Tomb Raider: Anniversary

Tomb Raider: Anniversary

Wie schon vor zehn Jahren macht sich Videospiel-Ikone Lara Croft in dieser Neuauflage ihres ersten Abenteuers auf die Suche nach einem sagenumwobenen Artefakt namens Scion. Wir haben sie begleitet

Der T-Rex ist groß, verdammt groß. Mit so einem gewaltigen Gegner hatte man es bis dahin noch nie zu tun. Wie gelähmt vor Angst kann man doch nicht anders, als das riesige Mons-trum zu bewundern, das sich unglaublich schnell auf einen zubewegt und mit jedem Schritt die Erde erzittern lässt. Der letzte Rest Verstand - jener Teil des Gehirns, der weiß, dass man sich nicht wirklich in einem vergessenen Tal befindet, das tief in den Berghängen Perus verborgen liegt - schreit: Es ist nur ein Computerspiel, es ist nur ein Computerspiel! Doch vergebens. Urinstinkte gewinnen die Oberhand, und man beginnt um sein Leben zu rennen, sucht panisch nach einer Möglichkeit, dem Ungetüm zu entkommen. Nur um wenig später festzustellen, dass alle Fluchtwege versperrt sind. Es bleibt keine andere Wahl, als den Kampf aufzunehmen. Das Spiel, das im Winter 1996 Millionen von Menschen dieses unvergessliche Erlebnis bescherte, hieß "Tomb Raider". Und revolutionierte die Spielwelt gleich in zweifacher Hinsicht. Mit der Hauptfigur des Spiels - einer übermenschlich akrobatisch begabten Archäologin namens Lara Croft - eroberte endlich auch eine starke Frau einen Platz in der ersten Liga der Computerspielhelden. Und mit weitläufigen Tempelanlagen und Höhlen schenkte es Videospielen eine umwerfende Weite und - im Falle des Dinosauriers - eine furchteinflößende Größe. Zehn Jahre und sechs Fortsetzungen später bringt der kalifornische Entwickler Crystal Dynamics nun mit "Tomb Raider: Anniversary" ein Remake des Originals heraus. Doch irgendetwas stimmt nicht. Zwar wirkt die Welt, durch die man sich bewegt, viel plastischer, der Dschungel lebendiger und die Berge imposanter. Und doch: Als man das verlorene Tal betritt, ist klar, was gleich passieren wird. Man freut sich zwar darauf, und, ja, man hat auch wieder ein wenig Angst. Doch obwohl auch der riesige Dinosaurier ein ganzes Stück imposanter daherkommt als vor zehn Jahren, will sich einfach nicht jenes ungläubige Staunen einstellen, das man bei der ersten Begegnung, dem ersten Mal "Tomb Raider", verspürt hat. Um heute etwas Ähnliches zu fühlen wie damals bei der Begegnung mit dem Dinosaurier, braucht es vermutlich die weite Landschaft und die riesenhafte Gestalt der Gegner eines "Shadow Of The Colossus". Bei "Tomb Raider: Anniversary" beschleicht einen das Gefühl, man hätte diesen Dino bereits vor Jahren erledigt.

Wider das Vergessen

Wozu brauchen wir also die Neuauflage eines Klassikers, der in unserer Erinnerung ohnehin unerreicht bleiben wird? "Genau genommen brauchen wir gar nichts außer Wasser und Brot", entgegnet Lulu LaMer schlagfertig. Die junge Frau mit dem malerischen Namen und der praktischen Kurzhaarfrisur ist die Produzentin von "Tomb Raider: Anniversary" und keineswegs um eine Antwort verlegen. ",Tomb Raider' begründete damals ein Genre und hat einen hohen Stellenwert in der Geschichte der Videospiele. Da sich unsere Technologien aber ständig weiterentwickeln, wachsen auch unsere Ansprüche, unsere Ideen davon, was gut aussieht und intuitiv zu bedienen ist. Alle, die heute das 'Tomb Raider' von damals zum ersten Mal spielen, werden daher nicht auf dieselbe Art erstaunt und begeistert sein, wie wir es vor zehn Jahren waren. Es ist zwar immer noch ein sehr gutes Spiel, aber aus heutiger Sicht fühlt es sich schlichtweg veraltet an." "Tomb Raider: Anniversary" soll also so etwas wie eine Übersetzung des Spieleklassikers von einst in die Seh- und Spielgewohnheiten der heutigen Generation sein. Das macht durchaus Sinn, denn jemandem, der mit Spielen wie "Doom 3" oder "Resident Evil 4" aufwächst, muss es vollkommen unverständlich erscheinen, dass man vor dem grünen Polygonklumpen, der einen T-Rex darstellen sollte, wirklich Angst gehabt hat. Womöglich lohnt es sich wirklich, gute Spiele in grafisch und spielmechanisch aufgebohrter Version erneut zu veröffentlichen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Schließlich hat die jüngere Generation von Videospielern den Dino noch nicht erlegt.

