Blutprobe

Blutprobe

Um es mal deutlich zu sagen: Die Gewaltdebatte bei Computerspielen nervt gewaltig. Und zwar nicht, weil Gewalt eben geil ist oder eben nicht oder überhaupt, sondern weil die Argumente stumpf, langweilig und unoriginell sind. Statt also weiter mit den ollen Kamellen zu hantieren, ist es an der Zeit, neue Fragen zu stellen, neue Antworten zu versuchen, neue Thesen zu formulieren. Hier ist unser Baukasten für eine andere Debatte über Gewalt in Computerspielen

Die „Bild am Sonntag“ hat letztes Jahr versucht, die Unfälle auf deutschen Straßen mit dem Spiel „Autobahnraser“ in Verbindung zu bringen. Leider ist niemand auf diese schöne Variante der Gewöhnungs- beziehungsweise Nachahmungstheorie angesprungen. Doch warum eigentlich nicht? Denn diese Theorie besagt doch, dass ich mich an alles, was ich in den Medien sehe, höre oder lese, mit der Zeit gewöhne und es irgendwann dann auch in die Tat umsetze. Und was für Ego-Shooter gelten soll, nämlich dass sie mich so perfekt trainieren, dass ich reale Pumpguns aus der Hüfte für gezielte Kopfschüsse auf hundert Meter Entfernung einsetzen kann, das muss doch auch sonst gelten. „Project Gotham Racing“ wird doch wohl einen 14-Jährigen so ausbilden, dass er in einen Ferrari steigen und durch die engen Gassen von Florenz rasen kann. „Amped“ macht den Feierabend-Rodler in wenigen Wochen zum railslidenden Tailgrabber, „Super Mario Sunshine“ verwandelt die Couch-Potato in einen hürdenlaufenden Feuerwehrmann, „Amplitude“ katapultiert den Blockflötenschüler an die Spitze der internationalen Dancefloor-Charts, „Tetris“ stößt Karrieren als Abbruchunternehmer an. Und weil sich die Theorie nicht auf Computerspiele beschränkt, sondern allgemein für Medien gilt, kann man auch schlussfolgern, dass die Lektüre von nachahmungstheoretischen Wissenschaftstexten dazu führt, dass ich anfange, langweiliges Deutsch zu sprechen, ständig unbewiesene Behauptungen von mir zu geben und kurzsichtig zu werden. Eine Sache wird bei all dem Gerede über Gewöhnung und Abstumpfung gern vergessen: dass sie auch Überdruss erzeugen kann. Bis ich in „Half-Life“ perfekt war, musste ich es wochen- und monatelang mehrere Male durchspielen, mich so stark daran gewöhnen, dass ich irgendwann schlagartig genug davon hatte. „Mission completed“, kann man da nur achselzuckend sagen und zum nächsten Spiel übergehen. Und obwohl keine ernsthafte wissenschaftliche Untersuchung jemals die Nachahmungstheorie bewiesen hat, halten Medienkritiker an ihr fest und bauen sie sogar noch aus. Modelllernen nennen sie das, was beim Zuschauen oder Spielen passieren soll. Da geht es nicht mehr nur um die beiläufige Anregung zum Zuschlagen, sondern um die systematische und zielgerichtete Ausbildung zum Gewalttäter. Das hundert- und tausendfache Nachvollziehen der Gewaltmodelle beim Spielen führe dazu, dass diese verinnerlicht und abrufbereit als Skripte in den Köpfen gespeichert werden. Sagen sie. Prima. Das nächste Mal, wenn ich also durch die Straßen einer Küstenstadt in Florida cruise, im Radio „Broken Wings“ von Mister Mister höre und in die Schießerei zwischen zwei rivalisierenden Drogenhändlerringen gerate, springt bei mir sofort reflexartig das Programm an. Ich drücke