Gewagtes Solo

Gewagtes Solo

Nicht nur die weltschnellste Band, sondern vor allem auch Riesenfans von "Guitar Hero" sollten die Metaler von Dragonforce sein. Perfekte Partner für eine Expertenrunde zum zweiten Teil des Gitarrengames? Nicht ganz: Ein Missverständnis in vier Kapiteln

Ich sitze im Backstage-Bereich des Nokia Theatre, einem riesigen Konzertsaal mitten in Manhattan. Die Sessel sind weich, draußen gießen riesige Reklametafeln verschwenderisch ihr Licht über den Times Square. Touristen knipsen, schwer bepackt mit „I love NY“-Tüten, Sehenswürdigkeiten mit ihren Digitalkameras, New Yorker schubsen sie ungeduldig aus dem Weg, junge Typen verteilen Flyer für Musicals und Comedy-Shows. Ich habe gerade ein Interview geführt. Die Anzeige auf meinem Diktiergerät zeigt 18 Minuten und 45 Sekunden an. Und ich fühle mich so leer wie das Band dahinter. Nicht mal 19 Minuten, das bedeutet so viel wie: Eigentlich ist kein Gespräch zustande gekommen. Kein Gespräch über „Guitar Hero 2“. Metal ist durch. Die Röhrenjeans, die langen Haare, von den Posen auf der Bühne und den Endlosgitarrensoli ganz zu schweigen. Denkt man. Bis man bei einer Partie „Guitar Hero 2“ zu Megadeaths „Hangar 18“ euphorisch den Gitarrenhals in die Luft reißt – oder ein Konzert der Band Dragonforce besucht. Mit ihrem ultraschnellen, melodischen Thrashmetal, versetzt mit halsbrecherischen Soli, sind sie die Szenelieblinge der Stunde. Metallica-Bassist Kirk Hammett schwärmte jüngst über die Engländer: „Die schnellsten Gitarristen, die ich jemals gehört habe. Ich habe ein Video von ihnen gesehen, und ich schwöre bei Gott, die müssen 75000 Noten gespielt haben.“ Schüttelt die Metalgemeinde zu ihren Songs derzeit kollektiv die Haare, können selbst die hartgesottensten Fans über einen Spleen der Band nur den Kopf schütteln: Die Metaler bekennen sich nicht nur zu ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Games, sie behaupten auf ihrer Website sogar, dass ihr Songwriting stark vom Videospielen beeinflusst wird. Also eigentlich gar nicht verwunderlich, dass die Mitglieder dieser Band die neuen „Guitar Hero 2“-Botschafter sein sollen – oder so ähnlich. Denn ganz genau konnte uns bei der Plattenfirma niemand sagen, was Dragonforce mit dem Spiel zu tun haben. Die „Guitar Hero“-Macher seien aber auf jeden Fall große Fans der Band. Und tatsächlich: Auf der offiziellen Website zum Spiel finden sich einige Videomitschnitte, in denen die beiden Gitarristen Herman und Sam mit Redakteuren der amerikanischen Lifestyle-Website UGO.com „Guitar Hero“ spielen. Mehr ist nicht rauszufinden. Nicht im Netz, nicht über die Plattenfirma und nicht über den Publisher. Also auf nach New York, um die Band selbst zu fragen, denn sie ist gerade auf US-Tour. Herman, einer der Gitarristen von Dragonforce, und Sänger ZP Theart lassen sich in die Polster fallen. Die beiden wirken mit ihren hüftlangen Mähnen und schwarzen Klamotten wie Fremdkörper in diesem Interieur irgendwo zwischen Ikea und Designerloft. Kein Wunder: Wo Dragonforce an diesem Abend vor ausverkauftem Haus ihre Gitarren traktieren, wird zwei Tage später Rod Steward Massen von Mittfünfzigern verzücken. Egal, los geht’s. „Ich arbeite für ein deutsches Videospielmagazin, deshalb wird es hauptsächlich um Games gehen“, eröffne ich die Fragerunde im sicheren Glauben, sofort das Eis zu brechen. Doch nichts da. „Lass mich bloß in Ruhe mit dem Scheiß“, flucht der gut 1,90 Meter große Sänger und steht auf. Im Weggehen erinnert er sich offensichtlich daran, dass Dragonforce eigentlich nicht diese Sorte Metaler sind und grummelt ein etwas freundlicheres „Ich schick Sam rein, der mag so’n Zeug. Viel Spaß beim Interview“, und verschwindet. Sam ist der andere Gitarrist von Dragonforce. Er und Herman sind die Songwriter der Band – und hoffentlich auch die Videospieler. „Ich habe gehört, es gibt da so einen Deal mit Activision. Ihr promotet ,Guitar Hero 2‘ und seid auch mit einem Track im Spiel vertreten?