Das kriegen wir schon klein

Das kriegen wir schon klein

Hobbyentwickler reißen die Fassade großer Spiele ein und bauen aus den Trümmern "Demakes" – verpixelte Liebeserklärungen an das Original. Wir haben die Szene unter die Lupe genommen Ein kleines Pixelmännchen steht in einer kleinen, schmutzigen Pixeltoilette. "Kate, könntest du wirklich in dieser Stadt sein?", seufzt es und betrachtet sein Gesicht in einem Spiegel. Das Männchen, es heißt Jake, öffnet die Tür und verlässt den Raum. Nebel wabert durchs Bild. Jake geht zurück zu seinem Auto und holt einen Stadtplan heraus. "Soundless Mountain" heißt das verlassene Dorf, das ein Stück abseits des Weges liegt und sich erst nach einem kleinen Marsch erreichen lässt. Da muss Kate sein, unbedingt. Jake macht sich auf den Weg, ein kleines pixeliges Männchen auf der Suche nach seiner verschwundenen Frau. So beginnt das Spiel "Soundless Mountain II", und wen dabei das Gefühl beschleicht, das alles schon einmal so ähnlich gesehen zu haben, fühlt richtig: Nicht nur der Name des Spiels erinnert an Konamis Horrorklassiker "Silent Hill 2" - "Soundless Mountain II" ist ein "Demake" von "Silent Hill 2". "Demakes" reißen die glänzende Fassade moderner Spiele ein und erschaffen aus ihren Trümmern etwas Neues. Sie sind Hommagen, Abstraktionen, auferstandene Ruinen - "sie sind der Versuch, die Essenz eines Spiels heraus-zufiltern", wie der Demaker Jim Mc Ginley sagt. Demakes sind dabei, wie es ihr Name bereits nahelegt, eng mit "Remakes" verwandt, wie es sie beim Film oder der Musik gibt. Sie sind Remakes mit anderen Mitteln. Während Remakes jedoch meist versuchen, das Original bei der Neuinterpretation zu modernisieren oder gar zu verbessern, ist ein Demake stets eine gewollte Verschlechterung und Reduzierung. "Sogar kommerziell produzierte Games können Demakes sein", sagt der kanadische Entwickler Phil Fish, der den Begriff vor etwas mehr als einem Jahr geprägt hat. So ist für ihn beispielsweise auch eine Handy-Version von "Doom" ein Demake, er zählt sogar Nintendo DS-Varianten von Toptiteln wie "Assassin's Creed" dazu. Die meisten Demakes sind jedoch Hobbyprojekte, wie auch "Soundless Mountain II". "Das sind die wirklich interessanten Sachen", sagt Fish, und sie alle entstehen in einer rechtlichen Grauzone: Schließlich funktionieren Demakes nur, wenn sie sich auf ein Originalspiel beziehen - und die sind urheberrechtlich geschützt. Und da kein Demaker für sein Hobby eine Copyright-Klage riskieren will, sind für ihn die Grafiken, Sounds oder Titel der Vorbilder tabu. "Bootleg" nennen die Programmierer solche puren Demakes, die sich zwar auf ein Original beziehen, aber kein Material daraus verwenden. So wird aus "Crysis" der Ascii-Shooter "Dysaster" oder aus "Grand Theft Auto" ein Remake im NES-Stil mit dem sperrigen Namen "Large-Scale Vehicular Stealing". Bei der Entwicklung benutzen die Hobbyprogrammierer Werkzeuge wie Microsofts XNA-Umgebung oder andere Baukästen, die eine schnelle Herstellung von Spielen ermöglichen. Manche bauen ihr Demake sogar auf einem alten Atari. Und Extremisten reduzieren das Spiel gleich zu reinem Text, wie zum Beispiel bei "Pactxt". Da wird aus "Pac-Man" ein reduziertes Textadventure: Vorwärts, Rückwärts, Links und Rechts sind die einzigen -Befehle im Spiel. Jedes Demake ist im Grunde ein Experiment. "Ich finde es spannend zu sehen, welche Spiel-elemente intakt bleiben, wenn ich ein Game beschneide", sagt Phil Fish - "denn wer weiß: Vielleicht spielen sich die Sachen ohne unnötigen Ballast sogar besser." "Bei 'Soundless Mountain' ging es mir nicht darum, das Spiel besser zu machen", sagt Jasper Byrne, Entwickler