Popstars

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Casual Games gelten als Wegwerfprodukte: heute gespielt, morgen bereits vergessen. Spiele von Popcap wie „Peggle“ oder „Bejeweled“ hingegen lassen uns nicht mehr los. Wir haben das Popcap-Hauptquartier in Seattle besucht, um das Geheimnis des Erfolges zu ergründen Downtown Seattle an einem wundervollen Sommertag. Die Menschenmassen, die in den Häuserschluchten zirkulieren, wirken ausgelassen. Bankiers und Manager laufen mit einem Lächeln durch die Straßen. Und an einem Haus vorbei, in dem – zwischen Finanzfirmen, für die Zeit immer Geld bedeutet – die größten Zeiträuber der Welt ihr Hauptquartier haben: Popcap Games, die Ma- -cher von „Zuma“, „Peggle“ und „Plants Vs. Zombies“. Und natürlich von „Bejeweled“, ihrem größten Erfolg – einem Puzzlespiel, in dem es darum geht, Juwelen verschwinden zu lassen, sodass immer mehr von oben nachfallen können, bis der Spieler im Rausch der Farben und Formen versinkt und gar nicht mehr aufhören mag zu spielen. Alle zehn Sekunden werde derzeit ein Exemplar des Titels verkauft, behauptet Popcap und spricht von insgesamt mehr als 25 Millionen Exemplaren. Ein nicht unerheblicher Teil der Spieler unterhält sich damit während der Arbeitszeit – am PC, dem iPhone oder auf Facebook. „Bejeweled“ ist überall: auf der Spielkonsole, in den Unterhaltungssystemen von Flugzeugen und selbst in „World Of Warcraft“. Wie kommt es zu diesem immensen Erfolg? Spiele für nebenbei gelten eigentlich als Wegwerfprodukte: heute gespielt, morgen vergessen. Und auch ihre Hersteller verschwinden normalerweise so schnell aus dem Gedächtnis wie die Juwelen auf dem Bildschirm. Weil viele meinen, dass das, was einfach zu spielen ist, auch einfach herzustellen sei, hat es bisher keine Casual-Game-Firma zu Ruhm gebracht. Keine außer Popcap.

