American Psycho

American Psycho

Zu Beginn seiner Karriere führte American McGee als "Doom"-Designer das Leben eines Rockstars. Heute gibt er mit Spielen wie "Bad Day L.A." lieber politische Statements ab. Ob das mit seinem Einsiedlerdasein auf einer chinesischen Insel zu tun hat? Wir haben nachgefragt

Wie viel hast du mit dem Hauptcharakter aus "Bad Day L.A." gemein? Gute Frage. Anthony ist ein ziemlich extremer Typ. Sehr egoistisch, außerdem hat er den Glauben in das Gute im Leben aufgegeben - und an die Menschheit sowieso. So weit ist es bei mir noch nicht. Wenn es so wäre, würde ich nicht Spiele wie dieses machen. Ich hoffe, dass es da draußen Leute gibt, die das zu schätzen wissen, die sich genau wie ich wünschen, dass sich etwas verändert in der Welt. Anthony erkennt im Laufe des Spiels, dass er sich selbst verändern muss, um die Welt um sich herum verändern zu können. Sagen wir es also mal so: Ich habe mehr mit dem Anthony am Ende des Spiels gemein als mit dem Anthony am Anfang des Spiels. Du bist also ein guter Mensch? Ich versuche zumindest, einer zu sein. Und natürlich habe auch ich mich mit der Zeit ver-ändert. Ich mache jetzt seit 13 Jahren Videospiele. Damals, in der Anfangszeit, als ich noch "Doom" und "Quake" gemacht habe, habe ich als Allerletztes darüber nachgedacht, was meine Spiele vielleicht mit anderen Menschen machen. Dass da draußen eine ganze Haufen von Jugendlichen lieber stundenlang vor dem Computer sitzt, als für die Schule zu lernen. Du würdest solche Spiele also nicht mehr machen? Nein, zumindest so lange nicht, wie sie so wenig Inhalt haben. Trotzdem wirst du "Doom" einfach nicht los. In jeder Pressemitteilung zu deinen neuen Spielen wirst du immer als "Doom"-Miterfinder vorgestellt. Und das stimmt ja so noch nicht einmal, oder? Nein, es stimmt nicht - und es sollte auch nicht in den Pressemitteilungen stehen. "Doom" war schon lange erdacht und befand sich mitten in der Produktion, als ich bei id Software an Bord gegangen bin. Ich habe nur noch das Testing des fast fertigen Produktes übernommen. Bei "Doom 2" habe ich einen Großteil der Level designt. Bei "Quake" habe ich darüber hinaus noch die Soundeffekte und den Soundtrack betreut - aber das ist immer noch etwas anderes, als das Spiel zu erfinden, denke ich. Erzähl doch mal ein bisschen von damals. Hast du die Zeit genossen? Auf jeden Fall - zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Ich habe auf der einen Seite eine Menge gelernt. Ich beschreibe die Zeit bei id gern als "Ausbildungslager". Es war hart. Wobei ein Großteil des Drucks, der auf mir lastete, von mir selbst erzeugt wurde. Von einem Tag auf den anderen wurde ich vom Automechaniker, der in der Werkstatt seines Onkels arbeitete, zu einem Angestellten bei einer der weltweit bekanntesten Softwarefirmen. Ich wusste: Das hier ist meine Zukunft. Also habe ich mich in die Arbeit gestürzt, bin einfach nicht mehr nach Hause gegangen. Ich wollte nur noch arbeiten, immer in der Firma sein, ständig dabei bei diesem großen Abenteuer. Das war ein, zwei Jahre lang gut, aber dann im dritten und vierten Jahr kam es bei mir an. Es wurde ungesund. Und es ging nur noch ums Geld. Inwiefern? Wir haben damals einen Haufen Geld verdient. Schnelle Autos, große Häuser, dekadente Dinner - das war unser Lebensstil. Aber irgendwann merkst du, dass Geld allein kein glückliches Leben macht. Egal wie viel du verdienst und egal wie schnell du versuchst, es auszugeben. Damals hast du auch Trent Reznor von Nine Inch Nails und Marylin Manson kennen gelernt. Bist du immer noch mit ihnen befreundet? Nein. Warum nicht? Ich weiß auch nicht. Dieser Sorte