Malen nach Zahlen

Malen nach Zahlen

Für die Demoscene sind Computer vor allem ein Spielplatz. Das Ziel: die Grenzen der Hardware auszuloten. Das Ergebnis: Demos – wunderschön anzusehende Filme, die sich inzwischen zu einer eigenen Kunstform entwickelt haben. Ein Szeneporträt

Wenn Christoph Mütze, 29, über sein Hobby redet, verstehen die meisten Menschen kein Wort. Er sagt dann Sachen wie "Exception auf Point Three" oder "Prozeduale Texturgeneration" oder "Freezer Modul". Heute ist Christoph allerdings unter Gleichgesinnten. Denn heute ist Farbrausch-Stammtisch in der "Drei-Zimmer-Wohnung", einer Kneipe auf dem Hamburger Kiez. Stammtisch, das bedeutet gemeinhin seichten Small Talk, von Bier geschwängert. Nicht jedoch hier. In dieser Runde werden andere Kaliber gewälzt. Zum Beispiel wird angeregt erörtert, wie Videospielkonsolen früher mithilfe einzelner Transistoren den Sound erzeugt haben. Ein anderer Stammtischler klagt über den "Ghosts'n'Goblins"-Spielautomaten, den er zu Hause stehen habe und an dem er einfach verzweifle. "Nicht zu schlagen", zuckt er mit den Schultern. Doch doch, lässt ein anderer wissen, der sei schon zu schlagen. "Man muss an einer Stelle nur frame- und pixelgenau springen." Aha. Und so geht es munter weiter. Wie er "Super Mario Bros." in 15 Minuten durchgespielt hat, erzählt Christoph der Runde, auf seiner PSP. Moment mal, Mario, das Nintendo-Maskottchen schlechthin, auf Sonys Handheld? Darüber wundert sich hier am Stammtisch keiner. Sind doch schließlich nur ein paar minimale Eingriffe am Betriebssystem vorzunehmen, schon läuft Nintendos Klempner auch auf Sonys PSP - eine Fingerübung. Es scheint, als würde es kaum einer der Anwesenden schaffen, Gadgets mit Computerchip einfach so zu benutzen, wie es der Hersteller vorgesehen hatte. "Wir sind halt Geeks", lacht Christoph. Für sie sind elektronische Geräte vor allem eins: ein Spielplatz. Doch eigentlich geht es heute nicht um Spielerei. Genau genommen sind nämlich Videospiele so etwas wie das Hobby zum Hobby. Eigentlich geht es um etwas ganz anderes: um Demos. Demos sind Filme, die in Echtzeit auf dem Computer laufen. Also nicht aufgenommen sind und abgespielt werden, sondern jedesmal "live" berechnet werden. Und Farbrausch ist eine Demogruppe. Die so genannte Demoscene entstand zur Blütezeit der Heimcomputer-Ära vor etwa 20 Jahren. Damals war es gang und gäbe, die Spiele für C64 und Co zu cracken, also den Kopierschutz zu entfernen, um das Spiel dann vervielfältigen und an die Freunde verteilen zu können. Irgendwann fingen die Cracker an, die geknackten Spiele mit einer Signatur zu versehen. Diese kleinen Filmchen, auch "Cracktros" genannt, waren anfangs einfach nur animierte Logos oder Laufschrift, mit der andere Crackergruppen gegrüßt und die eigene gepriesen wurden. Über die Jahre verschob sich allerdings der Fokus. Es ging immer weniger darum, Spiele zu knacken, und immer mehr darum, das grafisch beeindruckendste Cracktro abzuliefern. Heute sehen Demos, wie sie inzwischen heißen, auf modernen PCs aus wie computeranimierte Trickfilme oder Zwischensequenzen in Videospielen. Nicht zwingend so gegenständlich, oft sehr abstrakt, vollgeladen mit Rauch-, Nebel-, Partikel- und Lichteffekten. Zu elektronischer Musik schwebt die Kamera durch futuristische 