„Ich war früher böse“

"Ich war früher böse"

Peter Molyneux hat die Fäden in der Hand. Immer schon. Er erfand die Göttersimulation und brachte Handlungsspielraum in die virtuelle Welt. Er überlässt den Spielern die wichtigen Entscheidungen. Er lässt Leben leben. Ein Gespräch darüber, wie er seines führt, was ihn leitet und welche Entscheidungen er womöglich bereut

Es geht in allen Ihren Spielen darum, Entscheidungen zu treffen und dann die Konsequenzen zu tragen. Sind Sie persönlich ein entscheidungsfreudiger Mensch? Ich vertraue schon mein ganzes Leben den Entscheidungen, die mein Unterbewusstsein fällt. Ich sage mitten im Essen aus heiterem Himmel zu meiner Frau: "Lass uns in die Ferien fliegen, nach Teneriffa, für drei Tage!" Ich bin absolut spontan und kein Planer, der zwei Stunden darüber nachdenkt, was er warum tun sollte. Und das geht immer gut? Ich glaube so fest an die Zuverlässigkeit meines Unterbewussten, dass ich selbst wenn es schief läuft, darauf vertraue, dass am Ende etwas Gutes und Sinnvolles daraus erwächst. Dieses Urvertrauen fließt direkt in meine Arbeit ein. Folglich glauben Sie an Schicksal? Ich glaube daran, dass unser Unterbewusstsein weitaus mehr leistet, als wir glauben. Wenn ich ein Problem lösen möchte, muss ich nicht dasitzen und bewusst darüber brüten. Ich stelle mir die Aufgabe, es zu lösen, gehe ins Bett und wache mit der Lösung auf. Sie haben heute sehr viel Einfluss und Macht. Engt Sie diese Verantwortung manchmal ein? Als größte Verantwortung empfinde ich es, den sehr hohen Erwartungen gerecht werden zu müssen, die die Menschen an meine Spiele haben. Das führt auf bizarre Art zu Einschränkungen der künstlerischen Freiheit, denn ich kann nicht jeden Blödsinn umsetzen. Auf der anderen Seite treibt mich das zu sehr mutigen Schritten: In "Fable 2" zum Beispiel haben wir einen Hund erfunden, der den Spieler nicht als Kampfpartner, sondern als Freund begleitet, um eine emotionale Bindung zu erzeugen. Das ist sehr untypisch und zeigt, dass ich durchaus Freiheiten habe. Denn solchen Ideen hätte zu "Populous"-Zeiten niemand zugehört. Meine Bank hätte mir nicht mal 500 Euro dafür geliehen. Heute müssen mir alle zuhören. Zugleich sind die Konsequenzen natürlich gigantisch geworden. Ich kann nicht sagen "Hey, wir haben da als Feature einen intelligenten, sich entwickelnden Hund erfunden, wissen aber noch nicht ganz genau, ob wir ihn wirklich einbauen", wenn dieser Hund ein paar Millionen Euro Entwicklungskosten verschlingt. Eine wichtige Entscheidung in "Fable 2" soll sein, ob der Spieler eine abenteuerliche Karriere anstrebt oder ob er eine Familie gründet. Richtig. Man kann auch beides gleichzeitig machen, aber das wird sehr viel anstrengender. Im Ihrem Leben haben Sie das geschafft. Ach nein, hören Sie auf, das habe ich nicht! Nicht? Sie haben Kinder, Sie sind verheiratet. Ja, weil ich zuerst die Karriere gemacht habe. Als erstes habe ich meine Firma Bullfrog aufgebaut. Zu der Zeit hatte ich eine Freundin, aber keine Familie. Dann habe ich die zweite Firma gegründet, Lionhead. Und erst während dieser Zeit wurde ich langsam mit einer Frau sesshaft. Geheiratet haben wir sogar erst im vergangenen Jahr. Aus meiner vorherigen Beziehung existiert zwar ein erwachsener Stiefsohn, aber mein erstes eigenes Kind Lucas wurde erst vor fünf Jahren geboren. Ich habe also alles umgekehrt gemacht: Anstatt mit 30 Jahren Frau und Kind zu finden, wie es die meisten tun, wartete ich, bis ich über 40 Jahre alt war. Ich habe geschummelt. Sie haben mal gesagt, dass jeder Ihrer Mitarbeiter im Grunde familienlos sein müsste, da dieser Beruf alle Zeit einnimmt. Das ist wahr. All deine Aufmerksamkeit muss auf das aktuelle Spiel konzentriert sein. Gerade befinden wir uns in der Endphase von "Fable 2", und speziell die Köpfe meiner Designer sind restlos gefüllt mit Features, Details und Problemen. Meine Chefdesigner haben sehr verständnisvolle Ehefrauen, die wussten, worauf sie sich einlassen. Ist es allerdings Zufall, dass sie beide keine Kinder haben? Kinder kümmert es nicht, wie hart dein