Nicht ohne seine Mutter

Der Popcap-Firmensitz liegt in einem typischen amerikanischen Riesenbürogebäude. Es ist über drei Etagen verteilt, sodass sich die Mitarbeiter täglich länger im Fahrstuhl begegnen dürften als in der Mittagspause. Treppensteigen ist, ebenso typisch amerikanisch, nur im Notfall vorgesehen. 150 Mitarbeiter arbeiten hier, 50 weitere im europäischen Hauptquartier in Dublin und noch einmal so viele in Außenbüros in Shanghai, San Francisco, Chicago und Vancouver. Geht es in anderen großen Spielestudios eher lässig und urban zu, versprühen die Popcap-Büros das Flair einer ländlichen Krankenkassenfiliale: Anstelle eines mondänen Interieurs erwartet die Besucher ein spießiges Großraumbüro mit abstraktem Siebziger-Jahre-Teppich. Und statt multikultureller Hipster sitzen an den Schreibtischen stinknormale Programmierer, die wirken, als würden sie einen bürokratischen Apparat am Laufen halten. Das öde Bild wird nur gestört durch Kartons voller „Chuzzles“, die überall herumstehen: rote, gelbe oder blaue Wuschelkopf-Puppen aus dem gleichnamigen Popcap-Puzzlespiel, die aus nichts als Haaren und Kulleraugen bestehen. Sie sind derzeit der Renner im neuen Online-Merchandise-Store. Entworfen hat die Puppen die Mutter von Jason Kapalka, dem Creative Director der Firma. It’s a family affair – das gilt für die Entwickler und ihre potenziellen Kunden: „Unser Ziel ist es, Games zu entwerfen, die in jeder Altersgruppe funktionieren“, sagt Kapalka, der die Firma vor neun Jahren mit zwei Kollegen gegründet hat. „Deshalb müssen neue Spiele auch den Mom-Test bestehen: Wir setzen sie unseren Müttern vor und lassen sie damit alleine. Wenn sie nach einer Stunde noch voller Eifer spielen, sind wir auf einem guten Weg.“ Den scheint Popcap oft gefunden zu haben, denn nahezu die Hälfte der Spieler von Popcap Games ist einer firmeneigenen Marktforschung zufolge älter als 50 Jahre. 72 Prozent aller Käufer sind Frauen. Solche Zahlen sind in der bunten und einsteigerfreundlichen Casual-Welt nicht unüblich. Unüblich ist, dass ein Unternehmen so konstant gute Spiele entwickelt – Spiele, die sich zugegebenermaßen meist an bekannten Genres abarbeiten, aber trotzdem vor Originalität nur so sprühen. Wie wäre es etwa mit dem furiosen „Plants Vs. Zombies“, bei dem Untote auf Stelzen oder Delfinen einen Garten angreifen und der Spieler sich durch Platzieren von Erbsenkanonen und Kirschbomben wehrt? Oder der „Bookworm Adventures“-Rollenspielserie, in der ein Bücherwurm Figuren aus Buchvorlagen durch das Bilden von Wörtern attackiert? Oder dem psychedelischen „Peggle“, einem Mash-up aus „Breakout“ und „Pachinko“, dem im Westen kaum bekannten japanischen Glücksspiel, das an einen hochkant gestellten Flipper erinnert? „Andere Games lassen den Spieler verlieren. Wir lassen ihn gewinnen“, sagt Kapalka. „Das heißt aber nicht, dass unseren Spielen Herausforderungen abgehen. Viele Menschen sind nur vollkommen irritiert davon, dass sie in Videospielen andauernd sterben müssen. Wir geben ihnen dagegen das Gefühl, sie würden was leisten. Das macht sie glücklich.