die Dreiecktaste, um aus dem Wagen zu springen, ziehe mit L2 meine Waffe, schiebe den linken Ministick nach vorn … Moment! Ganz so lässig komme ich doch nicht aus dem Wagen, erst mal muss ich mich abschnallen und den Motor ausschalten. Und schon das Rennen hinter die Deckung geht mir ganz schön auf die Kondition. Außerdem ist der Rückstoß meiner Knarre ziemlich gewaltig. Wenn ich denn überhaupt verstanden habe, wie ich sie entsichere. Also erst mal das Speichermenü aufgerufen, um die Sequenz noch mal neu zu starten … ach nee. Geht ja gar nicht. Man lernt tatsächlich ein Modell beim Computerspielen. Nämlich eines für Computerspiele. Ein äußerst komplexes Zusammenspiel von Controllerbeherrschung, Bewegung innerhalb einer Engine, Orientierung auf verschiedenen kartografischen Versionen der Spielumgebung, Zurechtfinden in verschachtelten Menüsystemen. Man operiert mit speziellen Elementen wie Fadenkreuz, Power-ups, Inventories oder Upgrades. Ganz zu schweigen von Fantasiewaffen und Zaubersprüchen. Das Abrufen dieses Skripts in der Realität ist selbst dann, wenn man es wollte, unmöglich. Das ist so, als würde man einem trainierten Schwertkämpfer unterstellen, er wäre zum Töten ausgebildet worden, um ihn dann in einen Panzer zu setzen, damit er es beweisen kann. Aber wenn Gewaltspiele schon keine Anleitungen darstellen, so putschen sie doch zumindest auf. Und gewalttätige Menschen werden somit zu ihren Taten angestachelt. Antwortet der Feld-Wald-und-Wiesen-Nachahmungstheoretiker und möchte so seine Position halten können. Er übersieht dabei, dass nicht nur die Darstellung von Gewalt aufputscht. Diese Aufputsch- oder Erregungstheorie, wie sie in der Wissenschaft heißt, geht davon aus, dass die Darstellung von Gewalt im Film oder Computerspiel mich als Zuschauer so aufwühlt, dass meine gesamte Gefühlslage in Wallung gerät. Diese Wallung ist eine große Menge Energie, die einen Weg aus mir heraus sucht. Um ihr ein Ventil zu geben, darf ich nicht mehr untätig herumsitzen, sondern ich muss handeln und die Energie nach außen verteilen. So weit, so verständlich. Aber warum sowohl die Erregung als auch das Loswerden der Energie auf Videospiele beschränkt sein muss, leuchtet nicht ein. Welche Verzweiflung, welcher Hass kann in Kindern aufsteigen, wenn sie von ihren Eltern gezwungen werden, „Ein Schloss am Wörthersee“ zu gucken? Welch herzzerreißendes Mitleid kann im frisch verheirateten Endzwanziger wogen, wenn er die erniedrigenden Betteleien der Abservierten in „Nur die Liebe zählt“ mitansehen muss? Wie groß ist die Hoffnung, die durch „Deutschland sucht den Superstar“ erzeugt wird, und wohin dann mit diesem Drang zur Weltkarriere, wenn man schon in der ersten Runde rausfliegt? Versteht man Gewalt als einen Versuch, angestaute Energie loszuwerden, ist es doch eigentlich egal, wo diese Energie herkommt, ob von „Medal Of Honor“ oder aus „Vom Winde verweht“. Man prüfe nur mal, welcher Film einen mehr bewegt und beschäftigt, „Scream“ oder „Titanic“. Außerdem ist Gewalt nur einer von vielen Wegen, seine Energie wieder loszuwerden. Der von „Doom 2“ aufgeputschte 18-Jährige kann sich auch fanatisch auf den Pflegejob im Altersheim stürzen, was die Popularität von Gewaltspielen bei