Alan Wake

Alan Wake

Alan Wake ist Schriftsteller. Er schreibt Horror-Romane. Als seine Frau verschwindet, werden seine schlimmsten Fantasien Wirklichkeit – falls es so etwas wie Realität im neuen Spiel der „Max Payne“-Macher überhaupt gibt xbox 360 | Entwickler Remedy | Publisher Microsoft | Termin 14. Mai | Preis 60 Euro | USK 16 | Spieler 1 Wie in Zeitraffer fegen die Sturmwolken über den nächtlichen Himmel hinweg – als hätte die Erde begonnen, sich schneller zu drehen. Nebelschwaden steigen aus dem Unterholz empor. Panisch stolpert der Schriftsteller Alan Wake durch den Wald des Elderwood Nationalparks. Er weiß: Sie sind hinter ihm her. Schemenhafte Gestalten haben ihn von der Landstraße, wo sein Wagen im Graben liegt, bis hierher getrieben. Alles kommt ihm vor wie ein Kapitel aus einem seiner eigenen Horror-Romane, es fühlt sich aber gleichzeitig verdammt real an. Zum Glück ist Wake nicht der einzige, der Angst hat: Wenn er stehen bleibt und den Strahl seiner Taschenlampe auf seine Verfolger richtet, weichen diese zurück. Gelingt es ihm, einen von ihnen im Lichtkegel gefangen zu halten, scheint das den Angreifer zu schwächen, und Wake kann ihn mit zwei, drei Schüssen aus einem Revolver niederstrecken, den er zuvor im Wald gefunden hat. Doch es sind zu viele. Aus dem dampfenden Gehölz schälen sich immer mehr dieser Wesen heraus. Als Wake das Licht einer Straßenlaterne erblickt, beginnt er zu rennen. Und plötzlich fällt ihm alles wieder ein: Vor einer Woche war er mit seiner Frau Alice in Bright Falls angekommen, um Urlaub zu machen. Seit Jahren hatte er kein Wort mehr zu Papier gebracht, und die Ruhe hätte ihn auf andere Gedanken bringen sollen. Nach einem Streit mit Alice war er dann wütend in die Nacht hinausgerannt – und nach seiner Rückkehr war sie verschwunden. Zudem schienen sich die Bewohner von Bright Falls zu verwandeln: Aus den Kleinstädtern wurden nach und nach Schattenwesen, die Wake nach dem Leben trachteten. Ausgerechnet er, der Bestseller-Autor, der seinen Erfolg der Beschreibung von Menschen verdankte, die sich in Extremsituationen behaupten, ist nun dem Wahnsinn nahe. Kurz bevor er die rettende Laterne erreichen kann, erlischt ihr Licht. Wake spürt, wie die Dunkelheit von ihm Besitz ergreift. „Ihre Schatten bluten wie Tinte im Wasser“, denkt er noch und ist ein wenig stolz auf dieses poetische Bild. Dann wird ihm schwarz vor Augen.

Alles für das Gefühl

Fünf Jahre sind vergangen, seit das finnische Entwicklerstudio Remedy den Thriller „Alan Wake“ angekündigt hatte. Seither wurde der Veröffentlichungstermin immer wieder verschoben. „Wir sind ein kleines Team von fünfzig Mitarbeitern“, erklärt Oskari Häkkinen von Remedy die lange Produktionszeit, „außerdem waren wir nach dem Erfolg von ‚Max Payne 2‘ in einer komfortablen Situation: Wir konnten uns alle Zeit nehmen, die wir benötigten, um aus ‚Alan Wake‘ das Spiel zu machen, das wir machen wollten.“ Ursprünglich sollte es mit einer offenen Spielwelt das erste Sandbox-Gruselgame aller Zeiten werden – eine Kreuzung aus der Freiheit von „Grand Theft Auto IV“ und dem skurrilen Horror der Fernsehserie „Twin Peaks“. Doch daraus wurde nichts. „Wir haben schnell gemerkt, dass die offene Spielstruktur unserem Konzept eines Videospiel-Thrillers entgegensteht“, erinnert sich Häkkinen – „denn wenn man dem Spieler zu viele Freiheiten lässt, verliert man die Kontrolle über ihn und seine Gefühle. Daher haben wir uns für einen linearen Aufbau entschieden.“ Seinen Vorbildern aus Film, Fernsehen und Buch ist Remedy jedoch treu geblieben. „Das Echo von David Lynchs ‚Twin Peaks‘ durchweht ‚Alan Wake‘ an vielen Orten“, sagt Häkkinen, und in der Tat: Bright Falls erinnert mit seinen geheimnisvollen Wäldern und schrulligen Einwohnern frappierend an die namensgebende Kleinstadt aus der Fernsehserie der neunziger Jahre. Remedy ließ sich aber auch von anderen Regisseuren inspirieren: „Die Vogelschwärme, derer Wake sich erwehren muss, sind eine Hommage an Hitchcocks ‚Die Vögel‘“, sagt Häkkinen, „außerdem muss er sich einmal seinen Weg durch ein Labyrinth aus Hecken bahnen. Das soll an Stanley Kubricks Verfilmung des Stephen-King-Klassikers ‚Shining‘ erinnern.“ In Alan Wakes innerem Monolog, der immer wieder aus dem Off zu hören ist, fürchtet er sich sogar ganz konkret davor, sein Verfolger könne „mit der Axt in der Tür stehen wie Jack Nicholson in ‚Shining‘“. Immer wieder bezieht sich das Spiel auf Stephen King, der mit Horror-Romanen wie „Es“ und „Carrie“ zu Weltruhm gelangt ist. Dessen Bücher haben nicht nur des Öfteren einen Schriftsteller zur Hauptfigur, der sich mit dunklen Mächten konfrontiert sieht – Alan Wake selbst erinnert sich im Spiel daran, dass es Kings Romane waren, die ihn in seiner Jugend dazu inspiriert hatten, es mit dem Schreiben zu versuchen.