von Celebrities hat eine starke Fluktuation im Freundeskreis. Es ist sehr schwer, dort länger drin zu bleiben. Das hört sich ein wenig wehmütig an. Ein wenig schon. Hey, ich war mit Nine Inch Nails auf Tour! Kein Mensch kann sich vorstellen, was wir da für einen Spaß gehabt haben, Backstage oder im Tourbus. Traurig, dass es vorbei ist? Nein, auf keinen Fall. Es war eine tolle Zeit, aber sie ist vorbei. Das einzige, worüber ich wirklich traurig bin, ist die Tatsache, dass ich ihre Musik nicht mehr hören kann. Mit dieser Sorte Musik ist es doch so: Man hört sie, man hört die Texte und fühlt sich mit dem Künstler verbunden. Ich habe meinen ganzen Weltschmerz in die Musik und in die Texte von Nine Inch Nails hineininterpretiert. Na ja und wenn du diese Leute dann triffst und irgendwann merkst, dass sie ganz andere Werte hochhalten als du, dann kannst du diese Musik nicht mehr so hören wie vorher. Das ist das einzige, worüber ich heute traurig bin. Wie kam denn der Kontakt damals überhaupt zustande? Ich bin auf einem Konzert von Nine Inch Nails einfach auf die Jungs zugegangen. Später dann kamen sie auf uns zu. Sie wollten mich und die anderen von id unbedingt treffen. Wir waren damals eben auch so was wie Rockstars. Du sagst, dass dich die Arbeit bei id ausgelaugt hat. Aber deine nächste Station, der Software-Gigant Electronic Arts und die Arbeit an deinem Spiel "Alice" dürften doch auch kein Zuckerschlecken gewesen sein. Ja und nein. Damals kamen mehrere Dinge zusammen. Nach meinem Weggang bei id bin ich von Dallas nach San Francisco gezogen. Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aus dem konservativen Texas in das liberale San Francisco. Ich lernte völlig andere Leute kennen. Ich entdeckte die Club-szene. Und ich merkte: Arbeit ist nicht alles. Bei id musstest du 12, 14, 16 Stunden am Tag arbeiten, und zwar jeden Tag in der Woche. Wenn du das nicht gemacht hast, haben das die anderen gegen dich verwendet. Dann gab es im nächsten Quartal eben nur 30000 Dollar Bonus statt 300000 Dollar. Klar kann man jetzt sagen: "Wow, 30000 ist doch auch 'ne Menge Holz", aber so war die Stimmung damals nicht, der Wettbewerb war da. Wenn du nur 30000 Bonus kassiert hast, warst du der Loser. Natürlich haben wir bei der Arbeit an "Alice" auch eine Menge Überstunden geschoben, aber die Mentalität im Team war einfach eine andere. Hast du denn vor "Alice" schon bei EA gearbeitet? Ja, ich habe zwei Jahre lang verschiedene Projekte betreut. EA, die einen Großteil ihres Gewinns mit jährlichen Aufgüssen verschiedener Sport-Franchises machen, gelten bei vielen Leuten nicht unbedingt als Freunde kreativer, aber risikoreicher Projekte. Wie kam es dazu, dass ausgerechnet "Alice" unter der EA-Flagge produziert werden sollte? Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Eines Tages kam einer der Executive Producer bei EA zu mir und sagte: "American, ich möchte dir dein eigenes Projekt geben." Wie so oft in meinem Leben hatte ich einfach Glück. Ich stellte dann mein Konzept einer abgedrehten Version von "Alice im Wunderland" vor und bekam grünes Licht. Aus irgendeinem bizarren Grund wurde ich dann fast zwei Jahre lang komplett in Ruhe gelassen, niemand hat sich großartig um mich, mein Entwicklerteam und unser Spiel gekümmert. Umso größer war dann die Aufregung, als es fertig war. Ich erinnere mich noch genau an die Sitzung, auf der unser Spiel dem Vorstand vorgestellt wurde. Nach der Präsentation hielt einer der Vorstände die Verpackung von "Alice" hoch und sagte: "Ich will nicht, dass die Leute wissen, dass wir solche Spiele machen." Könnte es sein, dass deine Erfahrungen in der