Kriegsdienstverweigerern erklären würde. Die Diskussion über die Wirkungen von Gewalt kann auch dazu führen, dass ich daran glaube. Anders formuliert: Jugendschützende Modifizierungen, marktschreierische Zeitungsartikel über Medienverwahrlosung und andere Klassiker, Indizierungen, Verbote und sonstiger Backlash machen mich darauf aufmerksam, dass Gewalt tatsächlich eine Wirkung hat. Vorher saß ich nur stumpf vor meinem Shooter, und es passierte rein gar nichts. Jetzt aber soll es sich dabei um gefährliches suggestives Material handeln, um Verführer, Lehrer, Drill-Sergeants, die mich zur Kampfmaschine ausbilden. Und es stellt sich das alte Hypochonder-Phänomen ein. Plötzlich sehe ich überall Anzeichen für meine Verrohung und Gewalttätigkeit, verstärke sie durch diese Aufmerksamkeit, kann irgendwann nichts anderes mehr wahrnehmen und ergebe mich meiner eingebildeten kriminellen Natur. Die medienkritische Literatur, besonders die der Nachahmungstheoretiker, zeichnet sich durch ein ultramechanistisches Menschenbild aus. Ihren Ausführungen zufolge gibt es keinen freien Willen, jeder Reiz führt zwangsläufig zu einer Reaktion. Wenn ich nun also lese, dass mich Computerspiele gewalttätig machen, dann muss ich zu dem Schluss kommen, dass es schon geschehen ist. Diese Ächtung und Geringschätzung, die mir entgegenschlägt, ist ein Zeichen dafür, dass ich anders sein muss. Mein Spaß am Spiel ist ein weiteres Indiz dafür, dass ich schon verdorben bin. Der logische Schritt ist dann, dass ich meine Rolle als Gewalttäter auch ausfülle. Genau so wollen sich aber Computerspieler nicht beschreiben lassen. Also setzen sie sich dagegen zur Wehr. Der durchschnittliche „Counter-Strike“-Verteidiger führt genau anderthalb Argumente im Mund: „Hunderttausend spielen es, und nur einer läuft Amok“ und „Also, ich spiele das jetzt seit meiner Kindheit, und ich habe noch nie jemanden umgebracht“. Der erste Satz argumentiert mit einem Standard aus dem Mathematikunterricht: der Gauß’schen Normalverteilung. Alles, ob nun Körpergröße, Intelligenz, Lebensdauer von Kühlschränken oder Zeitungsartikelqualität, hat ein Spektrum von ganz viel Durchschnitt und einigen Extremen an den Rändern der Verteilung. Okay. Das heißt dann aber auch, dass man durch ein Verbot von „Counter-Strike“ den einen Amoklauf hätte verhindern können, oder nicht? Dann müsste man das ja wohl sofort tun. Und weiter gedacht: Du spielst seit deiner Kindheit und hast noch niemanden umgebracht – ja und? Was nicht ist, kann ja noch werden. Du hast ja noch ein paar Jahre vor dir. Auch dein persönliches Verhalten unterliegt über einen längeren Zeitraum der Gauß’schen Normalverteilung. In gewisser Weise ist dieses typische Gegenargument genauso mechanistisch wie die Nachahmungstheorie. Auch hier muss man zwangsläufig mit einem Gewaltausbruch rechnen, zwar nur alle hunderttausend Mal, aber was macht das schon? Bei hunderttausend Spielen müsste es theoretisch jedes Mal einen solchen Effekt geben. Jedes Mal ist es ein Einzelfall. Denkt man das Normalverteilungsargument zuende, dann müsste eigentlich alles zensiert werden: Computerspiele, Filme, Fernsehsendungen, Rosamunde-Pilcher-Romane, Phil-Collins-Platten. Alles wird Einzelne zu radikalem Verhalten