Game Over?

Game Over?

Ende der Goldgräberzeit: Die Wirtschaftskrise hat die Gamesindustrie voll im Griff. Umsätze sinken dramatisch, immer mehr Entwicklerstudios gehen vor die Hunde. Fieberhaft sucht die Branche jetzt nach einem Ausweg aus der Misere – denn sie weiß: Ihre ganze Zukunft steht auf dem Spiel Das Jahrtausend hatte so gut angefangen für die Spieleindustrie. Electronic Arts meldete Gewinn-steigerungen von mehr als 80 Prozent, Activision Blizzard verdiente in einem Jahr mehr als drei Milliarden Dollar, und Ubisoft freute sich über Wachstumsraten von fast 60 Prozent. Über das Internet wurden frische Vertriebswege erschlossen (Steam, Xbox live), es konnten neue und kaufkräftige Zielgruppen gewonnen werden (Nintendo DS und Wii). Es war die Dekade, in der die Branche erstmals mehr verdiente als Hollywood im Kino. Die Käufer kauften, die Investoren investierten. Bis plötzlich die Wirtschaftskrise weltweit Geld und Jobs vernichtete. Und auch da lächelte die Industrie noch. Warum sollte sie sich von ein paar unbezahlten Immobilienkrediten in den USA nervös machen lassen? Es kam anders, und es kam schlimm. Florian Zeller ist nervös. So nervös, dass er nicht mit richtigem Namen genannt werden möchte. Weil die Finanzkrise ihn seinen Job als Spieleentwickler gekostet hat und er sich gerade nach einem neuen Arbeitgeber umsieht – wie viele seiner Kollegen. Das Entwicklerstudio, für das Zeller noch vor Kurzem gearbeitet hat, hatte mehrere große und international beachtete Titel veröffentlicht. Eigentlich sah alles gut aus für das aufstrebende Team. Bis zum Mai vergangenen Jahres. „Da haben wir zum ersten Mal erfahren, dass unser Publisher in den USA in Not ist“, erinnert sich Zeller. Wenig später brechen dessen Finanzen zusammen. Er wird von einem anderen übernommen. Doch der weigert sich, offene Zahlungen zu begleichen – und neue Geldgeber zu finden, ist mit einem Mal praktisch unmöglich: „Die Investoren waren sehr vorsichtig“, sagt Zeller: „Sie haben sich jedes Projekt zehn Mal angeschaut und sich am Ende dagegen entschieden.“ Bis zuletzt hofft das Studio darauf, sein Geld noch zu bekommen, doch es kommt nicht. Zellers Arbeitgeber verklagt den Publisher. „Dann haben wir drei Monate kein Gehalt mehr erhalten und schon von zu Hause aus gearbeitet“, sagt Zeller. Dann: die Insolvenz. Es ist aus – jedenfalls für seine Firma. Den Publisher gibt es immer noch. Und das Geld ist noch immer nicht gezahlt worden, obwohl eine Reihe weiterer Klagen erhoben wurden. „Viele Studios sind dabei draufgegangen“, sagt Zeller, „und der Publisher macht weiter Umsatz.“ Die Wirtschaftskrise hat die Spielebranche mit Verzögerung erreicht – dann aber mit voller Wucht: Im vergangenen Jahr verzeichnete Ubisoft einen Umsatzrückgang von fast 200 Millionen Euro. Take-Two musste Verluste in zweistelliger Millionenhöhe verbuchen. Und der Umsatz von Electronic Arts blieb im verkaufsträchtigen Weihnachtsquartal sogar mehr als 400 Millionen Dollar hinter dem Vorjahr zurück. Der ehemalige Vorzeige-Publisher wurde besonders hart von der Krise getroffen. Bereits seit sechs Jahren hat EA mit Gewinnrückgängen und seit 2007 mit deutlichen Verlusten zu kämpfen. Um endlich wieder Profit zu erwirtschaften, hatte der Konzern einen radikalen Sparkurs eingeschlagen: Ende 2008 wurden mit einem Schlag rund tausend Mitarbeiter entlassen und eine Reihe von Spielprojekten liquidiert. Weitere Kündigungswellen folgten. Das Studio Pandemic („Saboteur“) wurde geschlossen. Ende vergangenen Jahres kündigte EA den Abbau von weiteren 1500 Stellen sowie den Abbruch von mehr als einem Dutzend weiterer Projekte an. Und der Publisher steht beileibe nicht alleine da. Überall werden Studios zugemacht und Mitarbeiter vor die Tür gesetzt: Radical Entertainment („Prototype“) hat die Hälfte seiner Belegschaft entlassen, bei Harmonix („Rock Band“) mussten 13 Prozent der Mitarbeiter gehen, die Blizzard-Tochter Red 5 hat 56 Mitarbeiter verloren. Red Octane („Guitar Hero“), Underground Development („Guitar Hero: Van Halen“) und Shaba Games („Spider-Man: Web Of Shadows“) gibt es nicht mehr. Sega entließ 560 Mitarbeiter, THQs europäisches Hauptquartier in Zürich wurde geschlossen, und Microsoft hat das für den Traditionstitel „Microsoft Flight Simulator“ zuständige ACES-Studio aufgelöst.

