Space Quest IV

Die Geschichte des vierten „Space Quest“-Teils ist so krude wie genial: Ein Hausmeister reist nicht nur durch den Weltraum, sondern sogar zurück in frühere Episoden der Serie. Das Abenteuer war der Höhepunkt der Adventure-Reihe. Seine Entwickler zerbrachen an ihrem Erfolg

Ein Tunnel aus flackernden Lichtreflexionen. Ein Blitz. Langsam verstummt das Röhren des Quad-Quark-Antriebs, die Realität setzt wieder ein. Aber was bitteschön ist das für eine Realität? Der Zeit-reisende muss sich so fühlen wie wir, würden wir in einen Schwarzweiß-Film versetzt, am besten noch ohne Ton. Die Farben sind weniger geworden seit dem letzten Zeitsprung. Und erst die Formen der Dinge; alles ist kantiger, härter. Den geschwungenen Linien der Zeitkapsel steht an diesem an-deren Ort – besser: zu dieser anderen Zeit – ein schroffer Retro-Futurismus entgegen. Es ist 1991, und Sierras Adventure-Held, der Weltraumhausmeister Roger Wilco, bestreitet sein vier-tes Abenteuer. Trotzdem ist es aber auch ir-gendwie 1986, denn in „Space Quest IV: Roger Wilco And The Time Rippers“ reist die 256 Farben bunte Version Wilcos aus dem Jahr 1991 mit einer Zeitmaschine zurück in die 16 Farben umfassenden Sandwüsten und Weltraumkneipen der achtziger Jahre, zurück in den ersten Teil der Serie. Es ist eine wilde Geschichte, die dieses Spiel erzählt. Sie ist so verrückt wie die Geschichte ihres Programmierers. Scott Murphy heißt der Mann, und als „Space Quest IV“ erscheint, ist er schon lange ein Star bei Sierra, dem kalifornischen Entwicklerstudio, das mit Adventures wie „Leisure Suit Larry“ oder „King’s Quest“ seinen Ruf als erste Adresse des Genres begründet hat. Murphys eigene rasende Geschichte beginnt noch früher, 1983, an einem Grill in Oakhurst, Kalifornien. Dort brät er den Sierra-Gründern Ken und Roberta Williams Steaks in deren Stammlokal. Murphy ist Koch, aber weil Bratfett nicht dauerhaft sein Leben sein kann, bequatscht er die Williams so lange, bis er ihnen einen Job im Kundensupport der Firma herausgeleiert hat. Fürs erste. Denn Murphy will mehr. Nachdem er sich vom Diskettenkopierer zum Support-Manager hochgearbeitet hat, beginnt er bei Ken Williams um einen Job im Programmierteam zu betteln – und das, obwohl er über keinerlei Programmierkenntnisse verfügt. Irgendwann ge-schieht etwas Unfassbares: Der Firmenchef lässt sich erweichen und nimmt den 29-Jährigen jeden Abend nach der Arbeit mit zu sich nach Hause, um ihm nächtelang das Coden beizubringen. Schließlich bekommt Murphy tatsächlich sein erstes Spiele-Projekt. Es ist das Disney-Adventure „The Black Cauldron“, an dem er gemeinsam mit dem Grafiker Mark Crowe arbeitet. Den nächsten Schritt hat Scott Murphy bereits im Sinn. Es geht ihm darum, eine alte Vision zu ver-wirklichen: „Während meiner gesamten Kindheit verfolgte ich den Wettkampf um die Vorherrschaft im Weltraum“, erinnert er sich heute, „und ich hat-te mein Leben lang nur einen Traum: Astronaut zu werden.