3D-Welten, dreht sich an geometrischen Formen vorbei und versinkt in einem Rausch aus Farben. "Der künstlerische Aspekt hat in den letzten Jahren deutlich an Gewicht gewonnen", erklärt Thomas Mahlke, 30, beim Stammtisch. "Früher bestand die Herausforderung vor allem darin, die Grenzen des technisch Machbaren auszuloten, die Hardware bis ans Limit auszureizen", erinnert er sich. "Inzwischen stehen für mich und viele andere Demoscener aber andere Dinge im Vordergrund, das Arrangement des Clips zum Beispiel." Trotzdem: "Die Mentalität des Crackens ist bei vielen Demoscenern immer noch da", stellt Christoph fest. "Sich sofort auf jede neue Plattform stürzen, sie aufmachen, um dann Demos darauf laufen zu lassen - das gehört einfach dazu." Bester Beweis dafür ist Ekkehard Brüggemann vom Verein Digitale Kultur. Bei einem Treffen im Hamburger Schanzenviertel zeigt er Demos auf PDA, PSP und Handy. Minutenlang laufen auf den Geräten Musikvideo-ähnliche Filme ab. Ekkehards Augen leuchten begeistert, während er ein Gerät nach dem anderen hervorholt, um darauf Demos abzuspielen. Auch nach knapp 20 aktiven Jahren in der Demoscene ist er kaum zu bremsen: "Für mich sind das Kunstwerke." Daran, dass Demos auch von anderen Leuten jenseits der Demoscene als solche anerkannt werden, arbeiten Ekkehard und der Verein Digitale Kultur. Sie unterstützen die Demoscene auf breiter Front. Veranstalten Demopartys wie die "Evoke" in Köln, immerhin die zweitgrößte in Deutschland. Oder sie organisieren Fahrten zu anderen Demopartys. Machen Presse- und Lobbyarbeit und schließen Kooperationen mit Digitalfilm-Festivals wie "Bitfilm" in Hamburg oder "fmx" in Stuttgart. Unterstützen aber auch Ausstellungen wie zuletzt "Computer Art from Europe" im "Think Tank" in New York. Auf Demopartys wie der "Evoke" zeigen auch Farbrausch ihre jeweils neuesten Werke. Und reichen sie in Compos (von Competition) genannten Wettbewerben ein. "Die Platzierung", findet Thomas, "ist am Ende gar nicht so wichtig. Spannend ist vor allem die Reaktion des Publikums." Denn die größte Motivation ist für ihn sowieso eine andere: "das Machen der Demo selbst". Wie wichtig für die Demoscene trotz aller Wandlung zum künstlerischen Medium aber auch heute noch die technische Komponente ist, lässt sich bei den Demopartys besonders gut nachvollziehen. So gibt es bei den Compos Kategorien, in denen die Demos nur auf alten Rechnern wie dem C64 programmiert werden dürfen. Besonders beliebt sind auch Kategorien, in denen die Demos eine bestimmte Dateigröße nicht überschreiten dürfen. 64 Kilobyte zum Beispiel, oder sogar nur 4 Kilobyte. Diese Limitierung stammt noch aus der Zeit, als die Computer nicht mehr Speicher hatten, hat sich aber als technische Herausforderung bis heute gehalten. Wie aber ist es möglich, mit Programmen, die kleiner sind als ein leeres Word-Dokument (4 Kilobyte) und nur ein kleines bisschen größer als dieser Artikel, wenn man ihn in ein Word-Dokument kopieren würde (64 Kilobyte), Filme zu machen, die nichts mehr mit der pixeligen Grafik aus C64-Zeiten zu tun haben? Sondern im Gegenteil so aussehen, als wären sie in den Pixar-Studios gerendert worden und mehrere Gigabyte groß? Demo-Coder füttern den Computer nicht mit Daten, sondern mit Code. Oder, anders gesagt: Statt ein Bild zu malen und