Clubszene von San Francisco Inspiration für "American McGee's Alice" waren? (lacht) Vielleicht ein bisschen. Aber man darf nicht vergessen, dass die Vorlage schon durchgeknallt genug ist. Ich glaube nicht, dass ich die Dosis Drogen, die ich einnehmen müsste, um das Original in Sachen Verrücktheit zu übertreffen, überleben würde. Du hast generell einen Hang zu Märchen. Allerdings verfremdest, verdrehst du sie meistens. Hat das was mit deiner eigenen Kindheit zu tun? Märchen sind an sich meistens schon sehr düster. Ich habe nicht das Gefühl, dass unsere Versionen dieser Märchen sehr viel düsterer sind als ihre Vorlagen. Überleg mal: Viele der Charaktere aus Märchen, wie zum Beispiel aus "Alice im Wunderland", aus "Oz" oder aus den anderen Märchen-Adaptionen, an denen ich zurzeit gerade arbeite, sind Waisen - oder kommen zumindest aus sehr zerrütteten Familien. Sie werden von den Erwachsenen sehr schlecht behandelt. Sie haben es nicht gut. In dieser Hinsicht gibt es durchaus Parallelen zu meiner Kindheit. Du bist aber keine Waise, oder? Sagen wir es mal so: Ich habe die Schule nicht zu Ende gemacht, ich habe nicht studiert. Ich musste mit 16 schon auf meinen eigenen Beinen stehen, und das nicht freiwillig. Viele Aspekte meiner Kindheit passen insofern sehr gut zum dem Thema von Märchen: ein Kind alleine in der großen, gefährlichen Welt. Inzwischen aber scheinst du deinen Frieden gefunden zu haben. Du lebst auf einer kleinen Insel vor Hongkong, wo du vorher gewohnt hast. Warum bist du überhaupt von Los Angeles nach Asien gezogen? Weil das Team, das "Bad Day L.A." entwickelt, dort sitzt. Ich hatte eine Zeit lang versucht, das Projekt von Los Angeles aus zu leiten, aber das machte keinen Sinn. Also habe ich irgendwann meine Sachen gepackt. Ich habe eine Party zu Hause veranstaltet, alle meine Freunde eingeladen und ihnen gesagt, dass sie mitnehmen können, was sie tragen können. Die sind total ausgerastet. Keiner feierte mehr, alle trugen meine Sachen zur Tür raus, manche riefen ihre Freund an und sagten: Komm vorbei, unser Freund ist durchgedreht, der verschenkt seine Sachen. Zwei Typen versuchten sogar, meinen riesigen Flatscreen-Fernseher wegzutragen, ich konnte sie nur mit Mühe und Not davon abhalten. Für mich war das sehr heilsam. Ähnlich drastisch wie meine Umzüge vorher von Dallas nach San Francisco und von San Francisco nach Los Angeles. Ich brauche das anscheinend. Warum hast du denn alle deine Sachen verschenkt? Ich wollte möglichst unbelastet nach Hongkong gehen. Am Ende habe ich nur drei Sachen mitgenommen: meinen Laptop, ein paar Klamotten und meine Katze. Das war ein gutes Gefühl, ich war wie befreit. In Hongkong wurde mir klar, wie sehr ich in Los Angeles Gefangener meiner Besitztümer gewesen bin. Haus, Auto, Einrichtung, das alles fühlte sich plötzlich wie eine Belastung an. Dieser Schritt war aber erst der Anfang. Heute wohnst du auf einer kleinen Insel namens Lama. Wie kann man sich dein Leben dort vorstellen? Einfach! (lacht) Lama ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein einfaches und erfülltes, glückliches Leben Hand in Hand gehen können. Ich arbeite viel, mache aber auch viele Dinge für mich. Ich gehe zum Beispiel jeden Tag schwimmen. Warum bist du dorthin gezogen? Wusstest du, dass du dort dein Glück finden würdest? Nein, ich wollte in erster Linie in Ruhe arbeiten können. In Hongkong wirst du ständig abgelenkt. Ein Freund ruft an und will mit dir essen gehen, na ja, und dann nehmen wir noch ein paar Drinks und plötzlich kommst du um zwei Uhr morgens nach Hause und hast wieder nichts geschafft. Ich wollte endlich weiterkommen mit dem Drehbuch