anstacheln können. Ganz so weit will dann doch niemand gehen. Statt alles zu verbieten, wird dann eben entschärft, damit sich die aufputschende oder zur Nachahmung anregende Wirkung nicht einstellen kann. Wenn die Gegner also grün bluten oder sich hinhocken, statt umzufallen oder sich auflösen, statt leichig herumzuliegen, dann ist das nicht jugendgefährdend. Und zwar, weil die Gewalt dann nicht mehr so plastisch und realistisch ist. Aha, dann könnte ich folglich auch einen Elchkopf aufsetzen und Leute beleidigen, weil ich dann nicht mehr realistisch aussehe, oder wie? Oder mir einen Hemingwaybart wachsen lassen, weil ich dann keine schlechten Artikel mehr schreibe? Oder eine Fototapete an die Wand kleben und plötzlich im Südseeurlaub sein? Wenn man die Logik ernst nimmt, die hinter dieser „Entschärfung“ von Computerspielen steckt, dann müssten die neuen Formen doch auch eine Wirkung haben. Was bedeutet es dann zum Beispiel, dass durch meine Einwirkung Menschen dazu verdammt werden, ewig auf dem Boden hocken zu bleiben, ohne Hoffung auf Erlösung? Bin ich dann nicht ein viel schlimmerer Menschenschinder, als wenn ich sie mit einem klinisch präzisen Kopfschuss aus dem Leben schicke? Ermuntern mich die offensichtlichen Aliens, die grün bluten, nicht zu viel skrupelloserer Anwendung von Gewalt? Und zeigt mir nicht das Verschwinden von Leichen, dass Gewalt überhaupt keine Konsequenzen hat? Besser als durch solche Entschärfungen kann man Gewalt doch nicht verharmlosen. Die Diskussion über die Wirkungen von Gewaltdarstellungen im Computerspiel beschränken sich immer auf die Menschen. Was aber mit den Spielen geschieht, darum kümmert sich keiner. Denn in gewisser Weise kann auch den Spielen Gewalt angetan werden. Zum Beispiel dadurch, dass die Gewalt selbst in Spielen immer langweiliger wird, denn die kenne ich schon. Ich habe schon „Doom“, „Quake“, „Unreal“ und „Half-Life“ gespielt, da bietet mir „Medal Of Honor“ außer dem Setting nicht wirklich etwas bahnbrechend Neues. Richtig ärgerlich wird es, wenn mein gerade einsetzender Tunnelblick, der Flow, der sich beim Spielen einstellt, durch völlig blöde Finishing-Move-Animationen oder endlose Metzeleien unterbrochen wird, wenn ich einfach nur weiterkommen will. Nicht ohne Grund schalten „Counter-Strike“-Profis die Auflösung runter und würden auf alles Blutgespritze verzichten, wenn es der Geschwindigkeit des Spiels zugute kommt. Es scheint sogar, als ob das pauschale Setzen auf Gewalt die Entwicklung neuer Spielkonzepte behindert. Im Sinne der Erregungstheorie kann man mit Gewalt grundsätzlich ein Interesse erzeugen. Das heißt: Ich spiele ein langweiliges Gewaltspiel lieber als ein langweiliges Spiel ohne Gewalt, einfach, weil die Action mir mehr bietet. Dass das Spiel langweilig ist, kann so einigermaßen versteckt werden. Die Publisher glauben dann, weil mehr Gewaltspiele gekauft werden als andere, dass hier ein Bedürfnis befriedigt wird, und produzieren weiter dieselben verkleideten Langweiler. Dass ein überragendes neues Spiel aber viel mehr Erregung erzeugen würde, wird gar nicht mehr in Betracht gezogen. „Pac-Man“ rockte mehr als „Space Invaders“, wurde abgelöst von „Elite“, das von „Tetris“ übertrumpft wurde, das