Die Sims 3

Die Sims 3

Das neue „Sims“-Spiel verspricht die absolute Freiheit. Jeder soll in dieser Lebenssimulation mit seinem virtuellen Alter Ego auf jede nur erdenkliche Art glücklich werden können. Stimmt das tatsächlich? Und wenn ja: Macht das auch Spaß? Heidelinde ist keine Traumfrau auf den ersten Blick. Sie ist ziemlich dick, etwas überdreht, und ihr Kleidungsstil ist auch nicht jedermanns Sache: Heidelinde trägt einen langen, weiten Batikrock zu Zöpfchenfrisur und Riemchensandalen. Sie ist ein Hippie – und lesbisch ist sie obendrein. Im wirklichen Leben hätte es Heidelinde also nicht besonders leicht. Dass sie sehr intelligent ist, enorme soziale Kompetenz und Familiensinn besitzt und vor Humor nur so strotzt, würden viele Leute nicht herausfinden, da sie keine Anstalten unternähmen, solch eine Graswurzelmutti überhaupt kennen zu lernen. Doch bei den Sims ist das anders. Die Sims-Welt ist voll von virtuellen Wesen, die nichts lieber sind als sozial. Hier plaudert jeder mit jedem und ist prinzipiell offen für alle. Und anders als in vielen Simulationen oder Aufbauspielen muss man hier keinen festen Wegen folgen. Jeder Sim soll leben können, wie er will – und dabei nach seiner Fasson glücklich werden. Der Handlungsspielraum sei grenzenlos, versprechen die Entwickler. Aber gilt das auch für Heidelinde? Ich mache den Praxistest und setze mir Ziele: Ich will meine pummelige Antiheldin die große gleichgeschlechtliche Liebe finden lassen. Mit ihrer Lebensgefährtin soll Heidelinde dann ein Kind großziehen (wo auch immer das herkommen mag), sie soll sechs grundverschiedene berufliche Karrieren starten, ohne jemals ernsthafte finanzielle Not zu leiden. Und sie soll in einem großen sozialen Netzwerk leben, ohne sich dafür anbiedern zu müssen. Ich werde mir nämlich erlauben, Heidelinde immer mal wieder schlechte Laune haben und andere Sims das auch spüren zu lassen. So bin ich nun mal. Wollen wir doch mal sehen, wie „Die Sims 3“ mit meinem Lebensplan klarkommt. Zuerst geht es in den Create-a-Sim-Bereich, Heidelindes Kreißsaal. Hier erschaffe ich mir mein virtuelles Alter Ego. Die Optionen sind dabei reichhaltiger als beim Vorgänger. Die Garderobe ist prall gefüllt mit Freizeit-, Abend- und Sportkleidung. Ich kann jedes noch so kleine Detail meiner Spielfigur modifizieren. Das klappt schon mal super. Heidelinde sieht bei ihrer „Geburt“ genau so aus, wie ich sie haben will. 1:0 für „Die Sims 3“: Ich brauchte bei der Schöpfung keine Kompromisse einzugehen. Bei der Charaktergestaltung muss ich dagegen in Kategorien denken. Hier gebe ich mit Stichwortschablonen das Verhalten vor, das Heidelinde an den Tag legen wird, wenn ich sie nicht kontrolliere. Ich habe sie im Optionsmenü als „sehr selbstständig“ definiert, also wird sie völlig autonom handeln und zum Beispiel eigenständig die Toilette aufsuchen, sollte ich selbst einmal aufs Klo gehen, ohne die Pausentaste zu drücken. Ich will eine intellektuelle Träumerin. Und eine, die mir nicht ständig aus dem Haus joggt und wieder mühsam eingesammelt werden muss, damit sie den Abwasch macht. Den Fehler habe ich bei „Sims 2“ gemacht, das passiert mir nicht noch mal. Eine sanftmütige Stubenhockerin mit weltfremden Flausen im Kopf? Das könnte mit einer Kombination aus „geistesabwesend“, „Bücherwurm“, „Vegetarier“, „hasst Sport“ und „Familiensinn“ klappen. Ich verzichte darauf, Heidelinde mit den Charaktereigenschaften „geisteskrank“ und „niemals nackt“ zu versehen. Obwohl es mich reizt: Würde Heidelinde dann im Wintermantel duschen und dabei den Seifenspender anpöbeln? Das probiere ich vielleicht beim nächsten Sim aus. Jetzt muss ich erst einmal eines von fünf angebotenen Lebenszielen wählen, die mir ob meiner Charakterwahl angeboten werden. Es stinkt mir ein wenig, dass ich mich so früh schon festlegen soll, schließlich wurde mir doch völlige Handlungsfreiheit versprochen. Ich entscheide mich zähneknirschend dafür, eine berühmte Autorin werden zu wollen. Mal sehen, ob ich meinen Lebenstraum im Laufe der Zeit ändern darf oder ohne ernsthafte Konsequenzen ignorieren kann. Nachdem ich ein erstes kleines Häuschen bezogen und eingerichtet habe, muss ich noch mal im Charaktermenü nachschauen: Habe ich nicht doch versehentlich „geisteskrank“ gewählt? Nein, habe ich nicht. Warum bricht mein Sim dann regelmäßig und ohne erkennbaren Anlass in manisches Gelächter aus? Warum latscht Heidelinde in Unterwäsche hysterisch giggelnd durchs Wohnzimmer? Sie benimmt sich wie eine Statistin aus „Einer flog über das Kuckucksnest“. Nach einer Viertelstunde habe ich die Erklärung: Heidelinde hat eine Glückssträhne und deshalb exzessiv gute Laune. Und die entlädt sich in exakt vierminütigen Rhythmen in psychisch labil anmutenden Glucksern. Wird solch eine Schrullentussi die Frau fürs Leben finden? Ich habe Zweifel.

