Klasse Treffen

Klasse Treffen

Seit fast einem Virteljahrhundert kommen die Spieledesigner der Welt einmal im Jahr zusammen, um neue Ideen zu präsentieren und über die Zukunft zu fachsimpeln. GEE hat sich ins Getümmel der 23. Game Developers Conference in San Francisco gestürzt Alles beginnt in einem Wohnzimmer im Jahre 1988: Spieleerfinder Chris Crawford hat rund 30 befreundete Designer zu sich nach Hause eingeladen, um über Spieleentwicklung zu diskutieren. Dieses Treffen gefällt allen Beteiligten so gut, dass sie im selben Jahr gleich noch einmal zusammenkommen, in einem Hotel und mit deutlich mehr Besuchern. Etwa 150 Teilnehmer zählt diese zweite Game Developers Conference (GDC), die damals noch Computer Game Developers Conference heißt - noch ist der Computer die dominante Plattform, Sonys Playstation wird erst sieben, Nintendos N64 acht Jahre später erscheinen. Schon bald wird selbst das Hotel zu klein sein für die aus aller Welt herbeiströmenden Designer, Grafiker und Programmierer. Also zieht die Konferenz erst ins Messezentrum von San Jose um, im Jahr 2005 dann wird das Moscone Center in San Francisco zum Wallfahrtsort für inzwischen mehr als 17000 Spieleentwickler. Wer zum ersten Mal dessen Hallen betritt, wird augenblicklich Teil eines wilden Getümmels: Besucher mit Rauschebart, mit blauen oder grellroten Haaren, im Schottenrock oder im "Entwickler-Anzug" (T-Shirt und Jeans) stehen plaudernd in kleinen Grüppchen zusammen. An riesigen Tischen präsentieren Nachwuchs-Designer aufgeregt und unermüdlich ihre Werke, in der Hoffnung, der Talentscout einer großen Spielefirma könnte auf sie aufmerksam werden. Andere sitzen auf dem Fußboden, weil es einen Meter weiter kostbaren Laptop-Strom gibt. "Wo ist hier eine Steckdose?" ist eine gebräuchliche Begrüßungsformel. Wieder andere winken flüchtig alten Bekannten zu und rufen ihnen ein "Good to see you!" entgegen, während sie sich mit der anderen Hand das Handy ans Ohr halten und dabei durch Gänge eilen, um noch rechtzeitig zu einem der Vorträge oder Podiumsdiskussionen zu gelangen. Ganze 500 davon gibt es auf der Konferenz, oftmals finden mehr als ein Dutzend parallel statt. Wer die GDC besucht, wird wenig Zeit für Ruhe finden und sollte mit vollem Energiebalken anreisen. Er sollte also nicht wie Ray Muzyka in der Nacht vor der Konferenz nur zwei Stunden schlafen, auch wenn er dafür einen überaus guten Grund zu haben glaubt: "Ich konnte nicht aufhören, unser nächstes Rollenspiel 'Dragon Age' zu spielen", sagt der Chef des Rollenspiel-Entwicklers Bioware - "und das, obwohl ich doch weiß, wie es ausgeht." Nebenan in der Ausstellungshalle wetteifern die Anbieter von Hardware, Grafik-Engines und Programmierwerkzeugen wie auf einem