dieses Bild in den Computer einzugeben, programmieren sie den Computer so, dass er das Bild einfach selbst malt. Aus der visuellen Qualität einer auf 4 Kilobyte oder 64 Kilobyte begrenzten Demo lässt sich also ein direkter Rückschluss auf die Programmierfähigkeiten des Coders ziehen. Ein Faktor, der in der immer noch vom Wettbewerbsgedanken geprägten Demoscene von immenser Bedeutung ist. Wie hoch gekonnte Programmierung geschätzt wird, konnte man vergangenes Jahr auf der "Breakpoint"-Party sehen. Da gewann ein optisch eher schlichtes Demo in der auf keine bestimmte Plattform oder Größe beschränkten Kategorie "Wild": Auf einem Pokémon Mini, der Pokémon-Variante eines Tamagotchi, mit gerade mal zwei Kilobyte Arbeitsspeicher und Einfarb-Display, lief das mehr als sechs Minuten lange Demo "Shizzle". Es zeigte animierte Pixelschlangen, Verläufe in Graustufen, wilde Muster und 3D-Effekte. Was für die meisten Menschen ein albernes Pixelfilmchen mit unerträglicher Piepsmusik ist, wurde auf der "Breakpoint" von allen abgefeiert und war für viele Besucher sogar das beste Demo überhaupt. Nicht, weil sie die Demo besonders schön fanden, sondern weil es eigentlich nicht machbar ist, diese Dinge auf einer solchen Plattform darzustellen. Was sich mit diesem Können, Leidenschaft und viel Arbeit außer Demos noch so anstellen lässt, zeigten Teile von Farbrausch unter dem Namen ".theprodukkt" mit dem Projekt "kkrieger": ein 3D-Egoshooter mit fetter Grafik - alles in einer Datei, die kleiner ist als ein Bildschirmfoto des Spiels. "Wir wollten einfach mal ein größeres Publikum erreichen", erklärt Christoph, gibt aber auch zu: "Wir haben uns mit dem Projekt ein bisschen übernommen. Danach waren wir alle ein Dreivierteljahr lang völlig ausgelaugt und fertig." Demnächst wird er mit Freunden ein Grafikbüro eröffnen. Auch jetzt arbeitet er als Freelancer als 2D- und 3D-Grafiker, erstellt unter anderem auch Grafiken für Games. Nicht ungewöhlich in der Szene. Es gibt Entwicklerstudios, die sich zu mehr als einem Drittel aus Demoscenern rekrutieren. Denn inzwischen ist das Können der Demoscener kein Geheimnis mehr. Christoph und Konsorten halten Vorträge auf Elektronikveranstaltungen wie "Siggraph" in Boston oder "fmx" in Stuttgart und sorgen mit ihrer Technik, aus so wenig Speicher so viel herauszuholen, für ungläubiges Staunen im Publikum. Selbst Will Wright, der "Sims"-Erfinder, lässt keine Gelegenheit aus zu erwähnen, dass sein neues Spiel "Spore" viel Know-how aus der Demoscene verwendet und anders gar nicht zu realisieren sei. Darüber lachen die Jungs am Stammtisch ein bisschen. Dass die Programmierer der Demoscene die besten sind, steht für sie ohnehin außer Frage. "Die werden in die Demoscene getrieben, weil ihr Hirn einfach keinen Leerlauf verträgt. Sie brauchen das als Herausforderung. Außerdem treffen sie hier am ehesten auf ähnlich intelligente und interessierte Menschen", erklärt Christoph. "Wenn zwei Democoder sich unterhalten, versteht ein studierter Informatiker nach einer halben Stunde gar nichts mehr." Text: Danny Kringiel
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von Volker Hansch / September 10th, 2006 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Rationer sagt:

    Rationales Denken sei nicht alles? :D und ob es das ist ;).