaben an andere Piloten oder den Tower weitergeben. Während man uns im Alltag unüberlegtes Drauflosreden in der Regel verzeiht, kann so etwas im Luftraum verheerende Folgen nach sich ziehen.
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Pilot?
In meiner Kindheit habe ich mehrere Sommer in einer kleinen Stadt namens Jasper inmitten der Rocky Mountains verbracht. Nicht nur als Kind erscheinen einem die Berge dort riesig – sie sind es tatsächlich. Kürzlich habe ich mit meinem Flugzeug einige Runden über genau diesem Abschnitt der Rockys gedreht und festgestellt, dass jene Felsgiganten, von denen ich als Kind so beeindruckt war, von oben wie eine Spielzeuglandschaft aussehen. Das war interessant, denn es gab keinen Perspektivwechsel: Auch dieses Mal kam ich mir ganz klein vor. Ich habe mich gefühlt, als würde ich ein Modellflugzeug über dieser Miniaturlandschaft kreisen lassen – mit dem Unterschied, dass ich selbst im Cockpit saß.
Obwohl es mit der Karriere als Weltraumpilot nicht geklappt hat, können Sie mit Spielen wie „Mass Effect“ Millionen von Spielern ins All schicken. Ist das nicht ein kleiner Trost?
Es ist wunderbar. Meine Position als Project Director bei Bioware gibt mir die Möglichkeit, alle meine Interessen und Obsessionen in meine tägliche Arbeit einfließen zu lassen: filmische Aspekte wie Dramaturgie und Beleuchtung, Musik und meine Erfahrungen als Ingenieur, meine Begeisterung für die Raumfahrt und für entscheidungskritische Situationen. All das ist gefragt. Das Beste an meiner Arbeit am „Mass Effect“-Universum ist jedoch, dass ich meine eigene Vision einer potenziellen Zukunft entwickeln kann und nicht gezwungen bin, die Ideen von anderen umzusetzen.
Sprechen wir über diese Vision. Wie entstand die Idee zu „Mass Effect“?
Das Kernteam, das mit mir an den zwei ersten Teilen der „Mass Effect“-Trilogie gearbeitet hat, war bereits für die Entstehung von „Star Wars: Knights Of The Old Republic“ verantwortlich. Damals konnten wir es alle kaum fassen, ein „Star Wars“-Game produzieren zu dürfen. Als das Projekt beendet war, wollten wir uns mit einem neuen Spiel von den alten, ausgetretenen Science-Fiction-Pfaden entfernen. Das war uns ein Bedürfnis. Wir alle liebten Sci-Fi, und wir hatten damals das Gefühl, dass bestimmte Aspekte, die uns besonders am Herzen lagen, in Videospielen bisher ignoriert wurden.
Zum Beispiel?
Es gibt diese großartigen Gemälde aus den sechziger und siebziger Jahren, die häufig auf den Titeln alter Science-Fiction-Romane zu -sehen sind. Sie zeigen spektakuläre Land-schafts-panoramen fremder Planeten und eine Architektur, die durch und durch futuristisch ist. Man möchte einfach in diese Bilder hineinklettern und in ihnen leben. Auch gibt es dort all diese eleganten, majestätischen Raumschiffe. Wir wollten den Mut zur Größe und die stilistische Klarheit aus diesen Werken in die Welt von „Mass Effect“ übertragen. Zudem waren Filme wie „Alien“, „Blade Runner“ und auch „Star Trek II: Der Zorn des Khan“ eine große Inspiration für uns. Während Science-Fiction-Filme heutzutage durch schnelle Schnitte und ein hohes Erzähltempo geprägt sind, haben sich die Filme der späten Siebziger und frühen Achtziger die Zeit genommen, ihrem Zuschauer die Welt zu zeigen, wie sie in Zukunft aussehen könnte. Es gab lange Kamerafahrten über die Oberfläche fremder -Planeten oder durch das Innere gigantischer Asteroiden. Diese Filme ließen einen die unvorstellbare Größe des Weltalls spüren. Und das ist auch mein Ziel. Ich möchte Welten erschaffen, an die sich der Spieler später erinnert, als wäre er wirklich dort gewesen.
In klassischer Science-Fiction steht Science – die Wissenschaft – besonders im Vordergrund. Auf welche Fortschritte der Forschung innerhalb Ihres „Mass Effect“-Universums sind Sie besonders stolz?
Ohne Zweifel auf den Umgang mit dunkler Energie. Das Universum ist voller schwarzer Löcher, die ungeheure Energiemassen produzieren – jedoch weiß heute noch kein Mensch genau, wie und warum. In „Mass Effect“ haben wir dieses Phänomen eng mit der Erzählung verwoben: Antimaterie wird in unserer Welt als Mittel genutzt, um von einem Punkt im Universum zu einem anderen zu reisen, der viele tausend Lichtjahre entfernt liegt. Und wer weiß: Vielleicht ist die Menschheit eines Tages tatsächlich dazu in der Lage, dunkle Energie physikalisch zu erklären und für sich nutzbar zu machen.
Abgesehen von kosmischer Weite und futuristischer Schönheit wagen sich Ihre beiden „Mass Effect“-Spiele an thematisch heiße Eisen wie Gentechnik, Überbevölkerung oder die Notwendigkeit und das Versagen der Diplomatie. Zudem muss der Spieler als Commander Shepard immer wieder unbequeme Entscheidungen treffen, die weit reichende Konsequenzen nach sich ziehen. Hatten Sie nie Angst davor, Spieler zu verschrecken?