Wohliges Gefühl

Immerhin habe ich keine anderen Probleme: Wer „Sims 2“ gespielt hat, wird sich auch im neuen Spiel schnell zurecht finden. Die Steuerung ist nahezu unverändert, die groben Abläufe sind gleich. Die auffälligste Neuerung: Heidelinde und ihre Nachbarn können jetzt eine ganze Stadt völlig frei begehen. Sie können allein oder mit Freunden Restaurants besuchen, im Fitnessstudio trainieren, Wellness machen, in der Bibliothek abhängen, im Park Schach spielen oder einfach durch die Straßen flanieren und jeden Sim vollquatschen, der ihnen entgegenkommt. Und das sind nicht wenige. Es stellt sich sehr schnell ein, das bekannt-wohlige „Sims“-Gefühl. Denn diese Simulation ist zwar unbestreitbar ein hoch komplexes Konstrukt – die Kunst der Macher jedoch besteht darin, diese Komplexität läppisch aussehen zu lassen. Im Gegensatz zu vielen Rollenspielen, deren Regelwerk man erst nach einer Woche zu durchschauen beginnt, kann selbst der unerfahrenste PC-Spieler bei den „Sims“ flott und ohne Handbuchstudium einsteigen. Er identfiziert sich schnell mit seiner Spielfigur und freut sich aufrichtig über jeden kleinen Fortschritt in der kuschelig-freundlichen Vorstadtwelt. Heidelinde ist mein Kind geworden, dem ich den Lebensweg ebnen will. Ich betrachte mit Stolz und Zufriedenheit, wie sie langsam, aber sicher vorankommt. Binnen kürzester Zeit wird sie sich in der Computerstadt etabliert haben. Die „Sims“ entpannen mich. Was die Reihe vom ersten Teil an auch bei Nicht-Spielern, besonders bei Frauen und weiblichen Teenagern, zum Erfolg gemacht hat, nimmt auch mich nach kurzer Zeit gefangen: die positive Grundhaltung des Spiels. Hier wird erschaffen, nicht zerstört. Hier wird belohnt, was Menschen mit Östrogen-Haushalt sowieso besser können als Testosteron-Besitzer: sensibel mit anderen zu interagieren. Dank der Verlässlichkeit der Sims ist das ungleich weniger kompliziert als im wirklichen Leben: Sollte der virtuelle Nachbar Sport lieben, freut er sich jedesmal, dass man ihn mit Fußball vollsülzt. Wenn man drei Mal pro Woche die Kollegin mit einer Anekdote unterhält, wird sie immer gern mit einem plauschen. Diese Sicherheit ist es, die „Die Sims“ für so viele Menschen reizvoll macht. Das definitive Wissen, dass A stets zu B führt. Für alle, die durch die permanente Unwägbarkeit des modernen Lebens verunsichert sind, ist diese Gewissheit Balsam für die Seele. Wäre das im wirklichen Leben auch so, gäbe es keine Amokläufer. Tatsächlich könnte man „Die Sims 3“ als psychosoziales Lernprogramm nutzen, um Soziopathen und NPD-Wählern spielerisch nahezubringen, wie menschliche Interaktion funktioniert. Und wie man ein sinnvolles und ak-zeptiertes Mitglied der Gesellschaft wird: indem man arbeitet, zum Beispiel. Indem man bestimmte Pflichten erfüllt, zumindest ein Minimum an sozialen Kontakten pflegt, die Grundregeln von Höflichkeit und Anstand beherrscht und ein gewisses Maß an Toleranz an den Tag legt. Wer das im Spiel beherzigt, wird viel Grün in seinem Laune-Balken sehen. Und doch wäre es unfair, die Sims bloß als sehr aufwendig programmierte Barbie-Welt zu betrachten. Zum einen legt das Spiel seinen Figuren regelmäßig Steine in den Weg, die sich zwar nicht mit Real-Life-Debakeln wie Finanzkrise, Bundesligaabstieg oder Schweinepest messen lassen, Heidelinde und ihre Nachbarm jedoch genug auf Trab halten, dass sie nicht in völliger Fluffigkeit versinken. Zum anderen besitzt „Sims 3“ etwas, das Barbie & Co völlig abgeht: Selbstironie. Von der grotesken Kauderwelschsprache über teilweise herrlich überzogene Animationen bis zu abstrusen und unerwarteten Gags wie Geistererscheinungen, Alien-Attacken und Slapstick-Einlagen: Die „Sims“ sind sich ihrer eigenen Kuriosität erfrischend bewusst.

