Schluss mit lustig

Schluss mit lustig

Beim jüngst erschienenen Satire-Shooter „Bad Day L.A.“ stehen zum ersten Mal politische Statements im Zentrum eines kommerziellen Videospiels. Neu ist die Idee nicht: „Serious Games“ versuchen schon seit Jahren, Argumente und Kritik unter die Leute zu bringen

"Kabul Kaboom" ist ein eigenartiges Spiel. Es ist gleichzeitig hundsmiserabel und hoch interessant. Die Grafik ist klobig. In wenigen Farben werden fallende Bomben, Hamburger und eine krakelige Spielfigur dargestellt. Die Spielwelt ist eintönig. Vor dem immer gleichen Hintergrund der Skyline Kabuls müssen wir versuchen, den Raketen auszuweichen und Fleischbrötchen aufzusammeln. Aber es kommt noch schlimmer, denn: Der Spieler verliert immer. Die Bomben und Burger fallen so schnell herunter, dass der Spieler kaum eine Chance hat, zwischen Essensration und sicherem Tod zu unterscheiden und noch rechtzeitig auszuweichen. Die Folge: Oft dauert das virtuelle Leben nur wenige Sekunden. Trotzdem hat "Kabul Kaboom" etwas zu bieten, mit dem die meisten anderen Games nicht aufwarten können. Es vermittelt dem Spieler anschaulicher und kompakter den bitteren Zynismus des amerikanischen "War on Terrorism" in Afghanistan, als es ein Zeitungsartikel, Film oder Flugblatt könnte. Tatsächlich hatten US-Streitkräfte während der Bombardements auf Afghanistan Essensrationen abgeworfen, in denen die uramerikanischen Fast-Food-Brötchen enthalten waren. Durch ein Kunstzitat wird die Botschaft des Spiels noch zugespitzt: Die Spielfigur, die zuerst noch aussah wie eine krakelige Kinderzeichnung, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als ein Motiv aus Picassos Antikriegsgemälde "Guernica": eine schreiende Frau, die ihr totes Kind in den Armen hält. Wird die Frau auf der Suche nach Hamburgern von einer Bombe getroffen, sieht man sie in ein Foto aus dem Afghanistankrieg hineinmontiert - in blutige Stücke zerfetzt und begraben unter Gebäudetrümmern. Ein Sprecher kommentiert das Blutbad zynisch: "Mmmh… yummy!" Erdacht wurde das Spiel von dem Gamedesigner und Computerspielforscher Gonzalo Frasca. Er gründete gemeinsam mit dem amerikanischen Games-Forscher Ian Bogost die Site "Water Cooler Games". Dort stellen die beiden nicht nur eigene Kreationen vor, sondern ganz generell Spiele, die versuchen, Weltbilder oder Wissen zu transportieren beziehungsweise infrage zu stellen, Meinungen zu tagespolitischen Geschehnissen zu zeigen oder zu Diskussionen anzuregen. Werbegames stehen hier neben Anti-Diabetes-Spielen, Pazifismus-Games und Spielen über Rassenunruhen. Nie mehr "Space Invaders" Digitale Spiele sind schon lange kein Nischenphänomen mehr. Die Tage, als wir ihnen lediglich in Spielhallen und Kneipen ein paar Münzen opferten, sind lange gezählt. Stattdessen durchdringen sie zunehmend unser Leben, werden zu einem Mainstream-Kulturphänomen. Vom simplen Zwei-Minuten-Minigame über Adventurespiele mit erzählerischem Schwerpunkt bis hin zum MMORPG, das man über Jahre mit Tausenden Gleichgesinnter im Internet spielt, haben Computerspiele sich immer weiter differenziert. Insofern erscheint es ganz logisch, dass sich heute auch "Serious Games" wachsender Beliebtheit erfreuen. All jene, die mit "Space Invaders", "Pac-Man" und "California Games" aufgewachsen sind, haben heute längst die Pubertät hinter sich gelassen und sind in den Ernst des Lebens eingetaucht. Sie ärgern sich über Steuererhöhungen, den Abbau des Sozialsystems oder die amerikanische Außenpolitik. Dass auch Computerspiele nun anfangen, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen, ist da nur folgerichtig. Games statt Flugblätter Aber welchen Sinn hat es überhaupt, politische Botschaften in einem Spiel zu äußern, anstatt sie einfach auf Flugblätter zu drucken und zu verteilen? Frasca erklärt: "Ein Vorzug liegt in der Verbreitungsform: Webgames können Ideen viral verbreiten. Auf diese Weise erreichen sie manchmal sogar mehr Leute als kommerzielle Games. Aber auch inhaltlich bieten sie Vorteile. Würde ich einfach sagen: ‚In Afghanistan und im Irak Kollateralschäden zu verursachen erhöht zwangsläufig die Zahl der Terroristen', so ist das nur eine Meinung, die andere sich anhören. In einem Spiel aber ist es eine Schlussfolgerung, zu der der Spieler selbst kommt." Und tatsächlich: Wer etwa "September 12th", ein anderes "Serious Game" Gonzalo Frascas, spielt, erfährt selbst, wie