des "Silent Hill 2"-Demakes, "das wäre auch kaum möglich gewesen. Denn 'Silent Hill 2' kann man nicht besser machen. Das ist eines der besten und emotional berührendsten Spiele ist, die ich kenne." Dem Briten ging es vielmehr darum herauszufinden, was "Silent Hill 2" ausmacht: wie das Spiel seine einzigartige Atmosphäre erzeugt, welche Mechanismen am Werk sind - welche Knochen das Fleisch halten, das er abgestreift hat. Ein Demake zu erschaffen, ist immer auch ein Blick in die Seele des Spiels. Und Jasper Byrne wollte von dem Vorbild lernen. "Am längsten habe ich dafür gebraucht, die ersten fünfzehn Minuten des Spiels zu analysieren", sagt er. Alle Kameraeinstellungen hat er ausgewertet, den Aufbau der Orte und Räume erforscht, den Stil der Grafik untersucht und nicht zuletzt genau hingehört, wie Orignal-Komponist Akira Yamaoka Musik und Klang eingesetzt hat. "Ich bin selbst Musiker und weiß dennoch erst jetzt, wie großartig das ist, was Yamaoka da erschaffen hat", sagt Byrne - "kein Wunder, dass er später ein 'Silent Hill'-Spiel allein verantwortete." Hinter einem Demake wie "Soundless Mountain II" steckt also eine Menge Arbeit, Zeit und Akribie. Dazu viel Leidenschaft - und im Falle von Jasper Bryne eine gehörige Portion Druck von außen. "Ich mag es, wenn ich meine Projekte auch beende", sagt der Programmierer, "doch dafür brauche ich Deadlines." Ein Demake-Wettbewerb setzte endlich diesen nötigen Abgabetermin, und die Idee, sein Lieblingsspiel nachzubauen, war geboren. Die "TIGSource Bootleg Demake Competion" war auch für andere Hobbydesigner eine Initialzündung. Immer mehr von ihnen folgten dem Aufruf im Forum der Indiegames-Website "The Independent Game Source": "Die Mission ist, einen Bootleg Demake zu schaffen", stand da zu lesen, "am besten einen, der das Gameplay auf eine interessante Art und Weise ändert oder etwas Spannendes über das Spiel enthüllt, aus dem der Demake entsteht - oder etwas anderes, das ein 'Woah!' hervorruft." Nur einen Monat Zeit gab es dafür, und doch sind in dieser Zeit 68 Spiele entstanden. Sie alle können bei TIGsource heruntergeladen werden. "Soundless Mountain II" wurde zur Nummer eins gewählt - auch wenn es nur einen kurzen Abschnitt von "Silent Hill 2" wiedergibt. "Der Rest kommt später, wenn ich Zeit habe", verspricht Jasper Byrne. Weniger originalgetreu wirken andere Beiträge des Wettbewerbs, dafür aber umso origineller. "Stacker" zum Beispiel. Dessen Entwickler hatten es sich zur Aufgabe gemacht, mit "Stalker" und "Tetris" die zwei bekanntesten Spiele aus dem ehemaligen Ostblock zu kombinieren. So spielt man in einem an "Stalker" angelehnten Inventar "Tetris" mit ausgefallenen Regeln: Von oben fallen keine Klötze herab, sondern Gegenstände. Und die lösen Aktionen aus: Wodkaflaschen lassen den Bildschirm zittern, Hunde greifen an und beißen zu, wenn sie nicht rechtzeitig aufgelöst werden, und Medizinpacks heilen immer wieder. Das ist bizarr und doch wunderbar einleuchtend, vor allem, wenn man das etwas umständliche Hantieren mit dem "Stalker"-Inventar kennt. Der futuristische Racer "Wipeout" hingegen wurde in dem Wettbewerb in seine Vektorform aufgelöst und heißt nun "VipeUt Vectrex". Das ist toll beobachtet, denn gerade diese Retro-Grafik ist es, die die "Wipeout"-Serie als ästhetischen Ausgangspunkt hatte. Auch wenn das Spiel selbst holpert: Es sieht schön aus und konserviert den Geist des Originals wie ein Himbeergeist, der die Früchte atmet, aus denen er entstanden ist. Zauberhaft ist auch der Demake "Little Girl in -Underland", eine Bearbeitung von "American McGee's Alice". "Ich habe mir vorzustellen versucht, was passiert, wenn