Wie sind Helden

Wie sind Helden

Ob strahlender Ritter oder Underdog: Die Hautfiguren von Videospielen wachsen uns ans Herz. Doch was genau zeichnet sie eigentlich aus? Wir haben die kreativen Köpfe der Entwicklerszene gefragt

Goichi Suda

Firmenchef von Grasshoper Manufacture und Game Director der „No More Heroes“-Serie Der perfekte Videospielheld befindet sich irgendwo zwischen Realität und Fantasie. Wenn Spieler völlig elektrifiziert aus einem Spiel herauskommen, dann ist der Protagonist dieses Games ein wahrer Held. Mein persönlicher Videospielheld würde aussehen wie der Schauspieler James Spader und mit einer transparenten Stimme kreischen wie Michael Jackson. Er sollte Dinge in aller Ruhe analysieren, bevor er reagiert. Aber manchmal müssen Helden wohl auch impulsiv handeln. Wichtig ist: Er muss vollkommen durchgedreht sein. Der erste Entwurf von Travis Touchdown aus meinem „No More Heroes“ war mit 37 Jahren älter als der jetzige Travis. Er sollte während der Kämpfe auf Toilette gehen, weil er einen schwachen Magen hatte. Aus dieser Idee entstand die Speicherfunktion, bei der man seinen Spielstand auf dem Klo sichert. Die ursprüngliche Version von Travis war außerdem viel notgeiler als der tatsächliche Held. Am Ende haben wir das Beste aus den ersten Charakterstudien mit dem Aussehen von Jonny Knox-ville gemischt.

Samwise Didier

Senior Art Director bei Blizzard Entertainment und verantwortlich für „Starcraft II“ In „Starcraft“ ist die Armee der Protagonist, und der Held ist der Spieler. Er ist derjenige, der die taktischen Überlegungen erledigt, er meistert die verzweifelsten Gefechte. Um aber eine Geschichte zu erzählen, braucht es Typen wie den Space-Marine Jim Raynor. Wir haben ihn als Mischung aus Outlaw und Sheriff im Weltall entworfen. Ein verbrauchter Typ, der Spieler in die düstere Geschichte hineinzieht. Für mich muss ein Held ein Krieger sein, der durch seine Taten zum Vorbild wird.

Toshihiro Nagoshi

Videospieldesigner bei Sega und Produzent der „Yakuza“-Serie Der Held in einem Videospiel sollte jemand sein, zu dem man eine emotionale Beziehung aufbauen kann. Viele Designer werden zwar sagen, er müsse einen muskulösen Körper und ein hübsches Gesicht haben, aber das halte ich für falsch. Ich denke, es ist spannend, einem hässlichen Charakter die Hauptrolle in einem Spiel zu geben. In Games ist es doch am wichtigsten, dass das Aussehen der Figuren und ihre Bewegungen harmonieren. Nur dann bin ich als Spieler bereit, mich auf einen digitalen Charakter so einzulassen, als wäre er real.

Benedikt Grindel

Senior Producer bei Ubisoft und verantwortlich für „Die Siedler 7 Bei „Die Siedler 7“ haben wir die Helden Zoe und Draco, die es im fünften und sechsten Teil gab, wieder in die Geschichte integriert. Sie tauchen aber nur in den Render-Sequenzen auf. Die eigentlichen Helden in unserem Spiel sind gar nicht die Helden der Rahmengeschichte, sondern die vielen kleinen fleißig arbeitenden Siedlerinnen und Siedler, die ohne mit der Wimper zu zucken Bäume fällen, Steine abbauen, Getreide säen, backen, nähen, ernten, jagen und Güter durch das Reich transportieren. Diese Helden müssen mit Freude bei der Arbeit sein. Und wenn es dann richtig wuselt, muss ich grinsen und mich daran erfreuen, dass alles wie am Schnürchen läuft. Das ist perfekt, mehr Helden brauche ich nicht. Da ist dann die Schlusssequenz mit Zoe und Draco nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