Arbeitstag war. Sie können sich also nur eine Familie leisten, weil Sie der Boss sind? Ich programmiere nicht mehr. Das letzte Spiel, für das ich einen bedeutsamen Teil selbst programmiert haben, war der erste Teil von "Black & White". Früher fühlte mich für alles zuständig, heute habe ich dafür eigene Teams. In Phasen wie jetzt miete ich aber in der Nähe der Firma eine Wohnung und fahre nur am Wochenende zu meiner Familie. Würde ich über die Woche bei ihnen sein, wäre ich zu nichts zu gebrauchen. Ich könnte kaum sinnvolle Sätze sprechen, da mein Kopf keinen Platz mehr für anderes hat. Wahrer Reichtum besteht also aus Zeit und einem klaren Kopf? Vor allem aus dem Eingeständnis, dass in deinem Kopf der Platz erst mal geschaffen werden muss, um klar denken zu können. Dass man eben nicht gleichzeitig ein brillanter Vater, Gatte, Geschäftsmann und Designer sein kann. Nicht im selben Moment. In"Fable 2" kann man alles käuflich erwerben. Im echten Leben können Sie persönlich das auch. Wie wichtig ist Ihnen Ihr Vermögen? Es ist ein wunderbares Gefühl, ein schuldenfreies Leben zu führen. Darüber hinaus ist es merkwürdig, in ein Geschäft gehen zu können und zu wissen, dass wegen des Kaufs eines neuen Computers oder gar eines Autos niemand hungern wird. Das ist unglaublich. Reichtum eröffnet Optionen. Aber er ermöglicht nicht automatisch Glück. Ich kenne Leute, die zwar reich wurden, deren seelische Struktur aber keine Option fürs "Glücklichsein" kennt. Die kann das Geld dann auch nicht herbeizaubern. Nähmen Sie mir all mein Geld, bliebe ich weiterhin ein passionierter Designer, Vater und Ehemann. Das ist der Punkt. Ich behalte es allerdings trotzdem lieber. (lacht) Anfang der achtziger Jahre haben Sie in kleinem Rahmen Spiele unter dem Firmennamen "Tauras" verkauft, gaben sich aber gerne als Manager der größeren Company "Touras" aus. Ist es bis heute so, dass man in diesem Business ein Rollenspiel aufziehen muss? Ich mache das im Prinzip jedes Mal, wenn ich der Presse ein neues Spiel vorstelle. Man muss sich klar machen, was da passiert: Ich beschreibe etwas, das zu diesem Zeitpunkt noch in keiner Form existiert. Ich schwärme davon, wie es sich anfühlt, ein Spiel zu spielen, das lediglich in meinem Kopf abläuft. Meine ganze Laufbahn fühlt sich generell häufig wie ein Rollenspiel an. Vor Geschäftsleuten oder meinem Bankdirektor spiele ich den Firmenchef und bin ernst und seriös. Vor der Presse spiele ich den verrückten, schwärmerischen Kreativen. Geschäftsleute scheinen vor Kreativen Angst zu haben. Sie halten sie für unberechenbar und unverlässlich. Ich stelle mich auf solche Vorurteile ein. "Fable 2" ist fast fertig. Früher hatten Sie Probleme, weil Sie Features in Spielen angekündigt haben, die dann nicht enthalten wahren. Das geht auf zwei Probleme zurück. In manchen Interviews werde ich sehr enthusiastisch, wenn ich von neuen Projekten erzähle, ich kann das kaum beschreiben. Mir stehen dann Tränen in den Augen, was die Journalisten überaus irritiert. Was macht der? Der heult! Ich bin so im Rausch, dass ich alle Verabredungen mit der PR-Abteilung vergesse und Ideen verrate, die längst nicht ausgereift sind. Einmal öffentlich gesagt, müssen die dann aber umgesetzt werden. Manchmal geht das schlichtweg nicht. Das ist das eine. Viel häufiger rede ich aber von Features, die bereits Teil des Spiels sind. Eingearbeitet, vorzeigbar. Doch gegen Ende der Produktion merken wir dann, dass sie im fertigen Spiel keinen Sinn mehr ergeben. Haben Sie wirklich schon einmal Morddrohungen deswegen bekommen? Ja, zu Zeiten von "Dungeon Keeper". Der Höhepunkt war ein Drohbrief, in dem der Typ ankündigte, mich am Wochenende aufzusuchen und zu erschießen. Dieser Brief ging an mich und ein Magazin. Ich ignorierte ihn, aber die Redaktion der Zeitschrift alarmierte die Polizei. Sie ging dem nach, brach seine Wohnung auf, fand den Mann nicht und bewachte mein Haus das ganze Wochenende lang. Drinnen war ich mit meinem Entwicklerteam eingeschlossen, denn wir entwickelten "Dungeon Keeper" damals in meinem Haus und befanden