In neuem Glanz

Dessen ungeachtet sieht "Tomb Raider: Anniversary" schlicht und einfach besser aus als irgendein "Tomb Raider"-Spiel zuvor. Die Leveldesigner von Crystal Dynamics haben ganze Arbeit geleistet und die exotischen Schauplätze in Peru, Griechenland, Ägypten und dem sagenumwobenen Atlantis mit viel Liebe zum Detail neu aufgebaut. Auch die Leichtigkeit und Eleganz, mit der sich Lara durch unerforschte Höhlen und halb verschüttete Tempelruinen bewegen lässt, ist eine Wohltat. Es sieht einfach noch schöner aus als in "Tomb Raider: Legend", wenn sie sich mithilfe eines Seils über weite Abgründe schwingt oder - ganz neu - das Seil nutzt, um an Wänden entlangzulaufen. Lara kann jetzt außerdem mit viel Geschick auch auf kleinsten Oberflächen balancieren. So setzen die Sprungkombinationen in schwindelerregenden Höhen noch mehr Adrenalin frei. Auch die Rätsel haben ein Update bekommen, ohne aber die Nostalgiker unter den Spielern zu verprellen. Denn viele der alten Herausforderungen wurden geschickt variiert: Sie sind nahe an ihrer ursprünglichen Form, stellen aber trotzdem auch einen Spieler, der das Original im Schlaf durchspielt, vor neue Herausforderungen. "Wir wollten ein Werk schaffen, das in vielerlei Hinsicht an das Original erinnert, sich aber dennoch vollkommen neu anfühlt", erklärt Lulu LaMer, "es gibt in dem Spiel aber auch viele versteckte Areale und Fallen, die im Original nicht einmal angedacht waren." Trotzdem: Wer das Original kennt, hat in "Tomb Raider: Anniversary" beständig den Eindruck, als hätte er zugleich ein altbekanntes und ein vollkommen neues Spiel vor sich. So reiht sich beim Spielen von "Tomb Raider: Anniversary" zwar ein Déjà-vu an das nächste, wenn man zum Beispiel das erste Mal seinen Fuß in das Grab von Qualopec setzt oder das riesige unterirdische Kolosseum betritt. Doch die Dichte der Fallen und die Intelligenz der Gegner, die sich einem in den Weg stellen, wurden an vielen Stellen erhöht. Um nun an diesen Orten überleben zu können, ist weit mehr Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen gefragt als in der ursprünglichen Fassung. Aber in einem gleichen sich Original und Remake absolut: Noch immer braucht es sorgfältige Vorausschau und viel Geduld, um "Tomb Raider" zu meistern. Und wenn dann ein besonders kniffliges Rätsel gelöst ist oder die Archäologin, nachdem sie Dutzende Male mit einem Schrei eine raue Felswand hinabgestürzt ist, endlich mit Leichtigkeit von einem Vorsprung zum nächsten hechtet, dann verspürt man noch immer dieselbe unglau-liche Begeisterung wie vor zehn Jahren - als man voller Spannung das erste Mal die Welt von "Tomb Raider" betrat.