“ Folge dieser Philosphie ist eine Entwicklungsmaxime, die sich neben Popcap nur ganz wenige Studios wie Blizzard oder Valve leisten können: Ein Spiel gilt bei Popcap erst dann als fertig, wenn seine Macher damit glücklich sind. Wenn es in ihren Augen so brillant ist, wie sie es sich erträumt haben. Vorher wird es nicht veröffentlicht. Um nicht in die Bredouille zu kommen, deshalb ständig Erscheinungstermine verschieben zu müssen, werden Popcap-Titel erst einen Monat vor Release angekündigt. Und der Allgegenwart auf den unterschiedlichsten Spieleplattformen zum Trotz kommen die Games zunächst nur für ein System auf den Markt, um maximale Qualität zu gewährleisten. Meistens ist es den so simpel und schlüssig wirkenden fertigen Produkten nicht anzusehen, wie lange an ihnen gearbeitet wurde. Dabei stecken in einem Spiel wie „Plants Vs. Zombies“ mehr als drei Jahre harte Arbeit. Da Grafik und Sound der Popcap-Spiele zwar immer charmant, aber nie aufwendig sind, arbeiten an den Spielen nur wenige Entwickler. Bei „Plants Vs. Zombies“ waren es im Kern nur drei Personen, bei „Peggle“ anfangs sogar nur zwei, ein Programmierer und der Leiter des Studios in Seattle, Sukhbir Sidhu. „Ich war süchtig nach Pachinko und wollte unbedingt etwas daraus machen“, sagt der Inder, „aber bei Pachinko geht es viel um Glück, und das passt nicht zu unseren Vorstellungen von einem Computerspiel.“ Von dem Glauben angetrieben, dass es doch möglich sein müsse, aus Pachinko ein tolles Game zu entwickeln, hat sich Sidhu geschlagene drei Jahre an „Peggle“ festgebissen. Besucht der Spieler im fertigen Spiel die „Peggle“-Akademie, um sich von Lehrmeistern wie der Zen-Eule oder Björn, dem Einhorn, in die hohe Kunst des Peg-Abräumens einweihen zu lassen, sieht er nichts mehr davon, dass Sidhu einen Großteil der Entwicklungszeit rein mit abstrakten, geometrischen Symbolen gearbeitet hat. Das ist keine Verlegenheitslösung, sondern Strategie. „Unsere Regel lautet: Wenn ein Spiel nicht mit solchen Platzhaltern funktioniert, wird eine schöne Optik es auch nicht besser machen“, sagt Sidhu, „wenn es uns ohne Sounds nicht begeistert, wird es ihm auch mit der besten Musik und den tollsten Effekten nicht gelingen.“ Das macht die Spiele zudem zeitlos: Weil sie nicht auf modernster Technologie basieren, wirken sie nicht so schnell veraltet. Sidhu führt an seinem Rechner einige frühe Entwürfe des Spiels vor. Beim Auswählen der Files weiß er auch nach Jahren noch, welche Spieleskizze sich hinter welchem kryptischen Dateinamen verbirgt: Mal schießt der Spieler dann Bälle in einen sich bewegenden Eimer, mal muss er in kürzester Zeit 100 rotierende Kreuze markieren. Der potenzielle Spaßgehalt liegt bei null. Was aus dem Spiel werden soll, ist bes-tenfalls zu erahnen. Es braucht schon einiges an Selbstvertrauen und Leidenschaft, um mit solchen Entwürfen Monate, geschweige denn Jahre zu arbeiten. Erst Anfang 2007 hat Sidhu es geschafft: „Peggle“ funktioniert. Und es ist nicht nur das bis dato außergewöhnlichste Spiel von Popcap geworden, es verkauft sich auch in zweistelliger Millionenhöhe. Dies gelingt bei weitem nicht allen Popcap-Projekten. Viele schaffen es noch nicht einmal zum Release: Für jedes erscheinende Spiel werden 10 bis 15 Projekte während der Entwicklung abgebrochen. Jason Kapalka weiß um den Schmerz, den das verursachen kann. Und der ist hauptsächlich künstlerischer Natur: „Wenn drei Leute an einem Spiel arbeiten und es nicht erscheint, tut das finanziell nicht weh, und so sind die Designer eher bereit, Risiken einzugehen“, sagt er. „Wenn du dagegen aber die Mäuler von einem 200-köpfigen Team stopfen musst, kannst du es dir als Entwickler kaum leisten, in eine experimentelle, jazzmäßige Phase zu kommen. Ein Spiel wie ‚Peggle‘ konnte nur entstehen, weil wir eine jahrelange Jam- Session veranstaltet haben.“