uns wie jetzt gerade in der Endphase. Stellen Sie sich das mal vor: Sie entwickeln ein Dungeon-Spiel, draußen liegen Scharfschützen im Busch, die Nacht bricht an, und niemand traut sich vor die Tür. Am Ende stellte sich alles als böser Scherz heraus, und die aufgebrochene Wohnung gehörte einem ganz anderen Mann. Aber das waren aufregende Zeiten. Man sollte also am besten gar nichts verraten, das noch nicht fertig ist. Es ist so schwer. Ich würde jetzt am liebsten schon mit unserem nächsten Projekt herausplatzen! Manchmal allerdings schummele ich auch und werfe Ideen nur in den Raum, um zu testen, ob sie die Leute langweilen oder nicht. Ich war früher oft böse. Bei "Fable 2" versuche ich, verantwortungsvoller zu sein. Wenn Sie Ihr reales Leben komplett neu laden und von vorn gestalten könnten, was würden Sie verändern? Ich würde versuchen, weitaus früher meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Wer würde das nicht? (lacht) Aber sonst? Ich wache noch heute fast jeden Morgen auf und kann kaum glauben, in welcher Position ich bin. Der Weg vom Außenseiter, der in der Schule in keinem Fach aufpasste und nur träumerisch aus dem Fenster sah, zu dem Mann, der ich heute bin, war eine unglaubliche Reise. Und wie gesagt: Ich habe das alles niemals bewusst geplant. Ich habe immer von Tag zu Tag gelebt und versucht, das beste Spiel zu gestalten. Ohne Gedanken an morgen. Das würde ich vielleicht ändern. Ein wenig mehr Planung, mehr Voraussicht sowie Frau und Kind bereits in meinen Zwanzigern statt erst mit 40 Jahren. Würde es Sie freuen, wenn Ihr Sohn in Ihre Fußstapfen treten würde? Ich sprach gerade die Tage mit Lucas darüber, was er machen will, wenn er groß ist. Er sagte: "Daddy, ich möchte gerne einen Schreibtisch neben deinem und Spiele erfinden, die deine übertreffen!" Mit zehn Jahren sagt er das wahrscheinlich nicht mehr, aber es würde mich ehren. Mein nicht-leiblicher Sohn Dimitri studiert aber bereits Informatik und wird in die Spielebranche gehen. Peter Molyneux, 47, ist der Designer der Macht, der Moral und der Verantwortung. 1987 gründete er mit Les Edgar die Firma Bullfrog und erfand mit "Populous" das Genre der Göttersimulation. Maximale Freiheit in den spielerischen Handlungen war von Anfang an seine Maxime. Spiele wie "Dungeon Keeper" oder "Syndicate" erschufen schon damals lebendige Parallelwelten. 1997 verließ er Bullfrog, um mit Lionhead seine zweite Firma zu gründen. Hier erschuf er ambitionierte und viel kritisierte Spiele wie "Black & White", "Fable" oder "The Movies" und veränderte seine eigene Rolle nach und nach vom Macher zum ausführenden Produzenten und Repräsentanten. Seit 2006 ist Lionhead Teil der Microsoft Game Studios. Sein Lebenswerk ist geadelt durch einen Eintrag in die AIAS Hall Of Fame, eine Ehrendoktorwürde der Universität von Southampton, den Titel "Chevalier de l'Ordre des Arts et Lettres" der französischen Regierung sowie einen Orden des British Empire. Peter Molyneux lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Guildford bei London.

Peter Molyneuxs Meisterstücke

2001

In "Black & White" herrschen wir als Allmächtiger über ein Volk. Unsere guten oder bösen göttlichen Launen vollstreckt eine selbst dressierte Kreatur. Viele Spieler waren anfangs enttäuscht von dem Game, was jedoch weniger an der Qualität als an den hohen Erwartungen lag.

1993

Im Cyberpunk-Setting von "Syndicate" arbeitet der Spieler für einen multinationalen Konzern. Diese Mischung aus Strategie und Action nahm durch ihr nonlineares Gameplay vieles vorweg, mit dem "GTA" später berühmt wurde.

1989

"Populous" markiert die Geburtsstunde der God Games. Damit sich die eigenen Untertanen in den 500 Welten des Spiels ansiedeln können, muss der Spieler die Sandwüsten und Vulkanlandschaften zunächst bewohnbar machen. Den Computergegner hält man sich durch Naturkatastrophen wie Sintflut oder Erdbeben vom Hals. Interview: Oliver Uschmann
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von Volker Hansch / April 10th, 2008 /

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