Der Druck wächst

Die fetten Jahre sind vorbei. Das bekommen auch jene zu spüren, die ihren Job noch nicht verloren haben. So fiel etwa auf der jüngsten Branchenmesse E3 auf, dass Publisher nicht einmal mehr ihren eigenen Mitarbeitern Catering stellten. Derweil wird die Lage für jene, die noch Arbeit haben, immer härter. In Internetforen kursieren Horrorberichte über Dumpinglöhne und andauernde Sieben-Tage-Wochen bei EA. Es wird von Arbeitszeiten berichtet, die von sechs Uhr früh bis neun Uhr abends gehen – ohne Essenspausen –, und von Entwicklern, die gleich mit dem Schlafsack zur Arbeit kommen. In einem offenen Brief haben kürzlich die Ehefrauen mehrerer Entwickler bei Rockstar San Diego sogar mit einer Klage gedroht, sollten sich die Arbeitsbedingungen nicht bessern: Die ständigen Überstunden ohne Freizeitausgleich, durchgearbeitete Wochenenden und cholerische Vorgesetzte würden die Angestellten in Depressionen und Selbstmordabsichten treiben. Die Gürtel werden überall enger geschnallt – so eng, dass so manchem fast die Luft wegbleibt. Doch jetzt zeigt sich immer deutlicher: Das alleine reicht nicht. In der Spieleindustrie wird sich etwas grundsätzlich ändern müssen. Nur: Was soll geschehen? Wo ist der Weg der Weltwirtschaftskrise? Und wer wird noch auf der Strecke bleiben? Das sind derzeit die größten Fragen. Alle Publisher suchen händeringend nach Antworten – und zwar in völlig verschiedenen Richtungen. Entwickler Florian Zeller vermutet, dass die meisten von ihnen sich in Konservatismus flüchten werden: „Von der Krise ist jeder betroffen – auch private Haushalte“, sagt er, „das heißt: Es wird derzeit kaum Geld für Spiele ausgegeben. Und wenn, dann kaufen sich die Leute nur noch Blockbuster.“ Es könnte also so kommen, dass in den kommenden Jahren noch mehr Fortsetzungen erfolgreicher Spiele entstehen. „AAA-Spiele“ heißen solche Games im Analystenjargon, „Triple-A“ steht für „drei Mal A“, und jedes „A“ steht für Verkaufspotenzial – nicht unbedingt für Qualität. „Der sicherste Platz ist im Triple-A-Bereich“, hat Take-Twos Vorstandschef Strauss Zelnick kürzlich verkündet und damit auf Blockbuster-Fortsetzungen wie „Bioshock 2“, „Mafia 2“ oder „Max Payne 3“ angespielt, auf die sich seine Firma derzeit konzentriert. Doch das kann gefährlich sein, wie die Verkaufszahlen des vergangenen Jahres zeigen: Auf dem ersten Platz steht „Call Of Duty: Modern Warfare 2“, von dem in den USA, Japan und Großbritannien 11,86 Millionen Exemplare über den Ladentisch gingen. „Wii Fit Plus“, nur drei Ränge darunter, hat sich nicht einmal halb so oft verkauft. Die Luft ist also äußerst dünn auf dem Gipfel des Spielemarkts. Und: AAA-Spiele sind sehr teuer in der Herstellung. Es können also weniger Spiele produziert werden. Und das Risiko, mit Millionenaufwand Millionen zu verlieren, weil das Spiel nicht hält, was sich die Spieler versprechen, wächst immens.