wiederum von „Doom“ in den Arsch getreten wurde, das von „Myst“ abgehängt wurde – so sah es mal aus. Wie viel qualitative Neuerung, jetzt mal polemisch gefragt, im neuesten High-End-Ego-Shooter festzustellen ist, bleibt dahingestellt. Genau solche Fragen werden aber gar nicht an die Industrie herangetragen. Das einzige Feedback außer Verkaufszahlen, das die Publisher bekommen, kommt von den Spielemagazinen. Deren Rezensenten sind wahrscheinlich auch vom Immergleichen genervt, können das aber in ihrem Bewertungsraster gar nicht abbilden. Stattdessen sorgt die perfekte Grafik, der tolle Sound, die smoothe Framerate für ordentlich Prozentpunkte, sodass aus dem Resultat von 83,2 Prozent abgelesen werden muss, dass es sich um ein gutes Spiel handelt. Auf diese Weise wird man auch noch die 1000ste Variation von „Half-Life“ mit „GTA“-, „Dead Or Alive“- und sonstigen Erfolgsspiel-Elementen gut finden müssen – und sie auch entsprechend von der Industrie geliefert bekommen. Das pauschale Setzen auf Gewalt fügt nicht den Nutzern Schaden zu, sondern den Spielen. So entstehen keine neuen Konzepte. Es wird viel zu wenig darüber nachgedacht, welche Funktion das Schießen, In-die-Luft-Jagen, Auslöschen im Computerspiel hat. Oft ist es doch nur ein erweiterter Zugriff auf das Spielgeschehen, um die eigene Position zu verbessern. Zum Beispiel beim Future-Racer. Zuerst gab es nur mich und meinen Gleiter, den ich möglichst perfekt steuern musste, um an den Gegnern vorbeiziehen zu können. Dann gab es die Kanone, mit der ich zusätzlich auch noch an einer anderen Stelle wirken konnte, nämlich direkt vor mir. Und dann kam die Lenkrakete, die ein Eingreifen an ganz vielen Stellen und unabhängig von meiner Position ermöglichte. Statt dass nun aber andere Waffen erfunden würden, die mir noch mehr Zugriffsmöglichkeiten auf den Raum ermöglichen, werden einfach die alten neu angepinselt und ganz viel Programmierleistung in die Explosionen gesteckt. Man sollte also aufhören, sich mit Gewalt in Computerspielen aus moralischen Gründen zu beschäftigen. Wichtiger sind die strukturellen Gründe. Gewalt im Computerspiel ist nicht grundlegend schlecht oder gut. Es kommt darauf an, in welchem Gesamtzusammenhang sie steht und welchen Sinn sie darin hat. Um es mal mit einem Filmbeispiel zu sagen: Es hat Gründe, warum „Terminator“ ein großartiges Kunstwerk ist, man sich bei Jean-Claude Van Dammes Filmen aber nicht einmal an einen bestimmten Titel erinnern kann. Und es liegt nicht daran, dass Schwarzenegger der bessere Schauspieler ist und er besser zuhauen kann – der Film ist einfach besser in seiner Form: wie er mit Gewalt umgeht und sie einsetzt, um eine starke Geschichte mit starker Emotionalität zu erzählen. Es wäre schön, wenn das auch öfter bei Computerspielen geschähe. Mathias Mertens ist promovierter Literatur- und Medienwissenschaftler und Buchautor. Hatte in Hannover und Hildesheim Lehraufträge zur Film- und Computerspielgeschichte und -analyse. Zurzeit arbeitet er an der Uni Gießen in einer Forschungsgruppe zum Thema „Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“. Text: Mathias Mertens
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von Volker Hansch / April 10th, 2004 / 3 Kommentare