“, wage ich einen neuen Anlauf. Sam und Herman lachen fast gleichzeitig los. „Ich habe ehrlich gesagt nicht mal eine Konsole“, prustet Sam raus. „Tatsächlich haben wir es nur einmal ganz kurz bei UGO angespielt“, erklärt Herman fast ein wenig schuldbewusst. Ganz kurz legt sich eine betretene Stille über die Runde. „Wir würden dir ja gerne helfen“, sagt Herman entschuldigend, „Denn das Spiel hat wirklich Spaß gemacht. Wir warten eigentlich immer noch darauf, dass wir eins geschickt bekommen. Und eine PS2 für den Tourbus.“ Also keine große Kooperation? Wenigstens stellt sich in dem kurzen Gespräch heraus, dass die beiden echte Gamefans der ersten Stunde sind. Sie lieben „Outrun“, „Ghouls’n’Ghosts“, aber auch neuere Sachen wie „Gitaroo Man“ und „Metal Gear Solid“. Trotzdem: Einen echten Grund, ein „Guitar Hero 2“-Interview mit den beiden zu führen, gibt es nicht. „Oh, ich bin mal dem Entwickler von ,Guitar Hero‘ begegnet, ich glaube in San Francisco“, fällt Herman dann doch noch ein. Für einen Moment ist die Enttäuschung wie weggefegt. Mag er eure Musik? Habt ihr Telefonnummern ausgetauscht? Was habt ihr geredet? „Nichts Richtiges. Ich war zu betrunken.“ Der Raum ist brechend voll. Altmetaller mit ihren Frauen, Gruppen von Mittzwanzigern in schwarzen Shirts und jede Menge Jugendliche, deren Eltern auf den Plastikschalensitzen im hinteren Bereich des Saales Platz genommen haben. Aus den Boxen dröhnt Musik. Slayer, Black Sabbath, Metallica … Metal-Klassiker eben. Und auf einmal füllt eine Melodie den Raum. Kantig, schnell, kompromisslos wie ein Metal-Song. Computerspielmusik aus dem Soundtrack von „Outrun 2“. Ich erinnere mich daran, wie Sam erzählt hat, dass sie die Musik, die vor ihren Konzerten läuft, immer selbst zusammenstellen. Und als Dragonforce auf die Bühne kommen und ihr erstes Lied beginnen, wird klar, was die beiden meinen, wenn sie sagen, dass ihre Musik von frühen Videospielsoundtracks beeinflusst ist. Die beiden tappen, shredden und bearbeiten ihre Gitarren fast wie Joypads, haben so viel Spaß dabei und entlocken ihnen so brillante wie einfache Melodien, wie wir sie aus den frühen Zeiten des Computerspiels kennen und lieben. Dazu die Menge, die mosht, Luftgitarre spielt und wahnsinnigen Spaß hat. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie die alle statt der Luft vor sich einen Gitarrenkontroller bearbeiten. Und auf einmal ist es gar nicht mehr so wichtig, ob Dragonforce nun offizielle Botschafter des Games sind oder nicht. Denn in diesem Moment scheint wirklich nichts so viel Lust auf eine Partie „Guitar Hero“ zu machen wie ein Konzert dieser Band. Zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus New York bekomme ich eine Mail vom Plattenlabel. Darin nichts als ein Bild von einem Tourplakat: „Guitar Hero 2 Vs. Dragonforce“ und „The Battle Begins“. Darunter wird erklärt, dass die Band auf ihrer Deutschlandtour gegen ihre Fans im „Guitar Hero 2“-Wettstreit antreten wird. Die besten Videos werden dann im Internet unter www.guitarhero2dragonforce.de gezeigt und können dort bewertet werden. Und das Einzige, was ich denke: Endlich bekommen die beiden ihr Spiel geschickt. Text: Benjamin Maack
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von Volker Hansch / November 10th, 2006 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. J. sagt:

    „Metallica-Bassist Kirk Hammett“
    …nicht ganz… :-)
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kirk_Hammett