Street Fighter IV
Der neue Teil der "Street Fighter"-Serie braucht keine Kämpfe in dreidimensionaler Grafik, um zu beweisen, dass er alles andere als flach ist
Ono-San hätte mit "Street Fighter IV" viel falsch machen können und damit ohne Zweifel den Zorn vieler Millionen Menschen erregt. "Ich hätte meine Fans niemals betrügen können", sagt er im offiziellen Forum von Capcom - "sie hätten mich getötet." Hätte, hätte, hätte ... haben sie aber nicht, und werden sie auch nicht. Denn der Produzent des Spiels, der mit vollem Namen Yoshinori Ono heißt, liefert den Fans seiner Serie keinen Grund, ihm auch nur ein Haar zu krümmen. Vielmehr hat der Japaner alles richtig gemacht. Schon zu Beginn der Entwicklung des Sequels holte er viele ehemalige Capcom-Angestellte ins Boot, die bereits an der "Street Fighter"-Reihe beteiligt waren. Gemeinsam widmeten sie sich einigen kniffligen Grundsatzentscheidungen, allen voran der Frage, in wie vielen Dimensionen die Neuauflage des beliebten Straßenkampfs stattfinden sollte - in zweien oder dreien?
Ihre Antwort:"Street Fighter II", ein Klassiker des Genres, sollte als Vorbild des neuen Titels dienen. "Street Fighter III" kam dafür keinesfalls in Frage, zu komplex und einsteigerfeindlich war damals das Spiel geraten. Die Popularität des zweiten Teils hingegen ist nach wie vor ungebrochen. Der Erfolg des "Street Fighter II Turbo HD Remix" für die Xbox Live Arcade bei Kritikern und Gamern ist nur ein Indiz dafür. Er verdeutlicht die Anziehungskraft der Marke und beweist, dass gutes Prügelspiel-Gameplay nicht zwangsläufig im dreidimensionalen Raum stattfinden muss. Mehr noch, er führt zu einer weiteren Frage: War der breitflächige Umstieg von 2D auf 3D, das anfängliche Alleinstellungsmerkmal von "Virtua Fighter" und "Tekken", tatsächlich ein Fortschritt für das Genre an sich?
Zum Vergleich: Als 2D-Actionspiele zu Egoshootern wurden, verfeinerte das die Illusion und erhöhte die spielerische Freiheit. Wir selbst befanden uns plötzlich mitten im Gefecht. Aber ist diese Freiheit auch bei einem Kampf gegen einen Gegner vonnöten, der gar nicht aus unserem Sichtfeld verschwindet? Wohl kaum. Außerdem schleichen wir in Beat'em-ups stets um den Gegner herum, als seien wir durch ein unsichtbares Gummiband mit ihm verbunden - so viel zur Freiheit in Prügelspielen. Die Macher von "Street Fighter" unterließen also, das Spiel in dieser Richtung zu modernisieren. Auch Ono-San wolle keinen 3D-Prügler aus seiner, wie er es nennt, "Bibel" machen. "Bevor das geschieht", sagt Ono, "sollten wir lieber gleich eine ganz neue Marke entwickeln." Der Vorteil des zweidimensionalen Kämpfens liegt in der Einfachheit der Dinge: Besteht die Tiefe des Raums - wie bei "Street Fighter IV" - lediglich aus einer animierten Tapete, kann sich der Spieler ohne Ablenkung darauf konzentrieren, seinen Gegner mit ausgefeilten Comboattacken und kluger Taktik zu bezwingen.
"Street Fighter" - aus II mach IV
Rückbesinnung auf alte Tugenden und der Verzicht auf Innovation als Motor des Fortschritts: Bei "Street Fighter IV" ergeben diese Widersprüche ein Erfolgsrezept. Aus allen Teilen der Serie wurden die besten Ideen aufge-griffen. Angefangen bei der Palette der Angriffe über die Auswahl der Charaktere bis hin zu den Feinheiten des Kampfsystems. Wer sich noch an die grundlegenden Moves aus "Street Fighter II" erinnern kann, wird problemlos in den neuen Teil einsteigen können. Der Hurricane Kick von Ken, der Tiger Uppercut von Sagat oder der mit dem Ruf "Hadouken" begleiteten Energieball von Ryu - sie alle finden sich in "Street Fighter IV" wieder. Und sie werden mit den gleichen Steuerkreuzmanövern ausgelöst wie im Vorbild "Street Fighter II". Das gilt für auch für alle anderen bekannten Martial Artists, von E. Honda, dem tausendarmigen Sumoringer, bis zu M. Bison, dem uniformierten Endboss der zweiten Teils.