Jahrmarkt um Kundschaft. Mittendrin: der Online-Spieledienst Onlive. Die Firma bewirbt ihr Produkt als "die Zukunft der Videospiele", und in der Tat hat der Dienst das Zeug, den Spielemarkt zu erschüttern: Onlive verspricht, dass niemand mehr einen schnellen Computer und teure Grafikkarten braucht, um die neuesten 3D-Games zu spielen. Der Trick: Die Games laufen nicht mehr auf dem PC zu Hause, sondern auf den mächtigen Servern der Firma. Die ganze nötige Rechenarbeit wird zentral bei Onlive geleistet - und der gesamte Spielverlauf dann Bild für Bild in Echtzeit über das Internet an den Spieler gesendet. Er spielt quasi ein Video des Spiels, nicht das Spiel selbst. Natürlich muss das alles schnell gehen, nichts im Spiel darf ruckeln oder stocken. Sollte Onlive funktionieren, wäre das eine Revolution, kommen die Spieler etwa in einem Rennspiel verzögerungsbedingt zu oft von der Strecke ab, fährt auch Onlive gegen die Wand. Auf der GDC ist der Dienst Gesprächsthema Nummer eins - ob er wirklich die Zukunft ist, wird sich erst Ende des Jahres zeigen. Dann soll Onlive starten. Die Lösung für ein ganz anderes Problem will die Schwellenland-Konsole Zeebo sein. "In Brasilien kostet eine Xbox 360 tausend Euro", sagt Zeebo-Chef John Rizzo, "das ist zu viel für die Mehrzahl der Einwohner." Nicht anders sehe es in Indien und China aus. Zeebo hingegen soll etwa 200 Euro kosten, mit vier fest eingebauten Spielen: "Fifa 09", "Need For Speed Carbon", "Brain Challenge" und "Prey Evil". Weitere Titel wie "Sonic Adventure", "Virtua Tennis" oder "Resident Evil 4" können für knapp zehn Euro über das Handynetz heruntergeladen werden. Kompatibel mit bisherigen Konsolen ist Zeebo nicht: Alle Spiele müssen an eine Auflösung von 640 mal 480 Bildpunkten angepasst werden. In Brasilien ist das System bereits erhältlich. Spiele für alle, Spiele von allen: Darum geht es auch ein paar Schritte weiter am dicht belagerten Stand des Independent Games Festivals (IGF). Hier toben sich unabhängige Entwickler aus, ohne Zielgruppendruck oder Vorgaben aus der Marketingabteilung. Sie präsentieren Games, in denen mehr Liebe und Herzblut steckt als in allen millionenschweren Weltkriegs-Shootern zusammen: Studenten der dänischen National Academy of Digital Interactive Entertainment zeigen etwa mit "Dish Washington" einen "First-Person-Abspüler", in dem der Spieler als Krokodil im Takt Flecken von Tellern und Tassen schrubbt. Nebenan führt das Team der University of Southern California stolz sein Spiel "The Unfinished Swan" vor. In dessen ganz in Weiß gehaltenen Leveln müssen schwarze Farbkugeln verschossen werden, um Wände und Gegner sichtbar zu machen. Jeder Schuss enthüllt ein kleines Stückchen der Welt: wundervoll.