für die Verfilmung von "Oz". Deswegen bin ich nach Lama gezogen. Du sagst, dass dich die Insel eine Lektion über die Einfachheit des Lebens gelehrt hat. Darüber, wie wenig man im Grunde genommen braucht, um glücklich zu sein. Steht das nicht im krassen Gegensatz zu Videospielen, von denen wohl niemand behaupten wird, dass sie zum Leben essenziell seien? Der Dalai Lama hat eine Liste mit Berufen erstellt, die sich für einen echten Buddhisten nicht ziemen. Neben dem Beruf der Prostituierten und dem Beruf des Drogendealers ist auf dieser Liste auch der Beruf des Videospielentwicklers zu finden. Der Buddhismus lehnt jegliche Form von Illusion ab, die uns vom Sein im Hier und Jetzt ablenkt. Und Videospiele sind ja die perfekte Illusion, eine Alternativwelt quasi. Und, ja: Videospiele können eine unglaubliche Zeitverschwendung sein. Trotzdem werde ich mir gleich für die Bahnfahrt nach Berlin einen Nintendo DS kaufen. Denn für anderthalb Stunden kann man sich gern mal in die Nichtigkeit flüchten, finde ich. Möchtest du nicht trotzdem manchmal lieber etwas ganz anderes machen? Jeder kennt diese Momente, in denen die Vorstellung, alles hinzuschmeißen und etwas komplett anderes zu machen, extrem verlockend ist. Ich auch. Vor kurzem war ich in Thailand. Dort habe ich eine Belgierin kennen gelernt, die war Anfang vierzig und ist seit einigen Jahren Tauchlehrerin. Da habe ich auch gedacht: "Ja, das ist es." Am Ende finde ich aber das Arbeiten an Videospielen immer noch reizvoll. Es gibt noch einige Herausforderungen, denen ich mich stellen will. Was wärest du denn gerne, wenn du nicht Videospiel-Designer geworden wärest? Als kleiner Junge wollte ich unbedingt der nächste Jacques Cousteau werden. Heute wäre das wahrscheinlich ein ziemlich deprimierender Beruf, wenn man sich überlegt, wie überall das Meer vor die Hunde geht. Aber du sagtest doch, dass du damals bei id eine Haufen Geld verdient hast. Warum lässt du nicht einfach Videospiele Videospiele sein und setzt dich zu Ruhe? Ich habe aber auch gesagt, dass ich viel Geld ausgegeben habe! (lacht) Es ist also nicht mehr genug Geld da für einen frühen Ruhstand? Nein. Ich bin auch noch überhaupt nicht bereit dazu, mich zur Ruhe zu setzen. Obwohl Lama dem Vorruhestand schon ziemlich nahe kommt, ehrlich gesagt. Wie sah eigentlich dein Erstkontakt mit Videospielen aus? Ich hatte einen Freund, der eine Odysseey-Konsole zu Weihnachten geschenkt bekommen hat. Darauf haben wir stundenlang gespielt. Ansonsten war es das. Ich bekam von meiner Mutter zum Geburtstag Sachen wie eine Blechdose mit Kleinkram. Kabeln, Batterien, Klebeband und Bindfaden. Daraus konnte ich mir dann etwas basteln. Ansonsten haben wir uns Spiele ausgedacht, meine Schwester und ich. Manchmal nahmen wir zum Beispiel jeder eine Plastiktüte und stopften verschiedene Sachen rein. Dreck, vergammelte Tomaten Katzenfutter. Diese Tüten legten wir dann auf die Straße. Über wessen Tüte zuerst ein Auto fuhr, durfte dem anderen den Tüteninhalt zu essen geben. Auf solche Spiele wären wir garantiert nicht gekommen, wenn wir den ganzen Tag gedaddelt hätten. Ich denke, dass es für mich und meine Fantasie sehr gut war, dass ich ohne Videospiele aufgewachsen bin. Kannst du dir vorstellen, jemals wieder in die USA zu ziehen? Ehrlich gesagt: im Moment nicht. Meine nächste Station wird wohl Schanghai werden, und dann … mal gucken. Mein langfristiges Ziel ist es, mir ein Segelboot zu kaufen und um die Welt zu segeln. Interview: Michail Hengstenberg, Fotos: Susanne Katzenberg
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2005 /

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