Spielraum für Interpretation

Trotz unzähliger Anspielungen auf Film und Literatur: „Alan Wake“ ist weder Buch noch Film, sondern ein Videospiel. Und als solches muss es sich an einer langen Reihe von Horrorgames messen lassen – allen voran an den Klassikern des Genres: „Silent Hill“ und „Resident Evil“. Remedy versucht sich an einem Spagat zwischen den beiden. „Wir wollten ein Spiel entwickeln, in dem es um mehr geht als das Abschießen von Zombies“, sagt Häkkinen. „In ‚Alan Wake‘ sind es nicht die Geschehnisse auf dem Bildschirm, die am wichtigsten sind, sondern das, was parallel dazu im Kopf des Spielers passiert.“ Vieles bleibt daher im doppelten Sinne im Dunkeln: Nicht nur entfaltet sich die Handlung von „Alan Wake“ meistens in der Nacht – auch die geheimnisvolle Kraft, die Menschen zu Mördern werden lässt, Autos in die Luft schleudert und ganze Landstriche verwüstet, erscheint als undurchdringlicher Schatten, der sich über Bright Falls und die angrenzenden Wälder gelegt hat. Die Ursache hinter dem auf Alan Wake gezielten, zerstörerischen Wirken beginnt sich nur sehr langsam zu klären. Das lässt Spielraum für Interpretation. In Sachen Ambivalenz kann es „Alan Wake“ daher locker mit der „Silent Hill“-Serie aufnehmen. Genau wie in dieser sind Monster hier nicht einfach nur Monster und Orte nicht nur Orte: Schauplätze wie eine verlassene Mine oder ein Elektrizitätswerk laden dazu ein, vom Spieler mit Bedeutung aufgeladen zu werden. Je weiter sich Wake auf der Suche nach seiner Frau in die Dunkelheit wagt, umso rätselhafter müssen Spieler und Gespieltem die Ereignisse erscheinen: Wer ist die alte Dame im Trauergewand, deren Weg sich immer wieder mit dem Wakes kreuzt? Welche Rolle spielt der zwielichtige Dr. Hartman, der am Rande der Stadt eine psychiatrische Klinik betreibt? Ist Alan Wake wirklich wach und bei vollem Bewusstsein, oder kämpft er sich durch die Wirrungen seines persönlichen Albtraums? In Sachen Spielmechanik allerdings sind die Verhältnisse eindeutig – auch wenn man das bei Remedy anders sehen möchte: „Alan Wake“ spielt sich die meiste Zeit wie ein Zombie-Shooter alter Schule und steht damit in der Tradition von „Resident Evil“. Munition ist Mangelware, die Gegenspieler sind hinterhältig, und Wake ist kein Superheld, sondern ein verzweifelter Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs. Survival-Horror in Reinkultur also. Der besondere Dreh ergibt sich jedoch aus der Lichtempfindlichkeit der Angreifer: Bevor Wake sie mit herkömmlichen Waffen wie Schrotflinten oder Jagdgewehren aufs Korn nehmen kann, muss er ihnen mit Lichtquellen aller Art die unverwundbar machende Dunkelheit austreiben. Ein Handscheinwerfer oder eine Leuchtpistole wirken hier Wunder. Blendgranaten wiederum erledigen mehrere der finsteren Gestalten auf einmal. Tödlich Getroffene zerstäuben bildschön in Zeitlupe zu Funken, und das Spiel bleibt somit wunderbar unblutig. Remedy erfindet das Rad dadurch nicht neu. Als Spieler gezwungen zu sein, stets Feuerwaffe und Batterien fressende Taschenlampe parallel nachzuladen und sich von einer schützenden Lichtquelle zur nächsten durchzuschlagen ist jedoch eine willkommene Weiterentwicklung. Und als sich Alan Wake und Sarah Breaker – der Sheriff von Bright Falls – in der zweiten Spielhälfte Seite an Seite ihren Weg durch die von Besessenen überrannte Kleinstadt freischießen und leuchten, sorgt das für ein wenig Videospielekstase.

