Spielgeld

Spielgeld

Rezession? Von wegen. In der Welt der Online-Games herrscht Hochkonjunktur. Spiele wie "Project Entropia" ermöglichen den direkten Transfer der eigenen Fantasiewährung auf ein Girokonto. Ein reales Einkommen also. Durch einen virtuellen Job

„Das ist ein historischer Moment in der Geschichte der Spiele. Mit diesem Verkauf beginnt für die Massive Multiplayer Online Games eine neue Zeitrechnung“, frohlockte am 17. Dezember 2004 Marco Behrmann. Er ist Director of Community Relations bei MindArk, dem Entwickler der Spielewelt „Project Entropia“, und stützt seine Euphorie auf den Verkauf einer Immobilie, die ein 22-jähriger Australier für 26500 Dollar erworben hatte. Ein Schnäppchen für eine 25 Quadratkilometer große Insel mit einsamen Traumstränden, einer wildromantischen Burg, einem erloschenen Vulkan und üppigen Bodenschätzen. Zumindest, wenn sie außerhalb der MindArk-Computer existieren würde. Tut sie aber nicht. 26500 Dollar für Pixel und Daten? Richtig. Wenn man einigen Quellen glauben darf, ist es so weit: Spielend Geld verdienen wird Wirklichkeit. „MMORPG“ lautet dabei das Zauberwort. Die Abkürzung steht für „Massive Multiplayer Online Role Playing Games“ – Online-Rollenspiele, an denen ein Haufen Leute teilnehmen können, um in einer Fantasiewelt Abenteuer zu bestehen, Gleichgesinnte kennen zu lernen oder Monstern einen Einlauf zu verpassen. Bisher war das allerdings nur etwas für Kreditkartenbesitzer mit geregeltem Einkommen, denn dieses Hobby kann ins Geld gehen. Spiele wie „Eve Online“, „Everquest“ oder „World Of Warcraft“ müssen erst einmal für 30 bis 50 Dollar gekauft werden – und dann wird eine monatliche Gebühr von knapp 15 Dollar fällig. „Project Entropia“, das Spiel mit der teuren Insel, hat einen anderen Ansatz: Hier wird nicht ein-, sondern ausgezahlt. Theoretisch jedenfalls. Der Download der 600 Megabyte großen Parallelgesellschaft ist kostenlos und für den Aufenthalt in dem gigantischen MMORPG wird kein regelmäßiger Obolus erhoben. Obwohl die sechsjährige Entwicklung des zurzeit größten schwedischen Software-Projekts rund 15 Millionen Dollar verschlang. Das macht schon mal stutzig. Doch es kommt noch besser. Wie in nahezu allen MMORPGs wird auch in „Project Entropia“ mit einer Fantasiewährung gehandelt. Doch die, man höre und staune, kann man sich direkt auf sein „echtes“ Girokonto überweisen lassen. Abkassieren ohne einzuzahlen? Nun, ganz selbstlos ist diese Veranstaltung natürlich nicht: In Port Atlantis, dem Startpunkt des Spiels, angekommen, rollt der Rubel erst mal in Richtung MindArk, den Entwicklern von Entropia. Denn auch in deren virtueller Realität ist ohne Moos nicht viel los. Am Anfang macht es sicher Spaß, die weiträumigen Areale zu erkunden und mit Mitspielern aus der ganzen Welt zu chatten. Doch wer mehr will als rumrennen und labern, muss zahlen. Und zwar mit harten US-Dollars. Die werden gegen 4,5 Prozent Gebühr und zu einem Wechselkurs von eins zu zehn in Project Entropia Dollar (PED) umgetauscht und auf einer PED-Kreditkarte gespeichert, die das digitale Alter Ego mit sich führt. Waffen, Kleidung, körperliche und geistige Attribute, Zauberkräfte, Wohnungen – all das wird damit käuflich. Zugegeben: Es geht auch ohne Wechselstube. Doch ohne Startkapital wird das Entropia-Dasein schnell zur Hartz-IV-Erfahrung. An Dinge des täglichen Bedarfs kommt man dann nur durch wochenlange Handlangerarbeiten. Andererseits werden sich Parvenüs auf Calypso, der „Entropia“-Welt, wohlfühlen, denn Lehrjahre werden zu Herrenjahren – wenn man nur genug Spielgeld investiert. Und ist erst einmal eine Grundausrüstung erwirtschaftet oder erkauft, wird das Spiel interessant. Nun kann beispielsweise nach Erzen geschürft werden, um daraus Materialien zu gewinnen, aus denen wiederum Waffen entstehen, die man meistbietend versteigern kann. Für den Handel mit solchen virtuellen Gütern wurde in die „Entropia“-Software ein Auktionsplattform à la Ebay integriert. Und die Einnahmen können ja jederzeit in echte Dollar gewechselt werden. Wer seine leeren Taschen also durch harte Arbeit auf Calypso füllt, könnte mit einem virtuellen Job reales Geld verdienen. Indirekt ermöglichen das die meisten MMORPGs: Bei IGE.com (Internet Gaming Entertainment) kann man sehr komfortabel virtuelle Währungen, Gegenstände oder komplette Spielfiguren von zurzeit 15 Online-Spielen kaufen und verkaufen. Käufern werden die Waren von einem synthetischen IGE-Repräsentanten an einem ausgemachten Treffpunkt in der virtuellen Realität ausgehändigt – die „Matrix“ lässt grüßen. Und der Laden brummt: „Wir beschäftigen in Hongkong inzwischen mehr als 100 Leute, die nichts anderes machen, als online Übergaben mit unseren Kunden abzuwickeln", so IGE-Boss Brock Pierce. Jede Woche kommen fünf neue Angestellte dazu. Dummerweise finden das viele der Betreiber von Spielewelten eher unerfreulich und gehen gegen Dienstleister wie IGE juristisch vor. Schließlich laufen deren Geschäfte an der eigenen Buchhaltung vorbei. Und es geht  hier nicht mehr um Kleingeld. Alleine der koreanische Branchenprimus ItemBay.com soll monatlich 17 Millionen Dollar mit Pixelwaren verdienen, insgesamt sind in diesem Feld zurzeit rund 200 Firmen tätig, die, nach Aussage des IGE-Mitinhabers Stephen Salyer, 880 Millionen Dollar jährlich umsetzen. Da liegen natürlich auch mal die Nerven blank: In Shanghai wurde Ende März ein Mann erstochen, nachdem er einen „Drachensäbel“ für 7200 Yuan (675 Euro) verkaufte hatte. Die Waffe aus dem Online-Rollenspiel „Legend Of Mir 3“ gehörte allerdings einem Freund. Und der griff zum echten Messer, als ihm die Polizei mitteilte, dass der Diebstahl von virtuellen Waren nicht strafbar sei. Kaum 900 Kilometer weiter östlich wäre das anders gelaufen: Die südkoreanische Polizei verfügt inzwischen über eine Spezialeinheit zur Aufklärung von „In-Game Crimes“. Und die hat gut zu tun: Online-Rollenspiele haben in Südkorea den gleichen Stellenwert wie bei uns die Bundesliga. Bereits Anfang 2003 musste sich die neue Task-Force mit 22000 Verbrechen beschäftigen, die im Cyberspace verübt wurden – unter anderem fand in Korea auch der erste Online-Banküberfall statt, bei dem Hacker aus einer Spiel-Bank Fantasiewährung im Wert von einer halben Million US-Dollar raubten. Doch es gibt auch ehrliche Arbeiter: Der Grafiker Chip Matthews verdient mit der Herstellung von Skins, mit denen das Aussehen von Spielfiguren geändert werden kann, zwischen 500 und 2000 Extradollar im Monat. „Es ist zwar mehr ein Hobby als eine zweite Karriere, aber abgesehen von den zusätzlichen Einnahmen ist es großartig, so viel positives Feedback zu bekommen. Das ist bei meiner täglichen Arbeit ganz anders“, freut sich Matthews. Darryl Chin und Ed Caggiani wiederum verkaufen virtuelle Haustiere. Der Laden der beiden Twens, im wirklichen Leben Software-Entwickler, warf im vergangenen Monat immerhin 1268 echte Dollar ab. Und der 30-jährige Australier Nathan Keir sorgte mit seiner selbst programmierten Mischung aus „Tetris“ und „Bingo“ („Tringo“) für so viel Furore innerhalb seines MMORPGs, dass eine Firma aus San Francisco die Rechte daran für einen fünfstelligen Betrag sicherte, um es außerhalb der Spielewelt vermarkten zu können. All diese Geschäftsleute haben eins gemeinsam: Sie sind Bewohner von „Second Life“, einem Game, das mit Dumpingpreisen (Standardmitgliedschaft: einmalig 9,95 Dollar, Premium-Account: 9,95 Dollar monatlich) und generösen Gestaltungsmöglichkeiten auf Kundenfang geht. Im Gegensatz zur Konkurrenz unterstützt die Online-Welt aus den kalifornischen Linden Labs ihre Mitspieler mit 3D-Generatoren sowie üppigen Upload- und Scripting-Funktionen. Spieler können so neben Lebewesen, Häusern und Fahrzeugen sogar eigene Programmerweiterungen in die Kunstwelt integrieren (siehe „Tringo“). Und