Ganz groß rauskommen

Alleine 145 Studenten-Teams haben sich in diesem Jahr um den Independent Games Award beworben, so viel wie noch nie. In den Top 10: zwei deutsche Titel. Das Spiel "Zeit2" der Technischen Universität Berlin ist ein 2D-Shooter mit einem interessanten Kniff: Der Spieler reist auf Knopfdruck einige Sekunden in die Vergangenheit, um sich selbst im Kampf gegen anfliegende Gegner zu unterstützen. Das Ein-Mann-Projekt "Where Is My Heart?" von Bernhard Schulenburg beruht sogar auf einer autobiografischen Begebenheit. "Meine Eltern und ich haben uns einmal bei einem Spaziergang verlaufen und dabei ziemlich in die Haare bekommen", erzählt der Student von der Universität Ulm, "wir sind also streitend einige Zeit umhergeirrt, bis wir den Weg zu unserem Auto gefunden hatten." Das spiegelt sich in "Where Is My Heart?" wider: Der Spieler steuert drei Pixelmonster in einer kräftig durcheinandergeschüttelten Waldszene, die nur gemeinsam den Weg zum Baum der Herzen finden können. Vielleicht gibt es sein Game irgendwann sogar zu kaufen. Denn dass es sich lohnen kann, auf der GDC ein Spiel zu präsentieren, zeigt nicht nur "Pixel Junk Eden" aus Japan: Sony fand die Mischung aus Geschicklichkeitsspiel und Pflanzensimulation so gut, dass sie heute zum Download für die Playstation 3 zu haben ist. "World Of Goo", im vergangenen Jahr Gewinner des Studenten-Designpreises, wurde inzwischen sogar für mehrere Plattformen veröffentlicht. Den größten Erfolg hat auf der Konferenz, wer es schafft, seine Kollegen zu begeistern. Immerhin geben für die Game Developers Choice Awards zum Beispiel Grafiker für die beste Grafik ihre Stimme ab, Tonexperten bewerten den besten Sound, und Designer prämieren das beste Design. Am Abend der Preisverleihung zittern dann die Nominierten im Publikum, während es dem launigen Moderator Tim Schafer ("Psychonauts") immer wieder gelingt, Bilder seines Babys auf die mannshohen Bühnenleinwände zu schmuggeln. Der Abräumer des Jahres kommt aus England: "Little Big Planet", das Jump'n'Run zum Selberbauen, gewinnt in den Kategorien "Bestes Design" und "Beste Technik", außerdem bekommt es Preise für "besondere Innovation" und "bestes Debütspiel". "Bestes Debüt?!", ruft Designer Mark Healey mit gespieltem Ernst, als er die Auszeichnung entgegennimmt - "ich mache diesen Mist seit 20 Jahren!" Spiel des Jahres wird das Endzeit-Rollenspiel "Fallout 3". Ein sichtlich bewegter Todd Howard vom Entwickler Bethesda Studios nimmt die Trophäe entgegen. "In den vergangenen Jahren ist meine Familie oft ohne mich in den Urlaub gefahren", sagt er mit belegter Stimme, "beim letzten Mal sagte sie mir zum Abschied: 'Wehe, wenn das kein gutes Spiel wird!'" Für sein Lebenswerk geehrt wird der japanische Designer Hideo Kojima, der zu seiner ersten GDC überhaupt angereist ist. "Man sagte mir, dass ich dann einen Preis bekommen würde", scherzt der Erfinder der "Metal Gear Solid"-Reihe.

Neue Wege gehen

Wie das wohl alles weitergeht? Wie sieht die Zukunft des Spielens aus? Es gibt keinen besseren Ort für diese Frage als die GDC. Hier sitzen auf dem Podium: Peter Molyneux ("Fable"), Will Wright ("The Sims"), Bing Gordon (Gründungsmitglied von Electronic Arts), Lorne Lanning ("Oddworld") und Ed Fries, einer der Xbox-Macher. "Können Spiele mehr als nur Unterhaltung sein?", lautet das Thema. "Unsere Industrie ist zu risikoscheu", sagt Ed Fries, "es sollte Spiele geben, die mehr als nur Spaß machen - denn das ist nur eines von vielen möglichen Gefühlen." "Aber niemand wird sagen: 'Lass uns das Game spielen, in dem wir Müll trennen sollen'", entgegnet Will Wright, "es ist einfach cooler, Soldat im Zweiten Weltkrieg zu sein." "Aber nur, weil die Publisher lediglich die 'spaßigen' Teile des Krieges bieten", antwortet Lorne Lanning: "Auf die Frage, warum keine Zivilisten in Shootern auftauchen, bekomme ich nur zu hören: 'Das wäre zu morbide.'" "Vielleicht geht es gerade darum, nichts zu beschönigen", sagt Peter Molyneux - "dann wären wir erfolgreich, wenn jemand ein Game spielt und sagt: 'So etwas sollte niemals in meiner Nachbarschaft oder meinem Leben passieren.'" Niemand im Saal erwartet eine endgültige Antwort von den Experten auf der Bühne - aber jeder weiß: Dass sich die führenden Spieleentwickler gemeinsam und öffentlich über solche Fragen Gedanken machen, gibt es nur auf dieser Konferenz. Deswegen sind sie jetzt hier - und bestimmt auch im kommenden Jahr.

