„Spaß und Genuss“

"Spaß und Genuss"

Sid Meier ist erfolgreich. Extrem erfolgreich. Er schuf unsterbliche Klassiker wie "Civilisation", "Pirates" oder "Railroad Tycoon" und besitzt seit 1996 seine eigene Firma. Er könnte sich wie seine Kollegen Häuser mit Dungeons bauen oder Ferrari fahren. Macht er aber nicht. Er leitet den Kirchenchor. Ein Gespräch mit einem überaus behaglichen Mann

GEE: Deine populärste Reihe "Civilization" beschäftigt sich mit Strategie und Diplomatie unter Imperien. Wie beurteilst du die Nachricht, dass George W. Bush den Dalai Lama empfangen hat, obwohl die Chinesen toben? War das strategisch klug? Sid Meier: Grundsätzlich sollten wir Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Welt empfangen. Es ist sicher wichtig, gute Beziehungen zu China zu halten, aber die Schwierigkeiten, die sie mit dem Dalai Lama haben, sind kaum zu rechtfertigen. Die Situation ist kompliziert, aber unterm Strich hat Bush richtig entschieden, den Dalai Lama zu empfangen und auszuzeichnen. Ich frage das, weil die Religion in "Civilization" mittlerweile eine große Rolle spielt und das wohl auch in deinem Privatleben tut. Du hast deine Frau im Kirchenchor kennen gelernt. Singt ihr dort immer noch? Ja, ich bin der Leiter der Musikgruppe. Ich spiele das Piano, suche die Stücke aus und leite die Übungsstunden. Es ist ein tolles Hobby, ich genieße es sehr. Mein Sohn spielt Gitarre, meine Frau singt. Wir spielen zeitgenössische christliche Musik. Wie wichtig ist dir der Glaube? Er ist Teil meiner Persönlichkeit und gibt mir einen moralischen Leitfaden. Er erinnert mich daran, dass einige Dinge wichtiger sind als ich selbst, und hilft mir, ein guter Mensch zu sein. Jeder braucht so einen Kompass. Religion ist nur ein mögliches Mittel dazu. In "Civilization IV" lässt sich eine Gesellschaft, sobald sie irgendeine Religion angenommen hat, nicht mehr zum Atheismus "zurück" entwickeln. Genau das versuchen aber in den USA gerade einige Bestsellerautoren wie Daniel Dennett oder Richard Dawkins, die mit ihren Büchern radikal für Atheismus, Rationalismus und Wissenschaft als einzig mögliche Säulen einer zivilisierten Gesellschaft eintreten. Ich kenne diese Sachen und sehe sie als Reaktion auf den Missbrauch der Religion durch unsere Regierung in den letzten Jahren. Wegen der Handlungen des Präsidenten muss jetzt die ganze Religion als Sündenbock herhalten. Eigentlich würde man erwarten, dass ein Designer und Programmierer auch für reinen Rationalismus steht. Ich habe Biologie und Physik studiert und weiß, dass Wissenschaft und Religion sich nicht immer auf Augenhöhe treffen können. Wer wissenschaftliche Prinzipien auf den Glauben und religiöse Prinzipien auf die Wissenschaft anwendet, macht einen Fehler. Ich sehe keinen Widerspruch darin, einerseits rational und andererseits religiös zu sein. Spiritualität bringt einen nicht in allen Bereichen weiter, Rationalismus beantwortet ebenso nicht alle Fragen. Du bist, nach "Mario"-Erfinder Shigeru Miyamoto, der zweite Entwickler gewesen, der mit einem Eintrag in der AIAS Hall Of Fame geehrt wurde und wirst häufig als "Vater des Computerspiels" bezeichnet. Das ist bestimmt gut für das Selbstvertrauen. Ich bin schon sehr glücklich über solche Auszeichnungen. Praktisch gesehen helfen sie, wenn ich mal ein Konzept gegen andere durchsetzen muss. Die mögen meine Idee dann für nicht so gut halten, lassen mich aber trotzdem machen, weil ich diesen Status habe. Solange ich das nicht blödsinnig ausnutze, schenkt mir das große Freiheiten. Es ermutigt. Wie auch in Musik oder Literatur hat jeder Designer eine andere Herangehensweise im kreativen