3 Kommentare

  1. dr.bob sagt:

    Sehr schöner Artikel, gut geschrieben und erfrischend zu lesen. Werde ich weiterempfehlen!
    dr.bob

  2. DerKeks sagt:

    Diese Disskusion wird nie fair geführt werden können. Je nachdem welches Allgemeinbild vom Spieler erzeugt werden soll wird sich immer der richtige Interviewpartner finden der dann entsprechend vor- oder nachteilhaft stellvertretend für alle Spieler vor die Kamera geholt wird. Ich kann mich an diverse Beiträge erinnern die in aller Eile nach dem letzten Amoklauf gedreht wurden und wo ich, selber Spieler, fassunglos zuschauen musste wie ein rhetorisch völlig unbegabter Jugendlicher nach dem Anderen erklären sollte wie er den Feind erschiesst und (jetzt kommt der Hammer:) welche Genugtuung es erzeugt. Das ganze mit blutigsten Einspielern von indizierten Spielen untermalt, die im Hntergrund bei den Interviewten garnicht liefen, geschweigedenn hätten laufen dürfen!

    Solange mit der Disskusion also Quote gemacht werden kann wird der Großteil der Medien weiterhin die Meinung der größeren Zielgruppe bedienen und bestärken! Das zuletzt auch Politiker, also hoffentlich meistens gebildete Menschen von denen man ein Disskusion auf höherem Niveau ohne Vorurteile erwarten dürfte, den fast hetzerischen Boulevardmedien folgen dürfte seine Ursache ebenfalls in der Zielgruppe also den Wählern haben.

    Nur solange die Argumente der Spielegegner auf Grundlagen basieren die völlig frei interpretiert werden können und solange Medien weiterhin Zielgruppenkonforme Berichterstattung erzeugen und nichtsahnende Jugendliche als „Beweis“ vorführen ist eine vorurteilsfreie Disskusion nicht möglich, so sehr wir als Spieler den Dialog auch suchen.

  3. Blicker sagt:

    Also ich muss zugeben, dass der Artikel von Herrn Mertens mich entsetzt, denn ich halte ihn für unprofessionell – das beweisen seine Ich-Argumente (ich spielte lange Counter Strike und ich habe noch nie jemanden auf der Straße erschossen). Wie sah seine Kindheit aus? Sein Elternhaus? Seine schulische Laufbahn? Seine psychische Veranlagung? Und wer, bitte sehr, argumentiert heute noch mit Counter Strike? Die Frage der Gewalt bezieht sich ja leider auch nicht nur auf (ältere) Spiele sondern auch auf andere Medien – die nutzen Kinder und Jugendliche ja nicht separat und ausschließlich sondern sie nutzen sie in einem Medienverbund.
    Und dieser hat in den letzten Jahren in der Verbreitung und in der Darstellung von Gewalt ganz schön zugelegt. Sogar die Polizeigewerkschaft jammert, dass Polizisten mit immer übleren Formen angewandter Gewalt von Jugendlichen konfrontiert wird. Man vergleiche nur mal die üblichen Gewaltdarstellungen in den Fernsehserien vor 20 Jahren und heute – ach, es hat noch keine Studie eine direkte Verbindung zwischen diesen Phänomenen herausgefunden? Na und? Brauchen wir eine Studie? Unsicherheiten im Erziehungswesen, immer mehr Alleinerziehende und Zunahme von Gewaltdarstellungen – so etwas kann man z.B. in Beziehung setzen!
    Als Lehrer mit einer reichhaltigen Spiele- und Medienerfahrung seit Ende der 1970er Jahre bis heute sehe ich die zahlreichen Problematiken: Folter als legitimes Mittel in Spielen (Call of duty, Saw, etc.), Gewalt als einzige Lösung in Filmen und Spielen etc. in Verbindung mit der gesellschaftlich legitimierten Zunahme ihrer expliziten Darstellung. Beobachtbare Folge: Bei Kreativübungen fallen Kindern und Jugendlichen keine Alternativen mehr ein als Gewaltanwendung! Das war vor ein paar Jahren noch anders.
    Ein solches Thema kann nicht abgeschlossen sein, weil die technische Entwicklung nicht stoppt – und mit ihr steigt sicher nicht die von Humanisten ersehnte „Verbesserung des Menschen“.
    Wer sich z.B. den Trailer zu Ryse mit Kinect Steuerung anschaut, weiß, dass das Spiel sicher nicht empathiefördernd (authentische Empathie) ist. Wer zudem glaubt, dass sogenannte „Erwachsenenspiele“ auch nur von Erwachsenen genutzt werden, muss hoffnungslos naiv sein. Und: Je expliziter die Gewaltdarstellung in Film UND Spielen ist, umso mehr Schaden richtet es in der Psyche von Kindern und Jugendlichen an – sie werden regelrecht traumatisiert. Man braucht nur mal Kinderpsychologen zu fragen, mit welchen Problemen sie aktuell konfrontiert sind. Ein Blick über den Tellerrand eines Spielers offenbart eben völlig neue Einblicke!