besitzen anschließend auch die Rechte an diesen Eigenkreationen. Zudem hat auch die „Second Life“-Ökonomie einen direkten Draht in die Wirklichkeit: Jeder erworbene „Linden Dollar“ kann über die Online-Wechselstube Gamingopenmarket.com zum Tageskurs in echte Dollar eingetauscht werden. Die große Freiheit wird laufend erweitert: Seit April können Spieler ihre 3D-Kreationen sogar mit Streaming-Dateien verbinden – einer nutzte das, um den kompletten Zombieklassiker „Die Nacht der lebenden Toten“ in einem virtuellen Kino vorzuführen. Diese Entwicklungen sind für die Betreiber der Online-Welten allerdings nicht unproblematisch. Urheberrechtsverletzungen durch unkontrollierte Gestaltungsmöglichkeiten à la „Second Life“ können ebenso in Prozesse münden wie Probleme mit der Ingame-Konjuktur: Vergangenes Jahr verzeichnete Gamingopenmarket.com beinahe einen „Börsencrash“, weil die Betreiber von „Second Life“ den Bedarf der Spieler an virtuellem Land nicht decken konnten oder wollten. Das führte zu astronomischen Gründstückspreisen innerhalb des Spiels, die von neuen Spielern auch bereitwillig gezahlt wurden. Erfahrene Spieler erkannten ihre Chance, kauften, was das Zeug hielt, um die ersteigerten Immobilien in kleinen Häppchen und mit enormen Gewinn weiterzuverkaufen. Durch die Unsummen wurde die „Second Life“-Währung knapp, der Kurs ging durch die Decke. Nun musste man auch mehr US-Dollar bezahlen, um überhaupt an „Linden Dollar“ zu kommen. Nach einer Weile platzte die Blase, und der „Linden Dollar“ war nahezu wertlos. Was für ein Irrsinn. „Nur wenige Menschen sind bereit, im Internet Reifen für ihr Auto zu bestellen, aber Hunderttausende haben kein Problem damit, Schuhe für ihr digitales Alter Ego zu kaufen“, wundert sich auch Prof. Edward Castronova von der Universität von Indiana und ehemaliger Mitarbeiter des Instituts für Ökonomie (IFO) in München. Er rechnete bereits 2001 aus, dass die virtuelle Währung des Online-Spiels „Everquest“ zeitweise mehr wert war als der japanische Yen und dass die Spielfiguren einen theoretischen Wohlstand generieren, der dieses Sony-Universum gemäß der Weltbank-Kriterien an der 77. Stelle der Staatengemeinschaft stehen lässt – zwischen Russland und Bulgarien. Und das war 2001. Aus Spaß wird also langsam Ernst. Aber wird es auch für den Mainstream so weit kommen, wie Prof. Castronova vermutet? Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass selbst gestandene Geschäftsleute in nicht allzu ferner Zukunft in einem virtuellen Büro zur Arbeit gehen und Konferenzen mit den Spielfiguren von Mitarbeitern abhalten. Dass sich weit voneinander entfernt lebende Familienmitglieder an einem künstlichen Küchentisch zusammenfinden und „die Straßen der Erde leer gefegt sind, weil wir zum Einkaufen lieber auf purpurnen, fliegenden Pferden zu einem glitzernden Online-Supermarkt reiten, der im azurblauen Himmel schwebt“. Diese Visionen sind nicht neu. Mitte der achtziger Jahre träumten Cyberspace-Päpste wie Jaron Lanier davon, dass wir bald den Jahresurlaub komplett in einer virtuellen Realität verbringen – mit seiner Datenbrille auf dem Kopf. Nun ja, damals war man von 256-Megabyte-Grafik und DSL für jedermann noch weit entfernt. Inzwischen sitzt der Mann allerdings im Management von „Second Life“. Wer weiß: Vielleicht waren seine Fantasien ja doch nicht so verschroben, wie wir damals dachten. Links: www.project-entropia.com, secondlife.com, ige.com/ www.there.com, www.activeworlds.com, www.playdo.com www.neopets.com, www.runescape.com www.uotreasures.com, www.gamingopenmarket.com www.eagames.com/official/thesims/thesimsonline/us/nai/index.jsp www.playerauctions.com Text:Christian Ströh, Illustration: Jindrich Nowotny
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von Volker Hansch / Juni 10th, 2005 / 2 Kommentare

2 Kommentare

  1. DORA sagt:

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