Der Schlangenbeschwörer

Der Schlangenbeschwörer

Die "Metal Gear Solid"-Reihe ist eine der bekanntesten Videospielserien überhaupt. Das mit ihr geschaffene Stealth-Prinzip definierte ein eigenes Genre, der Protagonist Solid Snake wurde zur Ikone. Und ihr Schöpfer Hideo Kojima (41) einer der wenigen Stars der Entwicklergemeinde. Wir haben mit ihm gesprochen: über "Metal Gear Solid 3", Überlebenstraining im Wald und darüber, wie man Erwartungsdruck begegnet, indem man Fans enttäuscht

GEE: Herr Kojima, Fans auf der ganzen Welt warten sehnsüchtig auf den neuen Teil ihrer „Metal Gear Solid“-Reihe. Wie gehen Sie mit dem Erwartungsdruck um? Hideo Kojima: Ich kann den Druck nicht leugnen. Ich versuche einfach, das Publikum positiv zu enttäuschen. Damit meine ich, dass ich im Spiel Elemente einbaue, die niemand erwartet. Am meisten setzte ich mich aber selbst unter Druck. Ich wäre sehr enttäuscht von mir, wenn ich keine gute Ideen mehr hätte. Eigentlich müsste man dann aber zugunsten des Überraschungseffekts auf jegliche Vorberichterstattung verzichten. Natürlich wäre es toll, wenn man es wie der Regisseur M. Night Shyamalan („The Sixth Sense“) schaffen könnte, Presse und Fans darauf einzuschwören, nichts über die Story zu verraten, weil sie einfach zu wichtig für den Überraschungseffekt ist. Aber so weit werde ich wohl nie kommen. Außerdem könnte ich dann keine Messen besuchen. Und das würde mir sehr fehlen, weil ich auf diesem Weg sehr gut Feedback zu meinen Spielen sammeln kann. Wie genau vermeiden Sie es, dass „Metal Gear Solid 3: Snake Eater“ nicht einfach nur eine Wiederholung des Vorgängers wird? Die Fortsetzung zu einem erfolgreichen Spiel zu machen ist ja vergleichsweise einfach. Die Grundlagen sind alle vorhanden: die Geschichte, die Charaktere und die ganze Umgebung. Aber wenn man sich zu sehr auf die bewährten Elemente verlässt, gibt es keine Innovation und keine Überraschungen. Ich versuche deshalb immer, meine Ziele bei einer Fortsetzung so hoch zu schrauben, dass sie unerreichbar scheinen. Mit dieser Überforderung sichert man meiner Meinung nach am besten die Qualität eines Spiels. Welche Emotionen soll „MGS3“ im Spieler auslösen? Ich würde mich freuen, wenn Spieler sich mit der Story von „MGS“ intensiv beschäftigen würden, um noch tiefer ins Spielgeschehen einzutauchen. „Metal Gear Solid 3: Snake Eater“ spielt ja zur Zeit des Kalten Krieges, der so lange zurückliegt, dass viele Menschen ihn nicht mehr selbst erlebt haben. Wenn ich es mit dem Spiel schaffen könnte, diesen Kampf der Systeme so zu erzählen, dass ein Spieler diese Zeit und das Leben in dieser weltpolitischen Situation emotional nachvollziehen könnte, wäre ich sehr stolz. Für „MGS3“ haben Sie mit dem Militärberater Motosada Mori zusammengearbeitet. Welchen Einfluss hatte diese Kooperation auf das Spiel? Mori besuchte uns mehrmals im Büro, um uns die wichtigsten Grundlagen in Sachen Kampf- und Überlebenstraining zu vermitteln. Später sind wir, das Entwicklerteam, mit ihm in die Berge gefahren. Dort wurden wir in drei Teams unterteilt, die gegeneinander agieren mussten – und zwar Tag und Nacht. Wir mussten Nachtwachen aufstellen, um zu verhindern, dass uns eine der gegnerischen Gruppen plötzlich überrennen konnte. Über zwei Tage waren wir ständig im Stress, und das war eine sehr wichtige Erfahrung, die ich versucht habe, auch im Spiel umzusetzen. Die ständige Anspannung zieht ihre Kraft aus dem Unerwarteten, und genau davon lebt „MGS3“. Was war denn die prägendste Erfahrung dieses Überlebenstrainings? Ein Teil des Lehrgangs beschäftigte sich mit der Tarnung im Wald. Dabei war es erschreckend, dass wir einfach niemanden mehr gesehen haben, wenn er gut genug getarnt war. Erst als man uns sagte, worauf wir achten müssen, konnten wir die Testperson gewissermaßen erahnen. Das war eine sehr beeindruckende Erfahrung, die auch in Form des komplexen Tarnmodells ihren Weg ins Spiel gefunden hat. Mit „Boktai“ erdachten Sie ein Spiel, das über eine Solarzelle in der Cartridge den Einfluss des Sonnenlichts zum zentralen Spielelement eines GBA-Titels machte. Wäre nicht die „Eyetoy“-Kamera für „Metal Gear Solid 3“ eine interessante Spielerweiterung gewesen? Ich persönlich mag das Konzept von „Eyetoy“ sehr, aber in Japan ist es leider nicht besonders beliebt. Woran das liegt, ist mir selbst ein Rätsel. Ich habe schon Ideen zu „Eyetoy“, die ich hier allerdings nicht verraten möchte. Es gab bei dieser Frage aber auch noch einen anderen Aspekt. Wenn ich für „MGS3“ die „Eyetoy“-Kamera ins Spiel integriert hätte, wären alle Spieler ohne die Kamera ausgeschlossen gewesen. Und das hätte ich als unfair empfunden. Sie erwähnten in verschiedenen Interviews, dass die Playstation der Zukunft fähig sein sollte, mit Gerüchen zu arbeiten. Empfinden Sie die momentan verfügbare Hardware als Behinderung Ihrer Kreativität? Meiner Meinung nach befinden wir uns jetzt gerade erst an dem Punkt, wo wir anfangen, die PS2 richtig zu beherrschen. Würde für die nächsten fünf Jahre kein neues System rauskommen, könnten wir sicherlich sogar noch einiges mehr rausholen. Es ist schon irgendwie bizarr, dass wir uns gerade jetzt schon wieder auf das Nachfolgemodell einstellen müssen. Als Computerspiele Mitte der siebziger Jahre ihren ersten Boom erlebten, wurden viele Spiele mit dem Namen des Entwicklers beworben. Sollte man ihren Namen nicht viel öfter als Werbemittel einsetzen, so wie es ja auch bei Filmregisseuren oder Buchautoren gemacht wird? Die Entwicklung eines Spiels ist, wie ein Filmprojekt, die Leistung eines großen Teams. Da wäre es fast unfair, wenn ein Name herausgestellt würde. Auf der anderen Seite könnte es aber auch dazu führen, dass mehr Leute neugierig würden, was dieser eine Entwickler sonst noch für Spiele gemacht hat, der Entwickler selbst quasi zu einer Marke wird. Ich persönlich lege aber keinen großen Wert darauf, meinen Namen auf einer Spieleverpackung zu sehen. „Metal Gear Solid“-Spiele wirken immer auch ein bisschen wie ein gut produzierter Blockbuster. Worauf achten Sie, wenn Sie im Kino Filme anschauen? Ich glaube nicht, dass ich mich in diesem Punkt von den meisten anderen Kinogängern unterscheide. Wenn eine hübsche Schauspielerin vorkommt, geht das auch an mir nicht spurlos vorbei. Allerdings denke ich oft noch sehr lange über den Film nach. Und wenn es eine Szene gab, die mir sehr gut gefallen hat, speichere ich sie meistens schon im Hinterkopf ab. Mal ist es ein bestimmter Kamerawinkel, manchmal einfach die Art, wie ein Schauspieler in die Kamera schaut. Für die Introsequenz von „MGS2“ und „MGS3“ konnten Sie Kyle Cooper gewinnen, der auch schon die Eingangssequenz der Filme „Spider-Man 2“, „Dawn Of The Dead“ und „Sieben“ gemacht hat. Wie haben sie ihn davon überzeugt, an einem Videospiel zu arbeiten? Mich hat selbst überrascht, wie ihn das Projekt von Anfang an faszinierte. Er verstand wohl meine visuelle Sprache und hatte sofort gute Ideen, wie man die Eingangssequenz gestalten könnte. Für „MGS3“ wird das Intromovie bereits mit dem Controller beeinflussbar sein. Ausschlaggebend für Kyles Entscheidung waren aber wohl seine Kinder, die ihm gleich gesagt haben, dass „Metal Gear Solid“ ein cooles Game sei. Sie haben Ihren kleinen Sohn mit auf die Games Convention in Leipzig genommen. Welches Bild hat er von Ihrem Job? Er ist noch zu jung für „MGS“, und auch die meisten seiner Schulkameraden kennen das Spiel noch nicht. Und er versteht natürlich nicht, warum ich mir mit „MGS3“ so viel Mühe gebe, so hart daran arbeite, wenn es noch nicht einmal seine Freunde kennen. Wissen sie eigentlich schon, was Sie am Veröffentlichungstag von „Metal Gear Solid 3“ machen werden? Es mag vielleicht komisch klingen, aber ich werde wohl wieder in einigen Läden in Tokio nachschauen, wie sich das Spiel verkauft. Wenn man so lange an einem Spiel gearbeitet hat, ist der erste Verkaufstag so etwas wie eine Geburt, bei der man gerne dabei ist. „Metal Gear Solid 3: Snake Eater“ erscheint am 15. November in Japan und den USA, ein genauer Releasetermin für Deutschland ist noch nicht bekannt. Interview: Gregor Wildermann
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2004 /

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