In "Street Fighter IV" starten wir mit 16 Kämpfern, neun weitere lassen sich im weiteren Verlauf freispielen. Es ist ein Klassentreffen von Recken aller Spielversionen, wiederum mit dem Schwerpunkt auf der zweiten Ausgabe. Vier Kämpfer betreten die Arena zum ersten Mal: Der unter Amnesie leidende Fremdenlegionär Abel bestaunt stets erschrocken seine Fäuste, nachdem er ein Gegner mit einem Fantasie-Judogriff in den Dreck geschmettert hat. Crimson Viper sieht aus wie eine Super-BWL-Studentin und verlässt sich im Kampf auf ihre Hochspannungs-Spionage-Gadgets. Der fette Rufus ist das Fleisch gewordene Klischee eines dicken Amerikaners, trotz seines enormen Schwabbelbauchs aber auch einer der schnellsten Kämpfer im Spiel. El Fuerte schließlich ist der wohl spektakulärste Neuzugang, eine hyperaktive Mischung aus mexikanischem Wrestler und ... nun ja: Koch. Vor jedem Kampf schraubt er sich mit einer Pfanne bewaffnet in die Luft und ruft die "Super Dynamic Cooking Time" aus.
Angriff ist die beste Verteidigung
Auch das Gameplay ist sehr ausbalanciert gestaltet, um bei Casual Gamern Boden gut zu machen. Duelle zwischen ungleichen Gegnern werden spannend gehalten. Ellenlange Combo-Angriffsketten von Auswendiglernern können mit einem einzigen Konter unterbrochen werden. Und dann heißt es: Abteilung Attacke. Ein offenes Visier ist keine Schande mehr, sondern bringt das Spiel erst zum Höhepunkt. Je mehr wir einstecken und die kreisrunde Anzeige in der unteren Ecke des Bildschirms sich füllt, desto heftiger dürfen wir Ultra-Combos austeilen. Es ist kein Leichtes, die Aktionen in Bedrängnis auszulösen, dafür brauchen wir wortwörtlich ein ruhiges Händchen. Dann aber zoomt die Kamera heran und fängt das vor Konzentration oder Wut verzerrte Gesicht unserer Figur ein, um daraufhin jedem Detail des verheerenden Gegenschlags zu folgen. Und wir dürfen uns zurücklehnen und das Feuerwerk genießen. Denn die quietschbunte Manga-Optik, die überproportionierten Muskeln, die überquellenden Hulk-Hogan-Augäpfel, die Kalle-Rummenigge-Gedächtnisoberschenkel und die mit Zuschauern und Tieren vollgestopften Stages machen "Street Fighter IV" zu einem Augenschmaus. Die Geschichtchen der Kämpfer werden zwischendurch in Manga-Sequenzen so herrlich simpel erzählt, dass man auf ihre Naivität überhaupt nicht böse sein kann. Nur der Schwierigkeitsgrad des Spiels ist happig. Diesen Umstand wusste Ono-San jedoch mit weisen Worten zu kommentieren: "Als Gamedesigner ist es leichter, ein Spiel zu erschaffen, das dich gewinnen lässt, als eines, bei dem du nach Niederlagen Lust hast, besser zu werden." Wir geloben Besserung.
Das Spiel
Im Menü von "Street Fighter IV" erwarten uns einige bereits kampferprobte Spielmodi: Beim Training dürfen wir nach Herzenslust den Prügelknaben Dan verdreschen. Der Arcade-Part bringt uns die Storys der Kämpfer näher. Dort schalten wir auch neue Charaktere frei. Im Herausforderungsmodus erlernen wir die Techniken, um sie dann unter Zeitdruck oder mit nicht erneuerbarer Hitpointleiste auszuprobieren. Neben dem klassischen Sofa-Modus kann man sich auch online mit anderen Spielern messen. Schläge teilen wir ganz klassisch in drei verschieden harten Ausführungen aus: leicht, mittel und stark. Blocken in der Luft, wie noch in "Street Fighter III" üblich, wurde wieder abgeschafft. Dafür bringt das neue Kontersystem, mit dem aus der Defensive heraus ein eigener Angriff gestartet werden kann, taktische Tiefe ins Spiel. Dazu drücken wir die Knöpfe für mittleren Tritt und Schlag gleichzeitig. Halten wir sie gedrückt, wird der Konter aufgeladen und härter ausgeführt, sodass er den Gegner zu Boden wirft. Apropos werfen - auch mit den Würfen verhält es sich wie ehedem: Nah an das Opfer ran, leichten Kick und leichten Punch simultan drücken und hoffen, dass der Gegner den Braten nicht riecht. Vielleicht lenkt ihn ja die gelungene Präsentation ab. Capcom hat viel Augenmerk auf die Details bei Grafik und Animation gelegt. Konter-Moves werden durch Kaligrafie optisch untermalt, im Hintergrund von Chung Lees Stage blubbert ein alter Mann beim Schlafen Schnodderblasen, und ein Hund mopst ein totes Huhn. Die hallende Stimme des Ansagers wiederum ist ein augenzwinkernder Verweis auf die frühen Arcade-Tage der Serie. "Street Fighter IV" ist viel moderner, klar - aber jetzt schon ein Klassiker.
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