Prozess. Wie ist deine? Ich starte sehr abstrakt, sehr allgemein. Es beginnt immer mit der Grundidee, warum ein Spiel Spaß machen könnte: Ich will jetzt Pirat sein und auf den Weltmeeren herumfahren. Ich will Anführer einer Zivilisation sein. Der Spieler soll in eine Rolle schlüpfen können. Der Gestaltungsprozess nimmt dann die verschiedensten Wege, um das eine große Ziel zu erreichen. Ein bisschen wie beim Musizieren. Auch hier liegt der große Spaß in der Balance zwischen dem, was du bereits kannst und was dir vertraut ist, und dem, was du noch niemals ausprobiert hast. Gerade weil du die grundsätzlichen Regeln und Techniken blind beherrschst, gewinnst du die Freiheit, mit ihnen etwas Neues zu machen. Das rationale, technische Verständnis ist die Basis aller Kreativität. Ich bin ein großer Fan von Johann Sebastian Bach, da kann man dieses Prinzip beobachten. Er war ein meisterhafter Organist, das heißt, er konnte alles spielen, was er sich ausdachte. Er griff dabei immer auf einen festen Werkzeugkasten zurück, bastelte damit aber unfassbare Kompositionen. In unserem Werkzeugkasten stecken auch feste Routinen, Interface-Strukturen oder 3D-Grafiksysteme, aber wir bauen jedes Mal eine neue Welt damit. Nur rational zu sein klappt genauso wenig, wie nur kreativ zu sein. Deine Games sind rundenbasiert. Wenn dein Arbeitstag es auch wäre, in welche Runden würde er sich aufteilen? In der ersten Runde am Morgen dusche ich und habe die meisten Ideen unter dem rauschenden Wasser. Dann mache ich mir noch daheim eine Liste, was ich tun will. Im Büro checke ich meine Mails und erarbeite mir eine Übersicht. Runde 2: Ich lege mit den schwierigsten und kreativsten Aufgaben los, denn in den ersten Stunden des Tages bin ich am produktivsten. Später erledige ich dann die Dinge, bei denen ich nicht viel denken muss. Schlussendlich arbeite ich, bis ich alles geschafft habe, was in meinem Kopf herumschwirrt, egal, wie lange es dauert. Runde 3 und Runde 4 sind ein gutes Essen und Entspannung. Du spielst aber nicht wie andere die Rolle des manischen Workaholics? Nein, schon deshalb nicht, weil ich meine Arbeit nicht als Arbeit betrachte. Sie ist eine der vielen spaßigen Beschäftigungen meines Tages, ich trenne sie nicht von der so genannten Freizeit. Sie steht auf derselben Ebene wie Bücher lesen oder Gitarre spielen lernen. Wer deine Spiele spielt, versteht die Welt und ihre Konflikte besser. Wie hast du deinem Sohn, als er klein war, die Welt erklärt? Vom Kleinen ins Große. Erst geht es darum, wie man die Menschen um sich herum behandelt, bevor man sich Gedanken über die ganze Welt macht. Heute sind junge Leute von so vielen Informationsquellen und Einflüssen umgeben, dass es umso wichtiger ist, dass sie ein wenig Orientierung bekommen. Trotzdem hören sie natürlich nicht. Was du auch sagst, sie hören dir einfach nicht zu. (lacht) Du musst für sie da sein, wenn sie dich brauchen, und sie ansonsten machen lassen, mit sachter, unmerklicher Hilfe. Du kannst nur vorleben, was du für richtig hältst. Ich denke, es funktioniert. Mein Sohn ist ein guter Junge. Wir können sehr gut Computerspiele zusammen spielen. Das ist auch eine gute Gelegenheit, miteinander zu reden und zu lernen, dass man eine Sache manchmal sechs Mal probieren muss, bevor sie klappt. Wir haben eine prima Zeit. Bist du ein Sammler? Nein. Teil des Umzugs vor zwei Jahren war es, 90 Prozent meiner Bücher auszusortieren. Vieles flog raus. Einige der alten Computer, eine Menge Zeug. Ich bin alles andere als ein Sammler. Mich interessiert das nächste Buch, das ich lesen werde, immer eher als das letzte, das ich gelesen habe. Meine