US-Militärinterventionen und die Zunahme terroristischer Aktivitäten zusammenhängen. Das Spiel bietet eine vollkommen andere Erfahrung des Problems, als einfach auf einem Flugblatt zu lesen: "Amerikanische Bombenangriffe auf Afghanistan gießen nur Öl ins Feuer des islamistischen Terrorismus." In "September 12th" lenkt der Spieler ein Fadenkreuz über eine orientalisch anmutende Stadt. In deren Straßen tummeln sich Menschen in langen Kaftanen, nur ganz vereinzelt sind dunkel gekleidete "Terroristen" mit Maschinengewehren zu sehen. Der Spieler hat nur eine einzige Handlungsmöglichkeit: mit Langstreckenflugkörpern zu schießen. Oder eben nicht. Die unpräzisen Geschosse treffen zwar nur selten ihr angepeiltes Ziel, verursachen dafür aber fast immer "Kollateralschäden" in Form toter Zivilisten und zerstörter Gebäude. Andere Zivilisten trauern dann um die Toten und verwandeln sich daraufhin selbst in Terroristen. Bombt der Spieler nun alles in Schutt und Asche, so bewegen sich binnen kurzer Zeit fast nur noch Terroristen durch das übrig gebliebene Ruinenfeld. Dabei ändert die Interaktivität eines Spiels wie "12th September" natürlich nichts daran, dass es auch hier vor allem um eins geht: Meinung zu machen. Denn der Spielmechanismus lässt nur ganz bestimmte Schlussfolgerungen zu. Der Spieler kann in "September 12th" mit seinem militärischen Eingreifen nur scheitern. In dieser virtuellen Welt machen militärische Attacken zwangsweise Zivilisten zu Terroristen, weil der Programmierer es eben so festgelegt hat. Ist damit dieses Computerspiel nicht hochgradig ideologisch vereinfachend? Frasca hält dagegen: "Sicherlich, aber das trifft auf jedes andere Medium, jede Form von Kommunikation ebenso zu. Selbst wenn man einen Editor mitliefert, sind die Modifikationsmöglichkeiten immer noch durch den Designer festgelegt. Freiheit existiert immer innerhalb von Beschränkungen. Und ein Spiel, in dem man tun kann, was auch immer man will, ist kein Spiel mehr." Spiel oder Botschaft? Aber können "Serious Games" überhaupt als Spiele angesehen werden? Kann etwas, das gar nicht versucht, Spaß am Spielen zu erzeugen, sondern Informationen und Meinungen zu transportieren, noch als Spiel durchgehen? In der Anleitung von "September 12th" erklärt Frasca jedenfalls selbst ausdrücklich: "Dies ist kein Spiel. Man kann weder gewinnen noch verlieren. Dies ist eine Simulation. Ein simples Modell, das man benutzen kann, um einige Aspekte des Krieges gegen den Terror zu untersuchen." Und genau daran krankt bisher die Mainstreamtauglichkeit von "Serious Games". Die Message ist wichtiger als das Gameplay. Das funktioniert prima bei einem Webgame wie "Kabul Kaboom", das wir kurz einmal auf einer Website anspielen. Ganz anders sehen unsere Erwartungen aber aus, wenn wir ein abendfüllendes Computerspiel vor uns haben. Ein Problem, an dem auch "Bad Day L.A." krankte: American McGee hatte mit diesem Spiel als erster gewagt, satirische Kommentare zu politischen Themen in das Zentrum eines Games mit Mainstream-Anspruch zu stellen. Dementsprechend vielschichtig ist das Spiel inhaltlich: ein farbiger und obdachloser Protagonist, der die Stadt der Reichen und Schönen vor dem Untergang retten soll. Ein computergesteuerter, wild um sich ballernder Sergeant, der George-W.-Bush-Zitate von sich gibt. Französische Terroristen, revoltierende mexikanische Gastarbeiter, Schrotflinten schwingende Rednecks: Hier werden so ziemlich alle amerikanischen Stereotype und Feindbilder auf die Schippe genommen. Doch spielerisch ist "Bad Day L.A." eher karg. Laufe zu Punkt X. Rette soundsoviele Personen. Töte soundsoviele Terroristen. Besiege den Endgegner. Durch die innovative Story fällt dieses wenig originelle Drumherum sogar doppelt auf. Die bissigen Satire-Elemente werden einfach in ein halbgares Egoshooter-Gameplay gesteckt. Die "Tagesschau" als Spielfilm Damit verbaut sich das Spiel jede Möglichkeit, die Message über das Spielen zu vermitteln. Stattdessen artikuliert sich das politische Statement von "Bad Day L.A." vor allem über sein absurdes Personal. Als Comic hätte dies sicher funktioniert. Beim Spiel schaltet man nach spätestens vier Stunden ab. Und dann hat auch die bestgemeinte Aussage keine Chance mehr. Wollen Mainstream-Games also erfolgreich Elemente der "Serious Games" umsetzen und damit eine noch breitere Zielgruppe für ihre Botschaften generieren, müssen sie die Kluft zwischen