Fable 2
Wir sind Helden: Wo andere Spiele aufhören, fängt "Fable 2" erst an. In keiner Fantasywelt ist man so sehr berühmt-berüchtigter Superstar wie hier
Das sollen wir sein? Wenn "Fable II" nach einem Präludium endlich seinen Vorhang ganz öffnet, macht sich erst einmal Irritation breit. Wir sehen eine Wagenbausiedlung im Lande Albion, die Natur zeigt sich von ihrer schönsten Seite - nur unsere Figur tapst unscheinbar in der Gegend herum. Da wandelt keine Elfenschönheit durch die Auen, und kein Muskelprotz mit hochgegelten Haaren trägt seine Eitelkeit spazieren, im Gegenteil: Die Hauptperson von "Fable II" ist der Gipfel an Unauffälligkeit. Größe und Körperbau sind durchschnittlich, sie ist neutral gekleidet und besitzt keine prägnanten Gesichtszüge. Der Mensch, in dessen Haut wir schlüpfen sollen, ist ein unbeschriebenes Blatt, ein Nichts. Und das ist gut so. Denn obwohl sich das Spiel viel Mühe mit seiner Geschichte gibt, geht es in "Fable II" nicht wirklich um Vergeltung für den Tod eines Familienmitglieds und die Suche nach Mitstreitern, um den übergeschnappten Magier Lucien zur Strecke zu bringen. In diesem Spiel dreht sich alles um den Spieler selbst. Unsere bewussten und unbewussten Handlungen füllen die Leerstellen unserer Figur mit Inhalt und Charakter. Obwohl es sich um ein komplexes Rollenspiel handelt, beginnt das 500 Jahre nach dem ersten Teil situierte Game deshalb auch nicht in einem Figureneditor. Anstatt Punkte auf Fertigkeiten zu verteilen, muss der Spieler sich nur entscheiden, ob er ein Junge oder ein Mädchen sein möchte. Der Rest ergibt sich beim Spielen selbst: Kämpfen wir gegen Werwölfe oder Banditen vorwiegend mit Streitäxten, nimmt unsere Muskelmasse zu, und wir verwandeln uns allmählich in einen Krieger. Erledigen wir Luciens Schergen vorwiegend durch Feuerbälle oder schleudern sie mit einem Wirbelsturm durch die Luft, glühen unsere Adern magisch neonblau.
Ein Held zu sein verlangt aber nicht nur eine Hülle, sondern auch Haltung. Moralische Entscheidungen im Spiel formen beides. Schon als Kind muss man abwägen, ob man einem Säufer seine Flasche wiedergibt oder ihm einen unbenebelten Moment der Selbsterkenntnis beschert. Oder ob man als Liebesbote einen Brief wirklich der Angebeteten überreicht oder das junge Glück zerstört. Als Erwachsener wird das Leben nicht einfacher: Bringen wir einen Verbrecher vor Gericht, oder üben wir Selbstjustiz? Beteiligen wir uns an einem Bauprojekt, das ein romantisches Hafenkaff in einen Vergnügungspark verwandelt? Agieren wir in solchen Situationen fragwürdig, wachsen uns Krampfadern oder sogar Teufelshörner. Wer nur Gutes vollbringt, strahlt dagegen vor Reinheit und wird von einem Heiligenschein gekrönt. Alle Entscheidungen haben signifikante Auswirkungen auf die Spielwelt. Ganze Stadtteile verändern sich. Und wir beeinflussen Schicksale, was uns am potenziellen Schurkendasein oft zweifeln lässt.
Solcherart Wahlmöglichkeiten zwischen Gut und Böse sind natürlich kein Novum dieses Spiels. Man kennt sie aus Titeln wie "Knights Of The Old Republic", "The Witcher" und nicht zuletzt dem ersten "Fable". Doch in diesen Titeln wurde der Spieler auf wegweisende Momente mit der Nase gestoßen: "Gut oder böse - entscheiden Sie sich ... jetzt!" In "Fable II" ist das Gesinnungssystem subtiler und vielschichtiger: Spurten wir ungeduldig über den Marktplatz und rempeln Leute an, bestimmt das ebenso die öffentliche Wahrnehmung wie die Art und Weise, in der wir unsere Geschäfte führen. Irgendwann besitzt unsere Figur nämlich genug Reichtümer, um nicht nur jedes Familienhaus, sondern auch jeden Laden und Marktstand käuflich zu erwerben. Wer dann seine Angestellten fair behandelt, kann sich über eine motivierte Belegschaft und steigenden Umsatz freuen. Ersteht man jedoch sämtliche Wohnflächen eines Stadtviertels und setzt die Mieten so hoch an, dass sie sich keiner mehr leisten kann, vegetieren die Bewohner bald niedergeschlagen auf der Straße dahin. Der Spieler kann seiner Stimmung durch mehr als 40 soziale Interaktionen Ausdruck verleihen - vom fiesen Lachen über Luftküsse bis hin zum spontanen Tanzbeinschwung. Und auch die Bevölkerung von Albion lebt ihre Zuneigung oder Antipathie offen aus: Befreien wir ein Dorf von einer Plage, bejubeln uns die Massen frenetisch. Haben wir einen Mord begangen, eilt uns ein zweifelhafter Ruf voraus, und sogar in fremden Städten werden die Leute schreiend weglaufen, wenn wir ein Gasthaus betreten. Oder sie werden versuchen, uns mit Geschenken zu besänftigen.