Frau muss mich sogar davon abhalten, die Sammlung meiner eigenen alten Spiele auszudünnen. (lacht) Lebt ihr ländlich? Wir leben am Rand von Baltimore, bloß 500 Meter von der Firma entfernt. Kirche, Restaurants und Geschäfte sind nah. Sehr bequem. Einige deiner Kollegen gönnen sich Häuser, die Architektur gewordene Jungsträume sind, mit Wasserfällen im Treppenhaus oder eigenen Dungeons. Habt ihr daheim irgendwelche Extravaganzen? Ich habe drei Gitarren und bräuchte nur eine. (lacht) Wir sind neulich sogar in ein kleineres Haus umgezogen und haben eine Menge ausgemistet. Was ich mir gönne, sind Extrazimmer für jedes meiner Interessen. Eine schöne Bibliothek für die Bücher, ein Musikzimmer mit Keyboard, Synthesizer und den drei Gitarren. Ich besitze keine Yachten oder Lamborghinis, ich gehe nicht in die Breite, sondern intensiviere die paar Dinge, die mich interessieren. Neulich haben mein Sohn und ich ein nettes ferngesteuertes Flugzeug gekauft, mit dem wir viel Freude haben. Meine Frau muss nicht kochen, weil wir uns leisten können, ständig essen zu gehen. Wir genießen das Leben, das wir bereits haben. Wir müssen uns nicht noch ein neues dazuerfinden. Gibt es eine Tätigkeit, die du hasst? Ganz ehrlich? Ich kann nicht gut mit anderen Menschen umgehen. Wenn ich mich vier Stunden auf einer Party aufhalten und mit fremden Leuten quatschen soll, ist das nicht gerade ein Vergnügen für mich. Ich ziehe ein gutes Buch jederzeit vor. Vielleicht machst du eines Tages ein Spiel, in dem man Partys überleben muss. Mit einer KI, die Small Talk generiert. Eines Tages werden wir uns einfach gegenseitig unsere Blackberrys hinhalten, auf deren Displays dann steht, worüber man gerne reden würde und welche Interessen man teilt. So ließe sich der ganze "Wie geht's dir?"- und "Guck mal, das Wetter!"-Quatsch überspringen und wir könnten direkt über etwas Interessantes reden. Spiele sind auch Kinder ihres Schöpfers. Hast du Lieblingskinder? Wie bei echten Kindern auch bevorzugt man keines, aber man beobachtet, dass sie verschiedene Wesensarten ausbilden. "Civilization" ist das zielstrebige und erfolgreiche Kind, das die Welt erobert. "Pirates" ist der Lausbube, der Spaß sucht. Sie haben verschiedene Persönlichkeiten. Gibt es ein wütendes Kind? Ein unverstandenes? Unverstanden sind einige, wütend ist keines. Alle Spiele entstanden um eine Grundidee von Spaß und Genuss herum, Aggressivität treibt sie niemals an. Sid Meier, 53, ist ein Mann des Maßes. Seine Frau lernte er im Kirchenchor der evangelisch-lutherischen Kirche kennen. Seinen ersten bedeutsamen Geschäftspartner Bill Stealey beeindruckte er 1981, indem er ihn in der Spielhalle an einem Flugsimulator besiegte, weil er sofort dessen Programmierprinzip durchschaute. Ein Jahr später gründeten die beiden Micro Prose. Bis 1994 entstanden dort die Klassiker "Pirates", "Railroad Tycoon", "Colonization" und der erste Teil von "Civilization", aber auch diverse Kriegsspiele wie der Flugsimulator "F-15 Strike Eagle" oder das U-Boot-Spiel "Silent Service". 1994 wurde die Firma von Spectrum Holo Byte gekauft, 1996 gründete Meier sein eigenes Entwicklungshaus Firaxis. Hier entstanden Computerspiele wie "Gettysburg", "Alpha Centauri", "Sim Golf" oder kürzlich "Railroads". Zurzeit arbeitet Sid Meier an "Civilization: Revolutions", das mit einem schnellen Gameplay und humoristischen Elementen das Echtzeit-Strategie-Genre erstmals auch auf Konsolen funktionieren lassen soll. Interview: Oliver Uschmann
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von Volker Hansch / Dezember 10th, 2007 /

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