Es ist ein Junge

Kurios gestaltet sich auch Heidelindes Liebesleben: Im Park trifft sie eine Frau namens Bebe, die tatsächlich ähnlich obskure Zöpfe trägt wie sie selbst. Beim ersten Geplauder stellt sich heraus, dass beide Büchernarren sind. Und beide Single. Ich hetzte Heidelinde deshalb auf Bebe los, als wäre Brunftzeit. Ich mache Komplimente, wir flirten, ich massiere ihr den Rücken, wir halten verstohlen Händchen – und schon nach zwei Tagen küssen wir uns zum ersten Mal. Nach vier Tagen hat Bebe jedesmal Sex mit Heideline (im Spiel nennt es sich „Techtelmechtel“), wenn sie den Wunsch äußert. Und ich lasse sie das oft wünschen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit Bebe zufällig die willigste Schlampe in ganz Sim City gefunden habe, ob es womöglich die wahre Liebe ist oder ob es einem die virtuellen Wesen immer so leicht machen. Ich tippe auf Letzteres. Auch die meisten Sims in meinem Techtelmechtel-freien Bekanntenkreis sind pflegeleicht. Wenn ich Heidelinde gelegentlich maulen, meckern, beleidigen oder Verabredungen ohne Absage platzen lasse, reichen im Regelfall eine Entschuldigung und ein paar Tage gesteigerte Aufmerksamkeit, um alles wieder ins Lot zu bringen. Auch das klappt bekanntlich in der wirklichen Welt nur bedingt. Zwei Wochen nach dem ersten Techtelmechtel haben Bebe und Heidelinde im kleinen Kreis geheiratet und sind gemeinsam in ihr Haus gezogen. Bebe besitzt seltsamerweise eine stattliche Villa, obwohl sie arbeitslos ist. Ihr Lebensziel, „weltberühmte Chirurgin zu werden“, scheint sie bislang nicht ernsthaft verfolgt zu haben, da sie stundenlang vor der Stereoanlage herumtanzt und – das hat mir gerade noch gefehlt – ständig joggen geht, obwohl noch dreckiges Geschirr in der Spüle steht. Die Flausen treibe ich Bebe schnell aus, denn nach der Heirat habe ich auch über sie die Kontrolle: Ich lasse sie als Versuchsperson im Pharmalabor arbeiten, während Heidelinde ihre Karriere als Lokaljournalistin vorantreibt. Zwei weitere Wochen später haben die beiden ein Kind adoptiert. Dafür musste Heidelinde bloß beim Jugendamt anrufen, und die netten Beamten lieferten ihr das Gör frei Haus. Es ist ein Junge. Ich nenne ihn Kevin-Waldemar, nach Bebes erstem Freund und Heidelindes Großvater. Er schreit erstaunlich selten. Und bevor ich gleich wieder virtuelle Windeln wechseln muss, schnell noch ein Satz: Ja, es stimmt. Man kann bei „Sims 3“ machen, was man will. Das Leben funktioniert immer, egal, wie man es auch führt. Es ist einfach. Zu einfach. Deshalb werde ich Heidelinde demnächst in Rente schicken und im zweiten Anlauf eine andere Strategie verfolgen. Ich werde nicht mehr gemütlich vor mich hinexistieren. Ich werde einen Sim auf seinen Karriereweg schicken und unerbittlich nach ganz oben durchboxen. Und ich werde im Menü von „sehr selbstständig“ auf „unselbstständig“ umschalten. Denn so sehr mich meine gleichgeschlechtliche Soap-Opera anfangs unterhalten hat, nach einer Weile fehlte mir die Herausforderung. Ich will aufsteigen, Konkurrenten abhängen und Nebenbuhler ausbooten. Ich bin nun mal kein Mädchen. Ich bin ein Mann. Ich will kämpfen. Auch bei den Sims.
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von Chris Rotllan / August 25th, 2009 / 2 Kommentare

2 Kommentare

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