Die Zukunft prägen

Auch prominente Entwickler haben auf der GDC ihren Spaß (selbst wenn das nur eines von vielen Gefühlen ist). Zum Beispiel beim Design-Wettbewerb, in dem sie nach einer Vorgabe eine Spiel-idee konstruieren müssen. Das diesjährige Thema: "Mein erstes Mal". "WAIT > Time passes" heißt der Beitrag von Steve Meretzky, der bereits 1983 Adventures für Infocom schrieb. Der Spieler durchlebt Schule und Uni, verabredet sich, heiratet und erlebt im Finale ein Klassentreffen. Für Meretzky ist sein Adventure mehr als nur ein Spiel - ein Stück Autobiografie: "So habe ich die GDC vor drei Jahren erlebt", sagt er: "Mein Onkel war gestorben, meine Tochter lag schwerkrank im Krankenhaus - und dann habe ich euch hier getroffen wie eine erweiterte Familie. Das hat mich sehr berührt." Über die Zuschauer blickend, von denen viele noch nicht geboren waren, als er seine ersten Spiele programmierte, fügt er hinzu: "Eure Zeit wird kommen. Und ihr werdet euer Glück finden." In Momenten wie diesen fühlt man sich ins Jahr 1988 zurückversetzt. In ein Wohnzimmer voller Freunde, die alle daran glauben, dass Computerspiele mehr als nur Kinderspielzeuge sein können. Und die mit aller Kraft daran arbeiten, dass das so schnell wie möglich Wirklichkeit wird.

Indie Games Festival

Die Preisträger des diesjährigen Wettbewerbs Seumas McNally Grand Prize: Blueberry Garden Der Hauptgewinner heißt Erik Svedang. Wenn das poetische Spiel des Schweden, in dem man durch Wolken fliegt und eine verwunschene Gartenwelt erforscht, nicht bald von einem großen Publisher gekauft wird, haben wir keine Ahnung von Videospielen. Infos zu allen Spielen unter www.igf.com Innovationspreis: Between "Ein vernetztes Spiel für zwei Personen über Bewusstsein und Isolation": So beschreibt der Amerikaner Jason Rohrer sein Spiel, das auf surreale Weise Traum und Wirklichkeit miteinander verbindeta. Mehr können wir dazu nicht sagen, ohne allzu viel zu verraten, außer: unbedingt ausprobieren! Beste Grafik: Machinarium Wer sich in der Indie-Szene auskennt, hat bestimmt schon einmal etwas vom wunderschönen Web-Adventure "Samorost" gehört. Dessen Schöpfer kommen aus der Tschechischen Republik, nennen sich Amanita Design und liefern mit "Machinarium" erneut ein wunderschönes Adventure ab. Bester Sound: Brain Pipe Im psychedelischen "Brain Pipe" saust der Spieler durch die eigenen Gehirnwindungen und muss dabei Hindernissen ausweichen sowie runde Orbs einsammeln. Welche Drogen das Designer-Team Digital Eel bei der Entwicklung mutmaßlich konsumiert hat, wollte es für sich behalten. Beste Technik: Cortex Command Data Realms heißt das amerikanische Team, das mit seinem Spiel auch den Publikumspreis einheimsen konnte. Es vereint darin ein bizarres Science-Fiction-Szenario, einen 2D-Sidescroller, ein Multiplayer-Spiel und eine handfeste Physik-Simulation. Worum es darin geht: siehe "Publikumspreis". Bestes Design: Musaic Box Vom ukrainischen Indie KranX Productions stammt dieses musikalische Knobelspiel. Der Spieler muss die Fragmente einer Melodie in eine vorgegebene Form bringen. Dabei hilft ihm idealerweise sein Gehör. Wer nicht so musikalisch ist, orientiert sich an den Formen der Musik-Puzzleteile. Bestes Studentenspiel: Tag: The Power Of Paint Studenten des amerikanischen Digipen Institute of Technology haben ein First-Person-Malspiel ersonnen, in dem das Versprühen von Farbe dabei hilft, Puzzles zu lösen und Hindernisse zu überwinden: Grüne Flächen lassen den Spieler automatisch springen, auf roten läuft er schneller. Publikumspreis: Cortex Command Als futuristischer Goldsucher muss der Spieler mit seinem vom Körper getrennten Gehirn Klone, Roboter und Raumschiffe steuern, um eine Basis zu bauen und anschließend nach wertvollem Edelmetall zu schürfen. Damit baut er dann Fahrzeuge und Ausrüstung, um seine Gegner zu besiegen.
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von Volker Hansch / Mai 10th, 2009 /

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