wichtiger Botschaft und lahmen Spielmechanismus überwinden und es schaffen, ernsthafte Messages in ein unterhaltsames Gameplay einzubinden. Ein Unterfangen, ungefähr so leicht, als wollte man die "Tagesschau" mit einem Spielfilm paaren. Unabhängig, überparteilich, Computerspiel? Und dennoch gibt es Hoffnung: Dass "Serious Games" sogar echtes Spielgefühl aufkeimen lassen können, beweist "Molleindustria" (italienisch für "weiche Industrie") mit seinen Games. Seit unter der Regierung des Großunternehmers und Medienmoguls Berlusconi kritische Berichterstattung in Fernsehen und Printmedien zunehmend eingeschränkt wurde, verbreitet diese Gruppe junger Kreativer ihren wirtschaftskritischen Standpunkt in Form von Flash-Games über das Internet. Sie übt in ihren "Serious Games" immer wieder Kritik an überholten Geschlechterrollen und vor allem dem Neoliberalismus, also der Minimierung der rechtlichen Beschränkungen und staatlichen Kontrollmaßnah- men über die Wirtschaft. Pressesprecher Paolo Pedercini erläutert: "Die ‚weiche Industrie' ist die heute dominante Industrie der Kopfarbeiter, deren Job ständig gefährdet ist. Wir verstehen uns als Gegner der aktuellen neoliberalen Weltordnung, in der die Rechte der großen Wirtschaftsunternehmen praktisch unbeschränkt sind." Entsprechend diesem Grundsatz ist ihr neuestes Spiel eine Abrechnung mit einem der internationalen Megakonzerne schlechthin: Das "McDonald's Videogame", eine Wirtschaftssimulation, bei der man Genmais anbauen, Viehfutter mit Industrieabfällen strecken, Regenwald roden und BSE-Kühe verschwinden lassen muss, um Verbraucherproteste zu vermeiden und in der harten Welt des Fast-Food-Business zu überleben. Doch trotz seiner industriekritischen Grundidee werden wir hier nicht mit einfachem Gameplay zu einer eindeutigen Interpretation geführt, die der Designer für uns vorgekaut hat. Das "McDonald's Videogame" lässt uns durchaus auch die Bedrängnis von Lebensmittelkonzernen spüren: Soll man nun das Tierfutter mit Knochenmehl strecken und somit Kosten sparen, dafür aber riskieren, dass Verbraucherverbände auf die Barrikaden steigen? Reicht eine Dritte-Welt-Hilfskampagne aus, um die Empörung der Kunden über den Anbau von genmanipuliertem Mais zu lindern? Das Spiel bietet komplexes Gameplay und vermittelt ein nicht minder komplexes Bild der Lebensmittelindustrie. Trotzdem - oder gerade dadurch - kommt so etwas wie Spaß am Spielen auf. Wir fühlen uns nicht wie ein Schulkind, das Punkt für Punkt die Lehrsätze des Entwicklers nachvollziehen muss. Wir dürfen tatsächlich spielen und werden dadurch zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema angeregt. Trotz solcher positiven Beispiele steht immer noch der Beweis aus, dass sich das Spielvergnügen auch über einen Zeitraum von zehn, zwanzig oder mehr Spielstunden in einem kommerziellen "Serious Game" aufrecht erhalten lässt. Der Grundstein für den Durchbruch zum Mainstream ist sicherlich gelegt. Jedenfalls hätte zu Zeiten von "Pong" niemand geahnt, dass eines Tages die US Army oder Greenpeace versuchen wür-den, mit Videospielen ihre Ansichten unter die Leute zu bringen. Aber vielleicht ist es ja gar nicht eine Frage der Machbarkeit. Vielleicht ist die Frage eher, ob die - zunehmend erwachsenen - Spieler wirklich wollen, dass auch ihre Spiele erwachsen werden. Gonzalo Frasca bleibt unsicher: "Ein Wandel im Gamedesign wird nur kommen, wenn wir anfangen, Games für alle Menschen zu machen. Doch dazu müssen wir uns mit unserer eigenen Menschlichkeit auseinandersetzen. Da ist kaum möglich in einem Entwicklerstudio mit 200 männlichen Teenagern, die alle Fans von Anime und Frauenfiguren mit großen Schwertern und noch größeren Brüsten sind. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben." Text: Danny Kringiel
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2006 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Tempo Kenz sagt:

    Ich finde es super, dass ihr das Thema „Serious Games“ ansprecht und kritisch reflektiert! „Serious Games“: ein scheinbarer Widerspruch, ein paradoxes Verhältnis, von zwei ungleichen Bedeutungen. Was ernsthaft (serious) ist kann doch nicht im Sinne eines Spiels (Games) Spaß machen, würde man vielleicht meinen… Aufjedenfall regt es zum nachdenken an und damit ist ja schonmal ein wesentlicher Schritt getan, hin zu einer bewussteren (unbewussteren?) Auseinandersetzung mit den Dingen um uns herum.