Dead or Alive: Der Film

Dead Or Alive: Der Film

Videospielverfilmungen gelten gemeinhin als Trash. Aber wie sieht es aus, wenn das Herz an der Vorlage hängt? Ein Selbstversuch am Beispiel des neuen Films "DOA – Dead Or Alive"

Das hier ist Benjamin Maack“, sagt die Frau von der PR-Agentur und schaut zu mir rüber, „er arbeitet für ein Fachmagazin. Ein Experte“, sagt sie. So, wie sie das sagt, wie sie dabei milde, fast mitleidsvoll lächelt, wirkt es, als meinte sie nicht „Experte“, sondern „Freak“. „Das hier ist Benjamin Maack – der Videospielfreak.“ Sieben Journalisten sind wir, die in einem kleinen Raum sitzen und darauf warten, dass etwas auf dem Computerbildschirm vor uns erscheint. Videospielredakteursalltag eigentlich. Doch heute ist es anders. Denn die anderen sind keine Gamejournalisten, und über den Schirm wird kein neues Spiel flimmern. Gezeigt wird „DOA – Dead Or Alive“, eine exklusive Schneideraum-Pressevorführung des Kinofilms zum Beat’em-up. Zu meinem Lieblings-Beat’em-up! Das erste Mal habe ich es gespielt, als die Xbox rauskam. Ich kann mich nicht mehr genau an den ersten Sex mit meiner Freundin erinnern. Aber ich weiß genau, wie es war, als ich das erste Mal Kasumi ausgewählt habe, mit ihr gegen Bayman angetreten bin. Kasumi. Die roten Haare, die so unglaublich weich aussehen, die großen braunen Augen … Auf die Frage, ob es für Kasumi eine reale Vorlage gab, hat Tomunobu Itagaki, der Erfinder von „DOA“, mal gesagt, er habe einfach die schönste Frau aus seinem Kopf genommen, die er sich überhaupt vorstellen kann. Ach. Kasumi. Versteht mich nicht falsch. Das Ganze hat rein gar nichts Sexuelles. Es ist eher so, dass Kasumi für mich das ist, was früher die Prinzessinnen waren, die ich als kleiner Junge in meiner Fantasie retten musste. Eine Unberührbare, eine Traumgestalt, die es zu beschützen gilt. Und vom ersten Spiel an war klar: Wenn ich sie wiedersehen wollte, würde das nur im Spiel gehen. Also musste ich so gut werden wie nur möglich. Denn so lange Kasumi und ich miteinander spielten, war sie mein Mädchen – und niemand schlägt mein Mädchen. Also trainierte ich hart, lernte alle Kombinationen. Auch die Schwierigste, die Kasumi für einen Sekundenbruchteil in Rosenblüten verwandelt. Der Film beginnt – und nimmt mich sofort gefangen. Die ersten Szenen stellen Kasumi, Christie die Meisterdiebin und die Catcherin Tina Armstrong vor. Ich bin sofort in der Welt von „DOA“. Denn die Frauen auf dem Bildschirm reden. Mehr noch: Sie schauspielern. Sie verzaubern mit ihren kleinen Gesten, verzücken mit ihrem Mienenspiel, verändern meine Ideen davon, wie sie sind. Vorher kannte ich Kasumi und die anderen ja praktisch nur beruflich. Als Martial Artists. Und gesprochen haben sie auch nur einen Satz, bevor der Kampf losging, und einen danach – auf Japanisch. Beim Spielen habe ich jede Cut-Scene gierig verschlungen, durchforstet nach Informationen, Andeutungen, die diese Welt reicher machen würden, um Kasumi und die anderen Kämpfer, mit denen ich antrat, besser kennen zu lernen. Doch als sie dann kamen, die spärlichen Zwischensequenzen, waren sie immer zu kurz, zu schnell vorüber, zu klischeehaft. Und dieser Film, das ist die Cut-Scene meiner Träume, eine abendfüllende Cut-Scene, in der ich mehr über die Kämpfer erfahren werde als in allen „DOA“-Teilen zusammen. Ein anderer Journalist läuft mir durchs Bild, um sich ein Glas Wasser zu holen. Dieser Kretin! Doch als ich ihn mit einem verächtlichen Blick abstrafen will, sehe ich, wie die anderen ihre Blicke gelangweilt durch den Raum streifen lassen und mit den Gläsern in ihren Händen herumspielen. Einer blättert sogar in seinem Terminkalender. Und wieder sehe ich dieses milde Lächeln. Dümmlicher Videospielfreak, armer Videospielfreak. „Dead Or Alive“ und Kasumi ließen mich das Beat’em-up neu entdecken. Vorher kannte ich immer nur die eckigen Bewegungen aus „Virtua Fighter“, die irgendwie bescheuerten elektrischen Explosionen, die es beim Schlagen gab, wenn man „Tekken“ spielte. Das war alles irgendwie unecht. Aber der Anblick von Kasumi, ihre Haut, ihre geschmeidigen Bewegungen lassen mich noch heute die Muskeln unter der Polygonoberfläche, das Herz in ihrer Brust erahnen. Die Kasumi, die ich im Spiel lenkte, war allerdings nie die Kasumi, die mir in den Cut-Scenes gezeigt wurde. Dort war sie immer das Klischee von einem verträumten Mädchen. Zu still, zu schüchtern, wenn sie nicht gerade kämpfte. Ich wollte, dass sie sich mir preisgibt, mir ein Geheimnis anvertraut. Kasumi ist aber auch nicht die, die ich jetzt im Film zu sehen bekomme. Das ist Devon Aoki, ein japanisches Supermodel, das ich schon aus „Sin City“ und „2 Fast 2 Furious“ kenne. Eine gute Schauspielerin, sicher. Aber eben nicht Kasumi. Doch komischerweise stört mich das überhaupt nicht. Soll sie doch ihr Gastspiel geben in der Welt von „DOA“. Ich lerne sowieso gerade die anderen Figuren kennen. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, das Christie so sympathisch sein könnte. Im Spiel ist sie die immer professionelle Profikillerin. Die mit der praktischen Kurzhaarfrisur. Platinblond. Und dann noch dieser eckige, langweilig effiziente Kampfstil. Ich habe Christie nie gern gespielt. Aber hier ist es Freundschaft auf den ersten Blick. Wie sie lässig vier mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten in einem Tokioter Hotelzimmer ausschaltet – in Unterwäsche. Hier ist ihre Effizienz auf einmal Trumpf. Blitzschnell reißt sie dem Officer mit ihrem BH die Waffe aus der Hand und schleudert beides in die Luft. Dann schaltet sie mit einigen gezielten Schlägen die anderen aus. Als BH und Waffe herunterfallen, streift sie den BH aus der Luft über, fängt die Waffe und bittet den Officer, den Lauf auf sein bestes Stück gerichtet, ihn zuzumachen. Alles in einer einzigen flüssigen Bewegung. Selten so was Souveränes gesehen. Gleichzeitig hat Christie aber auch diese weiche und hilfsbereite Seite hat. Sie, Kasumi und Tina schließen im Film sogar Freundschaft. Christie im Spiel hat immer nur auf Sieg geschielt, im Film ist sie ein Kumpel zum Pferde stehlen. Auch einige andere zeigen während der nächsten Stunde völlig neue Seiten. Zum Beispiel Tina, die mich mit ihren Catch-Moves im Spiel nie von sich überzeugen konnte. Sich selbst offensichtlich auch nicht. Denn im Film will sie beweisen, dass sie nicht nur Showcatchen, sondern auch richtig kämpfen kann. Und ihr Vater Bass: im Spiel ein plumper Catcher, im Film ein hinreißend besorgter Vater, der sich mit seiner Tochter Wortduelle liefert, von denen sich manche Screwball-Komödie eine Scheibe abschneiden könnte. Oder Zack, der Capoeira-Kämpfer, dessen Charakter im Spiel mit seinem unfairen Kampfstil, dem widerlichem Gehabe und dämlichen Sprüchen auf dem Niveau eines Sechsjährigen hängen geblieben scheint. Im Film benimmt er sich genauso – und bekommt die Quittung dafür: Ein Korb nach dem anderen. Erst jetzt wird mir klar, wie viel Tragik eigentlich in dieser Figur steckt. Während der Abspann läuft, klebt mein Blick immer noch auf dem Schirm, aber mit meinen Gedanken bin ich in der Welt von „Dead Or Alive“, die sich heute um einen mächtigen Landstrich vergrößert hat. Einer von den anderen Journalisten stößt an meinen Stuhl, er hat es offensichtlich eilig, den Vorführraum zu verlassen. „Bevor Sie gehen, darf ich noch kurz erfahren, wie es ihnen gefallen hat“, hält ihn die PR-Frau zurück. „Ein netter Kinderfilm“, antwortet er. Und wahrscheinlich hat er sogar Recht. Vermutlich ist „DOA – Dead Or Alive“ ein Kinderfilm. Oder Trash. Oder Popcornkino. Klar, die Martial-Arts-Szenen sind nicht so gut wie in „Tiger And Dragon“ oder „Hero“ und die Sprüche der Mädchen nicht so smart wie in „Drei Engel für Charlie“. Aber für mich bedeutet dieser Film mehr als alle Cut-Scenes in allen „DOA“-Teilen zusammen. Für mich ist er das Elixier, das die Welt von „Dead Or Alive“ noch wirklicher, noch lebendiger macht, das mich das Herz in der Brust dieses Spiels spüren lässt. Nennt es Trash, nennt mich Freak, denke ich. Ich gehe jetzt nach Hause und spiele eine Runde „Dead Or Alive“ mit Christie – und dann eine mit Zack, und mit Tina, mit Bass und Helena, mit Gen Fu, Hayate und natürlich eine mit Kasumi. Ach, Kasumi. Text: Benjamin Maack
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von Volker Hansch / September 10th, 2006 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. MM sagt:

    das war premium entertainment deluxe… man muss eben auch mal sinnfreie filme gucken um den kopf nicht ganz so zu belasten.