Auriea Harvey & Michael Samyn

Gründer von Tale Of Tales und Character-Designer bzw. Programmierer von „The Endless Forest“ Wir bevorzugen Protagonisten, die keine Helden sind. Helden sind langweilig. Besonders in Spielen – weil sie immer gewinnen. Oft reizen uns die hilflosen Nebencharaktere oder die Opfer des Protagonisten viel mehr. In unseren Spielen soll die Konfrontation zwischen Spielfigur und Umgebung die Fantasie der Spieler anregen. Das ist die Basis der Spielerfahrung in unseren Games und ersetzt zu einem Großteil die Hintergrundgeschichte. So kann der Spieler selbst die Antwort auf die wichtigste Frage finden: „Wie würde es sich anfühlen, diese Person in dieser Situation zu sein?“ Wir schätzen die Ambivalenz des erzählenden Avatars: Auf der einen Seite ist er ein Gefährt, das dem Spieler erlaubt, eine fiktive Welt zu betreten, auf der anderen Seite ist er ein Charakter mit Persönlichkeit und einer Geschichte, die ein Teil dieser Fiktion ist. Wir versuchen immer sicherzustellen, dass der Spieler seinen Avatar nicht nur als seine Repräsentation in der Spielwelt wahrnimmt, sondern als Freund und Partner. Unsere Game-Charaktere sind kleine, lebende Organismen, mit denen man spielen kann.

Shinji Mikami

Wenn der Protagonist in einem Spiel genau das macht, was ich will – dann ist er in meinen Augen ein Held.

„Sich selbst sterben sehen“

Wenn Desmond aus „Assassin’s Creed“ zweifelt und Doctor N. Gin in „Crash Bandicoot“ flucht, erklingt seine Stimme: Synchronsprecher Nolan North über die Persönlichkeit von Spielehelden Wie ist dein Verhältnis zu den Spielen, die du synchronisierst? Meistens versage ich kläglich in aktuellen Spielen, an denen ich mitgewirkt habe. Seit ich aktiv an Games mitarbeite, habe ich Spiele – nach meinen Anfangstagen mit dem Atari – zwar wieder für mich entdeckt. Aber es ist wirklich ein seltsames Gefühl, wenn Nathan Drake in „Uncharted“ wieder und wieder erschossen wird. Das ist ein bisschen so, als würde ich mir selbst beim Sterben zusehen. Wenn du einen Spielhelden sprichst, darftst du seine Stimme dann frei interpretieren? Mal bin ich Soldat, mal Zombie oder verrückter Professor. Da ist schon Kreativität gefragt. Meist bekomme ich ein Skript, das ich aber im Laufe der Aufzeichnung an die Rollen anpassen kann. Bei Nathan Drake kam mir besonders zugute, dass ich auch das Motion-Capturing und die Gesichtsausdrücke für die Figur beisteuern durfte. So bekam der ganze Part mehr von einem klassischen Bühnenauftritt als von einem Hörbuch. Synchron-Jobs sind eine sehr reine Form von Schauspielerei: Es gibt keine Kulisse, keine Requisite. Da bist nur du und deine Figur. Was macht den perfekten Videospielhelden aus? Nathan Drake wird immer einen speziellen Platz in meinem Herzen haben. Bei keiner Figur sonst hatte ich so viel Freiheit, was die Ausgestaltung einer Persönlichkeit anging. Er ist ein zutiefst menschlicher Charakter, kein typisch überzeichneter Videospielheld und kein Supersoldat. Er ist jemand, dem die Hand schmerzt, wenn er einen Hieb verteilt. Jemand, der blutet und humpelt, wenn er verletzt wird. So wie Bruce Willis in „Stirb langsam“. Er macht auch fragwürdige Dinge, und er sieht bei allem Leid, das er erduldet, immer die sonnige Seite des Lebens und nimmt sich nicht wirklich ernst. Das macht ihn so sympathisch, und ich bin mir sicher, wir werden mehr und mehr solcher Charaktere sehen, je reifer das Medium wird. Wenn du die Wahl hättest: Welchen Charakter würdest du am liebsten sprechen? Das ist schwierig. Ich habe großen Respekt für meine Kollegen und Freunde, die Charakteren mit ihren Stimmen so viel Persönlichkeit verleihen – wie zum Beispiel Graham McTavish, der Dante im Spiel „Dante’s Inferno“ spricht. Es wäre nicht fair, ihnen ihre Figuren streitig zu machen. Aber wenn ich ganz selbstsüchtig bin, würde ich alles dafür geben, einmal „It’s a-meee“ in einem „Mario“-Spiel sagen zu dürfen. Ich wäre für immer der König meiner Kinder.
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von Christian Neeb / Juni 6th, 2010 /

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