“ Er überzeugt Crowe von der Idee eines Adventures im All – und statt den Protagonisten zu einem strahlenden Helden zu machen, entscheiden sich die beiden für einen sympathischen Loser, Roger Wilco. Als Nächstes ist mal wieder Ken Williams zu überzeugen. Dessen Sierra steckt mittlerweile in finanziellen Schwierigkeiten. Der Boss hat nichts mehr zu verlieren und gibt dem Projekt grünes Licht. Es ist seine Rettung. „Space Quest I: The Sarien Encounter“ wird Sierras größter Erfolg seit Jahren und bringt einen neuen Stil in das Firmen-Line-up, denn „Space Quest“ ist vor allem eines: urkomisch. Anders als in der „King’s Quest“-Reihe von Williams Ehefrau Roberta nehmen sich die Abenteuer von Space-Klempner Wilco zu keiner Sekunde ernst. „In unserer besten Zeit kamen die Ideen im Stakkato. Dann erdachten wir einen Planeten der Pudel, auf dem Roger um sein Leben kämpft. Der Output war großartig.“ Während Crowe für Grafiken und Animationen zuständig ist, erledigt Murphy die Programmierung – und schreibt nachts Dialoge und Storys. „Nachts war ich meist in einer albernen Stimmung, und wenn ich selbst über meine Texte lachen musste, war das ein gutes Zeichen.“ Die Designer werden irgendwann selbst zu Figuren. Sie erstellen sich zwei außerirdische Alter Egos, mit Schweinenase und Irokesenschnitt. Die tauchen nicht nur als Sidekicks in den Abenteuern von Roger Wilco auf, sondern auch in TV-Werbespots. Bald kennt man Murphy und Crowe in der Szene als die „Two Guys From Andromeda“. Der Grillmeister und sein Kollege sind Stars geworden. Fünf Jahre und drei Spiele läuft die Erfolgsserie. 1991 scheint sie ihren Zenit erreicht zu haben. Das Duo Murphy-Crowe müsste zwar noch mal nach-legen. Sich übertreffen. Nur wie? Die beiden be-schließen, etwas zu machen, das noch nie da war. Sie wollen ihren Helden auf seiner nächsten Reise durch vier Spiele zugleich schicken: „Space Quest IV: Roger Wilco And The Time Rippers“. Nun hauen Murphy und Crowe dem Spieler ihren kompletten Irrsinn um die Ohren: Eine Gruppe von Raum-Zeit-Separatisten entführt den Hausmeister aus „Space Quest IV“ und verfrachtet ihn in die Zukunft, genauer: in „Space Quest XII“. Durch die am Bildschirmrand eingeblendete Episodennummer hat der Spieler das Gefühl, durch die Geschichte der Serie vor und zurück zu reisen. Roger findet sich also erst in „Space Quest XII: Vohaul’s Revenge Part II“ wieder, wo ihm ein digitales Abbild seines Erzfeinds Sludge Vohaul ans Leder will und ihm zu diesem Zweck Cyborgs hinterherschickt. Nach einem Ausflug nach „Space Quest X: Latex Babes Of Estros“, einer Parodie auf das Intercom-Abenteuer „Leather Godesses Of Phobos“, verschlägt es ihn dann in den ersten Teil der Serie, um schließlich zurück in „Space Quest XII“ Vohaul den Garaus zu machen. „Wir hatten keine Ahnung, wie viele Titel der Serie wir in der Realität noch umsetzen würden“, erklärt Murphy, „deshalb sind wir sehr viele Spiele in die Zukunft gegangen, um uns nicht selbst in die Quere zu kommen.“ Durch den wilden Ritt entlang des „Space Quest“-Universums kann der vierte Teil den größten Trumpf der Serie noch besser ausspielen: den ironischen Umgang mit popkulturellen Zitaten. Trash und Hochkultur jagen die beiden Tüftler ohne Rücksicht durch den Mixer. Egal, ob Luke Skywalkers Landcruiser aus „Star Wars“ in den Ruinen der „Space Quest XII“-Episode parkt oder das Innenleben des Supercomputers einem Design von H.R. Giger nachempfunden ist. „Mark war stark beeinflusst von ,Star Wars‘, ich war Fan von ,2001‘. Mein großer Wink an Kubrick war der Monolith Burger“, sagt Murphy. „Und was, wenn die Aliens den Monolithen aus ,2001‘ nicht aufgestellt haben, um Kontakt mit intelligentem Leben aufzunehmen, sondern nur als Signalgeber, der Bescheid gibt, dass Kundschaft für einen Burger-Laden da ist?