Fragmentierte Erzählweisen

Auf der Ebene des Gameplays appelliert „Alan Wake“ wie jedes gelungene Survival-Horror-Spiel in erster Linie an den Überlebensinstinkt des Spielers. Auch wenn die vielen Außenareale rund um Bright Falls mit ihrer ausladenden Weite beeindrucken, verengt sich die Wahrnehmung des Spielers meist auf ein schlichtes Schwarzweißschema: Dunkelheit bedeutet Gefahr, Helligkeit steht für Sicherheit. Stets hält er nach Lichtquellen Ausschau, in die er sich flüchten kann. Ständig versucht er, in der Schwärze der Wälder die Umrisse potenzieller Angreifer auszumachen. Doch es gibt noch viel mehr zu entdecken. Denn der Spieler muss sich die Geschichte von „Alan Wake“ wie in einem Puzzlespiel selbst aus einer breit gestreuten Vielzahl von Fundstücken und Erzählfragmenten zusammensetzen. So findet Alan Wake an den unmöglichsten Orten Manuskriptseiten eines Romans, der seiner Vorstellungskraft entsprungen zu sein scheint, ohne dass er sich daran erinnern könnte, ihn geschrieben zu haben. Das Beunruhigende: Auf den verstreuten Seiten werden nicht nur Ereignisse geschildert, die Wake erlebt hat, sie sind auch voll von unheilvollen Andeutungen auf dramatische Wendungen, die noch bevorstehen. In Radiosendungen wiederum, die Wake sich anhören kann, wenn er Lust dazu hat, sind nicht nur Hommagen an Bands wie Portishead und Nick Cave And The Bad Seeds zu hören, die sich in ihren Songs mit dunklen Motiven wie Mord und Einsamkeit beschäftigen. Der lokale DJ, der selbst großer Alan-Wake-Fan ist, interviewt darin die Bewohner von Bright Falls zu der ansteigenden Todesrate und andern unerklärlichen Begebenheiten in ihrem malerischen Städtchen. Und die Fernsehshow „Night Springs“, die mit realen Schauspielern gefilmt wurde und hier und da vom Bildschirm flackert, beschäftigt sich mit obskureren Themen wie Paralleluniversen und dem wackligen Zustand des Konzepts „Realität“. Als Spieler kann man nicht anders, als all das zum Martyrium Alan Wakes in Bezug zu setzen. Um die Verwirrung perfekt zu machen, spielen die Macher von Remedy wie bereits in „Max Payne 2“ mit Rückblenden, Träumen und Rauscherfahrungen. So wird Wake beispielsweise von einer Vision heimgesucht, nachdem er sich mit seinem Manager Barry in einer Holzhütte eingeschlossen und vor Angst völlig betrunken hat. „Wir haben diese fragmentierte Erzählweise gewählt, damit der Spieler sich nie sicher fühlt“, erklärt Oskari Häkkinen, „er weiß nicht, was Wirklichkeit ist und was Fiktion. Und er hat selten eine Ahnung, was als nächstes geschehen wird.“ Diese Art des Geschichtenerzählens ist interessant. Zeigt sie doch, dass eine Stärke von Videospielen darin besteht, verschiedene Perspektiven auf ein und dasselbe Ereignis einander gegenüberzustellen und es dem Spieler zu überlassen, sich einen Reim darauf zu machen. Gerade eine Horrorgeschichte wie die von „Alan Wake“, die Wirklichkeit zu einem subjektiven und fragwürdigen Begriff erklärt, gewinnt durch die dadurch entstehende Irritation. Alan Wake bringt diesen Zustand im Laufe des Spiels selbst auf den Punkt: „Ich hatte das Gefühl, das hier würde jemand anders erleben. Jemand im Fernsehen.“ Oder jemand davor.
Tags:
von Oliver Klatt / April 23rd, 2010 /

Comments are closed.