Kampf gegen Piraten

Ubisoft versucht sich derweil in Schadensbegrenzung. Die Franzosen bemühen sich, den erheblichen Verlusten beizukommen, die sie durch Raubkopien erleiden. Und das mit drastischen Mitteln: Ein neuer Kopierschutz verlangt eine ständige Internetverbindung zu einem Sicherheitsserver, während das Spiel läuft. Dass gerade Ubisoft so massiv gegen Raubkopierer vorgeht, hat einen Grund: Während sich viele Hersteller wegen der aus-ufernden Piraterie verstärkt aus dem PC-Bereich zurückgezogen hatten, ist Ubisoft dort mit Reihen wie „Anno“ und „Die Siedler“ immer noch stark vertreten. Sollte es der Publisher schaffen, den Schaden einzugrenzen, könnte es ihm also sogar gelingen, einen potenziell riesigen Markt wieder für sich zu gewinnen und gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Allerdings stößt der Kopierschutz auf Unmut, da eine Unterbrechung der Netzverbindung zum sofortigen Spielstillstand führt. Und ist der Spieler wieder online, wird er – etwa bei „Assassin’s Creed 2“ – zum letzten Speicherpunkt zurückgesetzt. Eine weitere Tendenz, die bei mehreren Publishern zu beob-achten ist: die verstärkte Konzentration auf Casual Games. Die sind bei Spielern beliebt, da sie meist als Downloads unkompliziert erhältlich sind und billiger angeboten werden als Vollpreistitel. Gerade in den vergangenen Jahren haben Titel wie „Peggle“ oder „World Of Goo“ Millionen begeistert. Dass deren Grafik an die von großen Titeln nicht heranreicht, ist dabei kein Nachteil. Bob Iger, Chef von Disney Interactive, hat zum Beispiel konstatiert, dass sich seine Marken als Casual Games für Nintendos DS und Wii am besten verkaufen würden – weshalb der Konzern sich in Zukunft stärker auf diese Plattformen konzentrieren wolle. Auch bei Electronic Arts wird seit längerer Zeit beob-achtet (und wohl noch länger kritisch beäugt), dass immer mehr potenzielle Kunden gar kein oder nur noch wenig Geld für Games ausgeben und stattdessen lieber Casual Games in sozialen Netzwerken spielen. Entsprechend hat EA trotz seiner Millionenverluste rund 300 Millionen Dollar in den Kauf des Entwicklerstudios Playfish investiert, das mit Facebook-Spielen wie „Pet Society“ und „Crazy Planets“ erfolgreich ist. Das kann ein kluger Schachzug sein. Denn während der etablierte Teil der Spielebranche immer tiefer in den Krisenstrudel hinabgezogen wurde, konnten die Entwickler von Browser- und „Social Games“ Erstaunliches vermelden: Es ging ihnen von Tag zu Tag besser. „Gerade in diesem Bereich ist Deutschland stärker vertreten als andere Länder“, sagt Olaf Wolters, der Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware. Es ist ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Krise hierzulande weniger schlimm wütet als in den USA. „Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, sagt er, „unser Markt ist mit etwa drei Prozent wesentlich weniger geschrumpft. Und gerade bei den Online- oder Browserspielen gibt es noch gute Entwicklungsmöglichkeiten.“ Deshalb ist Nils Henning auch gar nicht nervös. Entspannt plaudert er über seine Firma Big Point Games, denn die sei der größte Browsergame-Entwickler in Deutschland und einer der größten drei Hersteller weltweit. Das „Wall Street Journal“ hat sie als „Pionier des Browsergames“ bezeichnet, da es ihr gelungen ist, den einst an spröde Tabellenkalkulationen erinnernden Games einen modernen Anstrich zu verleihen. Big Point macht MMOGs wie das Piratenspiel „Seafight“ sowie Sportspiele und Autorennen, deren 3D-Grafik nur wenige einem Browserspiel zugetraut hätten. Und der Laden brummt: Mehr als 100 Millionen Nutzer haben die Hamburger – und jeden Tag, so Henning, kommen etwa 200000 Kunden hinzu. „Die Krise hat für uns keine negativen Folgen gehabt“, sagt Henning, „derzeit peilen wir von Jahr zu Jahr etwa eine Verdoppelung unserer Umsätze an.“ Das sind Zuwächse, von denen die traditionelle Gamesindustrie nur träumen kann. Wie man sich wohl so fühlt als Krisengewinnler? Henning lacht. „Wir haben in der Tat ein wenig von der Krise profitiert“, sagt er: „Mit ihr hat sich das Konsumentenverhalten geändert. Die Leute sind sparsamer geworden.“ Und dort setzt das Geschäftsmodell von Big Point an: Bezahlen muss niemand. Man kann es tun, um sich hilfreiche Items – etwa ein besseres Piratenschiff – zu kaufen. Man kann sie sich aber auch ohne Geld erspielen. „Nur etwa zehn Prozent der Spieler bezahlen etwas“, sagt Henning, „aber bei Millionen Usern ist das profitabel.“ Hinzu kommt, dass die Produktion eines Browserspiels weitaus weniger Zeit und Geld verschlingt als ein traditioneller Titel. Das bedeutet: Das Risiko, einen Flop zu landen, ist zwar vorhanden, aber der finanzielle Verlust wäre kleiner als bei einem AAA-Spiel – ein Grund, warum auch renommierte Konzerne verstärkt auf solche Games setzen. Derzeit kann noch niemand vorhersagen, wie die Krise die Spielebranche prägen wird. Aber es wäre nicht die erste, aus der sie gestärkt hervorgehen würde. Erst Mitte der achtziger Jahre gab es den großen „Video Game Crash“, der die gesamte Industrie zusammenbrechen ließ und in einen Dornröschenschlaf versetzte. Viele Analysten hielten sie damals bereits für tot. Und doch wurde sie wachgeküsst. Ein paar Jahre später – von einem Klempner namens Mario.
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von Chris Rotllan / März 12th, 2010 /

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