Kronkorken für alle

„Peggle“ gilt als Wendepunkt in der Firmenhistorie. Denn seitdem überschütten selbst Hardcore-Gamer Popcap mit ihrer Liebe. Dabei war aller Anfang schwer: Einige der Gründer leben zunächst in einer Wohnwagensiedlung, ihre Spiele erscheinen ausschließlich werbefinanziert auf großen Netzportalen. Als die New-Economy-Blase platzt und die Anzeigeneinnahmen wegbrechen, versuchen Kapalka & Co notdürftig die Rechte an „Bejeweled“ für 60000 Dollar zu verkaufen. Zum Glück blitzen sie überall ab und entschließen sich, das Spiel selbst herauszubringen. Dafür muss ein neuer Firmenname her. Denn noch nennen sie sich „Sexy Action Cool“ – nach einer Werbung für den Film „Desperado“ von Robert Rodriguez. Das klingt zu unseriös für das familientaugliche „Bejeweled“. Etwas Klassisch-Elegantes muss her. Etwas wie Popcap: „Pop“ für den Anspruch, viele Menschen erreichen zu wollen und „Cap“ (engl. Kronkorken) für den knalligen Klang. Während „Bejeweled“ zum Erdrutscherfolg wird, verbreitet sich „Peggle“ nur langsam per Mund-zu-Mund-Propaganda. Beim Durchbruch helfen ihre Seattler Kollegen von Valve – und das, obwohl übermäßiges „Peggle“-Spielen deren Büro fast zum Stillstand gebracht hatte. Statt das Game während der Arbeit zu verbieten, schlägt Valve vor, eine Miniversion des Spiels mit Hintergründen aus „Half-Life“ als Werbung zu verschenken. Mit Erfolg: „Peggle Extreme“ schlägt ein wie ein Combine-Geschoss. Popcap erhält Post von Shooter-Fans, in denen diese zugeben, dass sie nie erwartet hätten, einmal ein Spiel mit Einhörnern und Regenbögen in die Hand zu nehmen. Somit hat sich in den letzten Jahren endgültig der Anspruch erfüllt, Spiele für alle zu entwickeln. Damit steht Popcap jedoch am Scheideweg. Denn nicht nur der Umsatz der Firma, sondern auch die Anzahl ihrer Mitarbeiter ist zuletzt explosionsartig gestiegen. Das schafft neue Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen. „Wir waren noch nie ein Betrieb, der von Verkäufen oder Marketing getrieben wird. Das lasse ich hier jeden Mitarbeiter wissen“, betont zwar der Geschäftsführer Dave Roberts, der das Unternehmen seit vier Jahren leitet. Aber während er früher jegliches Risikokapital von außen kategorisch abgelehnt hat, denkt er mittlerweile sogar laut über einen Börsengang nach. Dann dürfte es schwer werden, Aktionären zu erklären, dass ihre Spiele erst dann erscheinen, wenn sie brillant sind – und nicht, wann es wirtschaftlich am klügsten ist. Noch sind Popcap die Lieblingszeitfresser vieler Spieler und keine fiesen, grauen Zeitdiebe in Anzügen. Noch versuchen sie, alle glücklich zu machen. Jedoch weiß jeder aus ihren Spielen: Glück hält nur eine bestimmte Zeit. Aber vielleicht gewinnen ja dieses eine Mal nicht diejenigen, die die meisten Juwelen sammeln.

Popcap für Einsteiger

  1. „Bookworm Adventures“ Wurm Lex kämpft sich durch Geschichts- und Märchenbücher. Berühmtheiten werden durch das Bilden von Wörtern angegriffen – und je länger die sind, desto mehr Schaden richten die Attacken an. Ein simples Prinzip, das für Tage begeistert.
     
  2. „Zuma’s Revenge“ Der brandneue Nachfolger zum brillanten Crossover aus Shooter und Puzzlespiel: Murmeln rollen um uns herum und dürfen einen Abgrund nicht erreichen. Jetzt mit Endgegnern.
     
  3. „Bejeweled“ Nach „Tetris“ das zweitberühmteste Puzzlespiel überhaupt, das uns derzeit in der Kurzversion „Blitz“ auf Facebook und iPhone begeistert.
     
  4. „Peggle“ Wer orangene Blöcke vom Bildschirm entfernt, indem er sie mit gezielt abgeschossenen Kugeln berührt, erhält das „Peggle“-Diplom. Einmal abgeschossen, kann er jedoch nur zuschauen,wie die Kugeln hin und her prallen.
     
  5. „Plants Vs. Zombies“ Eine Armee von skurrilen Zombies ist auf unser Hirm aus. Doch sie haben nicht mit unseren Gärtnerfähigkeiten gerechnet.
Popcap Spiele sind unter anderem bei Gamesload erhältlich. [Link]
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von Heiko Gogolin / Oktober 2nd, 2009 / 2 Kommentare

2 Kommentare

  1. […] Den Blick dafür sprech ich ihnen gerne zu nur Top-aktuell ist die Zeitung nicht. Das macht aber nichts, denn wegweisende Entwicklungen sind auch 3 Monate Später noch inerresant. Ein gutes Beispiel  hierfür wäre der Artikel über Popstars, den Entwicklern von den ebenso „einfachen“ wie genialen spielen Peggle, Plants VS Zombies oder Bejeweled **http://www.geemag.de/2009/10/02/popstars/?hefttag=GEE%2048** […]

  2. […] später kommen Grafiker und Programmierer hinzu. Die Entwicklung dauerte über drei Jahre. Siehe GEE-Magazin). Das ermöglicht es viele Spiele gleichzeitig zu bearbeiten, was wiederum für finanzielle […]