“ So verästelt die Story sein mag, so straff ist der Rätselpart in „Space Quest IV“ organisiert. Gerade mal vierzehn Inventargegenstände sind im Spiel zu finden. Besonders bitter sind da die Sackgassen, in die Spieler laufen können, wenn sie einen davon übersehen und später nicht weiterkommen, weil ihnen zum Beispiel das Kaugummipapier mit dem Code für die Zeitmaschine fehlt. Auch die richtige Verwendung der Items sorgt für Kopfzerbrechen. Um das Speichermodul für einen Laptop zu kaufen, benutzt Roger die Kreditkarte seiner Ex-Frau. Dazu muss der Geldautomat mit einem Abendkleid überlistet werden. Um das Geld dafür zu erhalten, jobbt Roger im Burger-Laden und belegt Buletten mit Salat, Gürkchen und Soße. Solche Geschicklichkeitspassagen sind ein Standard der „Space Quest“-Reihe. Und in ihrer Konsequenz wären sie in heutigen Point’n’Click-Abenteuern unvorstellbar – denn Fehler werden meist mit dem Tod bestraft. Egal ob Roger in den Ruinen des Planeten Xenon einen Duracell-Hasen fangen muss oder durch den Schwerelos-Skatepark eines in-ter-ga-lak-tischen Einkaufszentrum schwimmt, stets ist das Ende nah. Klickt der Spieler zu spät, stirbt Roger. Er wird von Laserstrahlen durchlöchert, Säure frisst seinen Körper auf, er explodiert, oder er schmilzt, weil er keine Thermal-Unterwäsche trägt. „Die Todessequenzen waren eine Kunstform für sich“, sagt Murphy mit einem Lächeln: „Manche mussten die Lektionen eben auf die harte Weise lernen.“ Die Grundstimmung von „Space Quest IV“ ist düsterer als noch im Vorgänger. Denn auch auf Crowe und Murphy, die „Guys From Andromeda“, hat sich eine Schwere gelegt. Zu unterschiedlich sind ihre Arbeitsweisen. Während der eine sein Programm herunterarbeitetet, lässt der andere sich treiben, kreativ, chaotisch. Und Sierra zwingt dem Duo auch noch mitten in der Produktion das verhasste Point’n’Click-Interface auf. Die Stars brennen aus. Scott Murphy leidet unter Panikattacken. „Wir waren verbittert, und ,IV‘ war eine digitale Version unserer Attitüde.“ Für Murphy waren die Spiele schon immer Selbsttherapie: In den Charakter seines Helden floss die eigene rumpelige Biografie, der ständige Kampf mit widrigen Umständen ein. „Ich glaube, der Kampf gegen die Obrigkeit, die Möglichkeit, dass ein Loser das Universum rettet: Das alles repräsentiert auf einer unterbewussten Ebene mich selbst“, sagt Scott Murphy heute mit 56. Das Geld aus Sierra-Tagen ist längst aufgebraucht, Murphy schlägt sich wieder mit kleinen Jobs durch. Als damals, 1991, der vierte Teil fertiggestellt ist, zerbricht das bekannteste Designerduo der Adventure-Geschichte. Crowe realisiert die Fortsetzung ohne Murphy, danach versucht es Murphy ohne Crowe. Doch die Serie erreicht nie wieder ihre volle Größe. Ihr Wahnsinn, ihr Witz, ihre Unbarmherzigkeit ist nach dem Spielerlebnis des vierten Teils nicht mehr zu steigern. „Space Quest IV“ ist auf der CD-Rom der „Space Quest Collection“ oder als Download auf www.gog.com für rund 10 Euro erhältlich
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von Volker Hansch / März 10th, 2011 /

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