sowjetische Programmierer das Spiel entdecken und versuchen würden, es nachzumachen," sagt seine Entwicklerin Erin Robinson. Entstanden ist das Spiel in einem Notizbuch, dessen Seiten sie abfotografiert und in "Photoshop" nachbearbeitet hat. Freunde wurden dazu verpflichtet, in gebrochenem Englisch die Texte einzusprechen. Ein kurze marxistische Unterweisung und rote Sterne gibt es inklusive. Auch Robinson ging es um die Lust, aus vorhandenen Materialien etwas Eigenes zu bauen. Demakes funktionieren wie Ascii-Filme, wie Sampling: Es geht immer um die eigene Interpretation von Ausgangsmaterial. Die Künstler filetieren aus dem Original die Stücke heraus, die sie selbst faszinierend finden, und setzen sie neu zusammen. Eine Ascii-Bearbeitung von "Star Wars" rückt die Geschichte in den Vordergrund und zeigt: Sie ist so stark, dass sie auch mit Strichmännchen funktioniert. Beim Sampling in der Musik wird versucht, den Kern eines Liedes zu finden und ihn liebevoll zu behandeln. Und genau das geschieht auch bei Demakes. Zumindest findet das Jim McGinley. Er hat genau das mit "Hold Me Closer, Giant Dancer" versucht, seiner Interpretation von "Shadow Of The Colossus". Bereits die Spielanweisung ist ein Demake der Geschichte: "Du bist dieser Typ, und dann sind da diese Monster", heißt es kurz - dann zieht man als kleiner roter Punkt durch eine wunderschöne Gegend und hüpft auf den Giganten herum, bis sie im Boden versinken. Das Erstaunliche: Hat man selbst "Shadow Of The Colossus" gespielt und geliebt, erkennt man den entkleideten Kern des Spiels wieder, seine Seele leuchtet grell auf dem Bildschirm. Der Spieler weiß sofort, was McGinley an dem Spiel fasziniert hat - und was er überflüssig fand. Zugegeben: Spielerisch sind Demakes nicht immer befriedigend. Kaum einer der Wettbewerbsbeiträge würde als komplettes, eigenständiges Spiel durchgehen. Dafür sind die Demakes zu kurz und zu speziell. Doch als Kommentar zu einem Spiel - oder gar zum Spielen an sich - funktionieren sie wunderbar. Auch weil sie sehr sarkastisch sein können, wie "Contract Killer's Ideology" zum Beispiel. Das ist ein Demake von "Assassin's Creed" - als Text-Wiki auf zwei Seiten, die sich als Dauerschleife wiederholen. Wer sich über den sich ständig wiederholenden Spielablauf von "Assassin's Creed" geärgert hat, findet ihn hier destilliert und auf die Spitze getrieben. Und auch "Macarena Of The Missing" ist eine wunderbare Idee, die sich dem Spiel "Limbo Of The Lost" widmet. Um das wenig bekannte Spiel gab es im vergangenen Jahr einen kleinen Skandal, da die Entwickler Bilder aus anderen Spielen wie "Oblivion" oder "Thief" zusammengeklaut und als eigenes Game verkauft hatten. Dieser Hintergrund floss in die Entwicklung von "Macarena Of The Missing" ein: Die Designer baten die anderen Teilnehmer des Wettbewerbs um Bilder aus ihren jeweiligen Spielen und bastelten daraus ein eigenes Spiel. Das ist schlau. Und es ist auf eigenwillige Art rein und klar. Und, ja, es ist natürlich auch unglaublich nerdig - und damit genau das, was nicht nur die Entwickler an Demakes einfach liebenswert finden.

Die besten Demakes

Wettbewerb von TIGSource mit Spielen zum Download (unter anderem "Soundless Mountain II") http://tigsource.com/features/demakes/ "Pactxt" ("Pac-Man") http://pac-txt.com "Contract Killer's Ideology" ("Assassin's Creed") http://dayv.wikidot.com/cki1 "Hold Me Closer, Giant Dancer" ("Shadow Of The Colossus") http://www.bigpants.ca/holdmecloser/ "Gang Garrison 2" ("Team Fortress 2") http://ganggarrison.com
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2009 /

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