Doch egal, was der Rest der Welt über uns denkt, einer bleibt dem Spieler immer treu: ein Hund, der jeden unserer Schritte begleitet und dessen Aussehen sich ebenfalls aufgrund unserer Taten verändert. Er macht auf Zuruf Kunststücke, zeigt durch Bellen, wo Schätze vergraben sind und beißt suspekten Personen ins Bein. Manchmal dreht er sich einfach nur stupide im Kreis, während er seinem eigenen Schwanz hinterherjagt. Im Gegensatz zu "Fallout 3", wo der Spieler ebenfalls mit einem Vierbeiner unterwegs ist, kann unser Begleiter in "Fable II" nicht das Zeitliche segnen. Und wir ebenfalls nicht: Wenn unsere Lebensleiste auf Null sinkt, fallen wir zwar in Ohnmacht, sind aber schnell an derselben Stelle wieder bei Bewusstsein. Spielerisch ist der Hund nicht wichtig, er vertreibt aber die existenzielle Einsamkeit, die jeden Helden befällt, der sich Nacht um Nacht mit Wanderungen in der Einöde um die Ohren schlagen muss. Dem Alleinsein kann auch auf andere Weise Abhilfe geschaffen werden, denn der Hund ist nicht der Einzige im Spiel, der Bindung sucht: Jede Person in Albion steht potenziell für ein Techtelmechtel oder, wenn die Sympathiewerte stimmen, sogar für eine Heirat bereit. Unserem Liebesleben sind keine Grenzen gesetzt - ob hetero, homo oder bi, ob einfühlsame Liaison oder mit ein paar Ohrfeigen als Vorspiel. Aber Obacht: Sex ohne Kondome aus Tiergedärm führt zu Nachwuchs. Spielen wir einen weiblichen Charakter, laufen wir dann eine Zeit lang schwanger herum. Unsere Ehepartner müssen außerdem zwischen den Quests durch Schmeicheleien, Präsente oder eine Erhöhung des Haushaltgelds bei Laune gehalten werden, sonst lockert sich der Bund fürs Leben schneller, als uns lieb ist.
Spätestens wenn wir der Polygamie frönen und fünf Familien parallel grün-den, stellt sich das einzigartige "Fable"-Gefühl ein: Nirgendwo können wir unser Heldendasein so grenzenlos ausleben wie hier. Rettet man in anderen Games die Welt, darf man sich als Sieger fühlen, wenn der Abspann läuft. In "Fable II" werden wir schon während des Spiels zum berühmten oder berüchtigten Superstar - und arbeiten unablässig daran, dass unser Ruf bestehen bleibt. Denn nur wer neben ausgefeilter Degentechnik auch Selbstmarketing beherrscht, schafft es ganz nach oben: Wir verteilen Autogrammkarten oder stehen mit selbstherrlichen Posen für Statuen Modell, die wir dann überall aufstellen lassen. Wir bezahlen Barden, damit sie Hohelieder auf unsere Taten singen, und schmieren Ausrufer, die unsere Ankunft in einer Stadt bekannt machen und dabei dick auftragen. Am Ende haben wir gehasst und geliebt wie selten in einem Spiel zuvor. Anstatt einen vorgefertigten Helden zu übernehmen, sind wir selbst zu einem geworden und der Held im Spiel zu einem Teil unserer selbst. Wir haben den Charakter bekommen, den wir wirklich verdienen. Und das ist gut so.
Das Spiel
"Fable II" ist ein moderner Bastard aus Action und Rollenspiel. Während sich vergleichbare Titel wie "Mass Effect" oder "Fallout 3" der Action aus Richtung eines klassischen RPGs nähern, hat "Fable II" seine Wurzeln in Spielen wie "Legend Of Zelda" oder "Golden Axe". Auch deswegen ist das Spiel in vielen Belagen angenehm einfach zu spielen: Lebensenergie und magische Kraftreserven versiegen nicht, Brotkrumen auf dem Boden weisen wie bei Hänsel und Gretel immer den Weg zum nächsten Ziel, Kleidung dient rein der ästhetischen Erbauung und besitzt keine Rüstungswerte, und alle bereits besuchten Orte sind komfortabel per Menü zu erreichen. Das soll nicht suggerieren, dass "Fable II" simpel ist. Der Spieler bekommt durch diese reduzierte Komplexität nur den Rücken frei, um sich auf die Stärken des Spiels zu konzentrieren und die Spielwelt zu seiner eigenen zu machen. Dass man dies in "Fable II" auch zu zweit und kooperativ tun kann, ist für ein Spiel von solcher Spieltiefe zukunftsweisend. Beim Kampfsystem ging die Vereinfachung jedoch nach hinten los: Jeweils nur einen Knopf zum Schlagen, Schießen und Zaubern zu haben mag zwar intuitiv sein, geht aber auf Kosten der Vielfalt. Auch die Intelligenz der Gegner lässt bei Fernangriffen zu wünschen übrig: Sie lassen sich in aller Seelenruhe treffen, als wäre man in einer Schießbude. Trotzdem ist "Fable II" beeindruckend. Je mehr wir hineinstecken, desto mehr gibt uns das Spiel. Wer sich nur auf die Hauptmissionen konzentriert, spielt ein gutes bis sehr gutes Game - wer bereit ist, wirklich einzusteigen, lebt ein ganzes Leben.
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Rezension