Das Spiel

Im letzten Jahr erlebte Lara Croft mit "Tomb Raider: Legend" ein furioses Comeback. Viele erwarteten, dass nach der spielerisch und kommerziell geglückten Wiederbelebung der Archäologin bald ein echter Next-Gen-Nachfolger erscheinen würde. Als Eidos stattdessen ein Remake des ersten Teils ankündigte, das zunächst auf keiner der neuen Plattformen erscheint, waren viele verdutzt. Und als das zum zehnjährigen Jubiläum der Serie geplante Remake zur Geburtstagsparty nicht fertig wurde, erntete "Tomb Raider: Anniversary" Hohn und Spott. Das nun endlich vorliegende Remake straft seine Kritiker jedoch Lügen. Dass es fulminanter aussieht, ist so viele Jahre später eine Ehrensache. Aber dass es sich derart intuitiv spielen würde, dass selbst tausendmal gesehene Sprungeinlagen und Schie-bepuzzles noch immer enormen Spaß machen, ist ein kleines Kunststück. Denn schließlich erschienen in der Zwischenzeit Genreklassiker wie "Prince Of Persia - Sands Of Time" oder "God Of War 2". Und dass das Gameplay, in Höhlen herumzukraxeln, um nach einem Artefakt zu suchen, auch Jahre später noch funktioniert, beweist eine in Games seltene Tugend der Zeitlosigkeit. Zugegeben: Ein Next-Gen-Remake wäre trotzdem toller gewesen, und an die oben genannten Superspiele der Jetztzeit kommt das Ganze auch nicht ran - dafür ist die Kamera zu oft um filmreife Perspektiven bemüht und das Spiel einen Tick zu unspektakulär. Aber spektakulär muss es auch gar nicht sein, denn "Anniversary" ist auch so der gelungenste Teil der Serie. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ähh... nachträglich.

Fazit

Remake hin, T-Rex her: "Tomb Raider: Anniversary" sieht nicht nur gut aus, es ist auch das beste "Tomb Raider", das es je gab - nach dem Original, versteht sich. Für Freunde von "Prince Of Persia: The Sands Of Time", "Indiana Jones", "Beyond Good And Evil"

"Lara ist mein Boss"

Begonnen hat Lulu LaMer ihre Karriere in der Computerspielbranche 1998 als Spieletesterin. Für "Tomb Raider: Anniversary" hat sie zum ersten Mal im Produzenten-sessel Platz genommen. Uns gab sie Einblicke in ihren Arbeitsalltag. Was fasziniert dich persönlich an Lara Croft und den "Tomb Raider"-Spielen? Lulu LaMer: An Lara mag ich vor allem ihre Ambivalenz. Einerseits ist sie die gebildete englische Dame mit dem trockenen Humor und andererseits die Wahnsinnige, die mit zwei Uzis auf wilde Wölfe ballert und dabei auch noch Rückwärtssalti vollführt. Auch während des Spielens erlebt man dieses Wechselbad zwischen schweißtreibenden Actionpassagen und eher ruhigen Momenten, in denen man Tempel und Grabkammern erforscht und über die Lösung von Rätseln nachdenkt. Gab es Ideen, die sich bereits in der Entwicklung befanden, aber nicht in das fertige Spiel mit aufgenommen werden konnten? Aber sicher. Hätten wir die Wahl, wären wir wohl auf ewig damit beschäftigt, dem Spiel den letzten Feinschliff zu geben. Es gab da auch ein paar gewagte optische Experimente mit Laras körperlichen Attributen, die es aus gutem Grund nicht in die finale Version geschafft haben - schließlich mussten wir ja auch an die Jugendfreigabe denken. Laras Schöpfer Toby Gard hat sich mehrmals kritisch über die bizarren Proportionen seiner Schöpfung geäußert. Täuscht das, oder habt ihr Laras Oberweite im Vergleich zu "Tomb Raider: Legend" wieder ausgebaut? Das täuscht! Wir haben seit dem letzten Spiel wirklich kaum etwas an Lara verändert. Etwas weniger Make-up, das war's. Kleiner Modetipp: eng anliegende Längsstreifen eignen sich hervorragend zur optischen Vergrößerung von Körperrundungen. Aber Vorsicht: Das gilt für alle Rundungen! Besten Dank! Fühlst du dich Lara eigentlich sehr nah? Während des Spielens auf jeden Fall. Unserem Team ist es wirklich gut gelungen, Lara lebendig wirken zu lassen und sie mit einer Persönlichkeit auszustatten. Außerdem stelle ich mir gerne vor, dass Lara mein Boss ist. Es macht Spaß, sie persönlich für die vielen Wochenenden verantwortlich zu machen, an denen wir für dieses Spiel Überstunden schieben mussten. Es ist das erste Mal, dass du ein Spiel produzierst. Gab es einem Moment während der Arbeit an "Tomb Raider: Anniversary", der dir richtig Angst gemacht hat? Hmm... als wir einmal für alle Mitarbeiter Tacos zum Mittag bestellt hatten, mussten wir mit Entsetzen feststellen, dass kein Bier mehr da war. Ich möchte wirklich nicht darüber sprechen. Text und Interview: Oliver Klatt
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von Volker Hansch / Juli 10th, 2007 /

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