Wir wollen niemanden provozieren. Aber wir wollen zeigen, dass es Entscheidungen gibt, die gefällt werden müssen, obwohl sie niemandem leicht fallen. Commander Shepard hat dasselbe Problem wie jeder Mensch, der Gutes tun will: Ob die gewählten Mittel zum Ziel die richtigen sind, stellt sich oft erst im Nachhinein heraus. Auch wollten wir die Frage stellen, wie viel unsere moralischen Werte eigentlich wert sind, wenn sie uns nicht davor bewahren, sie ständig wie Vorurteile vor uns herzutragen. Versinnbildlicht wird dieses Problem durch die Figur Project Zero in „Mass Effect 2“: Durch ihre aggressive Art, ihre Glatze, ihre Tattoos und ihr gesamtes Erscheinungsbild wirkt sie auf die anderen Figuren und womöglich auch auf einige Spieler zunächst abstoßend. Erst als sie im weiteren Handlungsverlauf immer mehr von ihrer Vergangenheit und ihrer Persönlichkeit offen-bart, lernen wir sie kennen und womöglich schätzen. Der erste Eindruck, den wir von einem anderen Menschen haben, ist von unserer eigenen Wahrnehmung bestimmt und wird dem Gegenüber meistens nicht gerecht. Mein Team und ich waren uns von Anfang an einig, dass wir ein Spiel produzieren wollten, das sich an erwachsene Spieler richtet und sich mit Problemen wie den eben genannten auseinandersetzt.
Gibt es auch Probleme, die sich gerade deshalb gut in „Mass Effect“ verdeutlichen lassen, weil es ein Science-Fiction-Spiel ist?
Ich finde den Konflikt zwischen Mensch und Maschine, den wir an mehreren Stellen aufgreifen, äußerst spannend. Die Frage, ob es in der Zukunft möglich sein wird, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen, die Selbstbewusstsein entwickelt, halte ich für sehr interessant. Wie würden wir mit ihr umgehen? Und sie mit uns? Zudem zeigen wir in „Mass Effect“, was passieren kann, wenn Mensch und Maschine verschmelzen. Meiner Meinung nach sind wir gar nicht mehr so weit von dieser Entwicklung entfernt. Jeder von uns trägt den ganzen Tag ein Mobiltelefon mit sich herum. Es ist aufgrund all seiner Funktionen, die wir ständig in Anspruch nehmen, schon beinahe zu einem unverzichtbaren Teil unseres Körpers geworden.
Was denken Sie darüber?
Es macht mir ein wenig Angst. Wir haben alle so sehr darauf geachtet, dass George Orwells Vision vom Überwachungsstaat aus seinem Roman „1984“ nicht Wirklichkeit wird – und währenddessen haben wir übersehen, wie jeder einzelne von uns Teil eines kollektiven Big Brothers geworden ist. Jeder überwacht jeden. Man kann kaum mehr vor die Tür gehen, ohne von der Kamera eines Handys aufgenommen zu werden.
Zeichnet „Mass Effect“ dennoch ein optimistisches Bild von unserer Zukunft?
Ich denke schon. Das soll jedoch nicht gleichbedeutend sein mit einer idyllischen Zukunft. Menschen, die sich in einer Idylle wähnen, schauen nicht genau genug hin. Die Wirklichkeit ist nie perfekt. Genau das wollen wir mit „Mass Effect“ ausdrücken: Die im galaktischen Rat vertretenen Alienrassen halten ihre Welt alle für perfekt. Und es ist die Rolle der neu in diese Gemeinschaft aufgenommenen Menschen, sie mit der Realität und den drohenden Gefahren zu konfrontieren. Commander Shepard ist Optimist, weil er die Wirklichkeit wahrnimmt, wie sie ist – und weil er die nötigen Schritte unternimmt, um sie zum Besseren zu verändern.
Casey Hudson, 36, lebt und arbeitet in Edmonton, Kanada. Auf die dort ansässigen Studios des Rollenspiel-Entwicklers Bioware wurde er durch einen Fernsehbeitrag aufmerksam. Da er bereits während seiner Schulzeit Spiele programmiert sowie den Millennium-Falken aus „Star Wars“, Rennautos und andere Gegenstände als dreidimensionale Modelle am Rechner nach-gebaut hatte, bewarb er sich als 3D-Artist und wurde sofort eingestellt. Seine erste Aufgabe bei Bioware war das Modellieren der Figuren in „Neverwinter Nights“ (2002). Schnell lernte er weitere Bereiche der Videospielproduktion kennen und entdeckte sein Talent, die Arbeit der Abteilungen – von Textern über Programmierer bis zu Grafikern – miteinander zu koordinieren. Als Bioware den Auftrag erhielt, „Star Wars: Knights Of The Old Republic“ zu produzieren, wurde Hudson die Leitung des Projekts übertragen. Seit dem Erfolg dieses Spiels im Jahre 2003 konzentriert er sich ganz auf die von ihm entwickelte Rollenspiel-Trilogie „Mass Effect“.
Casey Hudsons Meisterstücke
Knights Of The Old Republic (2003)
Das im „Star Wars“-Universum angesiedelte Rollenspiel war eine kleine Revolution. Denn es ließ dem Spieler zum ersten Mal die Wahl, ob er auf Seiten der Jedi-Ritter oder für die dunkle Seite der Macht kämpfen wollte.
Mass Effect (2007)
Im eigenen Raumschiff quer durch die Galaxie düsen, fremde Welten erforschen, mit Aliens quatschen, gegen böse Roboter kämpfen und nebenbei das Universum vor dem Untergang retten: Mit diesem Videospiel wurden Millionen Nerdträume wahr.
Mass Effect 2 (2010)
Das Sequel korrigierte einige Schwachpunkte bei der Grafik und den Gefechten und machte alles besser, größer, schöner. Und das Schönste: Entscheidungen, die der Spieler im ersten Teil getroffen hatte, haben Folgen für die Entwicklung der Story im zweiten Teil.
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