„Alles wird kopiert“

„Alles wird kopiert“

Der Aktivist, Blogger und Science-Fiction-Autor Cory Doctorow schreibt Bücher über Gamer, die ihr technisches Know-how nutzen, um gegen Unterdrückung zu kämpfen. Anlässlich des Erscheinens seines Romans „For The Win“ traf GEE den Kanadier zum Gespräch

Herr Doctorow, Ihr neues Buch „For The Win“ handelt von Goldfarmern – also von Spielern, die für Geld zum Beispiel „World Of Warcraft“ spielen. Erinnern Sie sich noch, wann Sie erstmals von dem Phänomen gehört haben?

Das war vor einigen Jahren auf einer Videospielkonferenz. Jemand erzählte mir, dass es in Mexiko, Indien und anderen Ländern Hunderttausende Menschen gibt, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, immer dieselben stupiden Handlungen in Online-Rollenspielen auszuführen, um an virtuelle Reichtümer, begehrte Gegenstände oder hohe Levelwerte zu kommen. Die verkaufen diese „Goldfarmer“ dann an Spieler aus wohlhabenden Nationen, die sich die mühevolle Arbeit der Entwicklung ihres Charakters ersparen wollen.

Wie sah Ihre Recherche aus?

Zunächst habe ich viel Zeit auf dem Sofa und am Telefonhörer verbracht. Ich habe rund zweihundert Bücher über Wirtschaft, Globalisierung und Gaming gelesen und mich mit Experten unterhalten. Danach bin ich nach Indien und China gereist. Ich habe mich auf wenige Orte konzentriert, um nicht den Überblick zu verlieren: auf Pune, eine Freihandelszone in der Nähe von Mumbai, und auf die Städte Guang-zhou und Shenzhen unweit von Hongkong. Dort konnte ich auch mit Goldfarmern sprechen.

Welcher Fakt hat Sie während dieser Recherche am meisten überrascht?

Ich fand es erstaunlich, dass der größte Zuwachs an Goldfarmern derzeit in Dörfern und ländlichen Gegenden zu verzeichnen ist. Während viele junge Frauen in Indien und China in die Städte gehen, um in den großen Textilfabriken zu arbeiten oder iPods zusammenzuschrauben, bleiben die Männer oft zurück und werden Goldfarmer. Oft genügt irgendein Zimmer mit ein paar Tischen, Stühlen und Rechnern – die Jugendlichen aus dem Dorf kommen dann von selbst. Und deren Arbeit macht die Besitzer der Goldfarmen ungemein reich. Es gibt unzählige solcher Mini-Sweatshops, über die man bei uns nie etwas liest oder hört.

Wie genau läuft der halb legale Handel mit Spielgegenständen eigentlich ab?

Der graue Markt des Goldfarming weist Parallelen zur Börse auf. Bei den meisten Games spielen nicht alle Spieler in derselben Welt, sondern zum Beispiel auf verschiedenen Servern. Das Problem der Goldfarmer ist: Was sie auf dem einen Server erarbeitet haben, können sie nicht an Kunden auf einem anderen verkaufen. An dieser Stelle kommen Broker ins Spiel. Die meisten von ihnen sitzen in China. Diese kaufen und verkaufen auf möglichst vielen Servern der Spielwelt. Wenn ein Goldfarmer also aus Parallelwelt A etwas an jemanden in Welt B verkaufen will, geht das nur über den Broker: Der kauft die Ingame-Reichtümer aus A und verkauft an Kunden in B. Natürlich nicht, ohne vorher eine Provision abgezweigt zu haben.

Die Goldfarmer in Ihrem Roman sind mit viel Leidenschaft bei der Arbeit. Mögen die meisten Goldfarmer denn ihren Job?

Ich habe viele getroffen, die wirklich durch und durch Hardcore-Gamer sind und nach ihrem Arbeitstag von zwölf Stunden auch noch ihre Freizeit in dem Spiel verbringen. Man muss aber auch wissen, dass viele dieser Arbeitsverhältnisse nicht von langer Dauer sind. Früher oder später merken die Goldfarmer, dass ihr Boss sie ausnutzt, und sie bereuen ihren Entschluss, überhaupt damit angefangen zu haben. Aber während sie noch dabei sind, fühlt es sich für die meisten so an, als ob sie für ihr Hobby – das Spielen – bezahlt werden.

Sie beschreiben das Gefühl, online mit anderen zu spielen, und die Verschmelzung von Realität und Virtualität sehr eindringlich. Haben Sie auch in den Spielen recherchiert?

Schon. Ich habe mich in den großen Online-Games umgeschaut und habe Items von Goldfarmern gekauft, die ich im Spiel eingesetzt habe. Aber ehrlich gesagt: Die meisten Dinge, die ich über Videospiele weiß, habe ich von meiner Frau gelernt. Sie hat 1997 in der britischen „Quake“-Nationalmannschaft gespielt. Nachdem wir unsere Tochter zu Bett gebracht haben, verbringen wir den Abend häufig damit, dass meine Frau am Computer sitzt und Zombies abschießt, während ich ihr über die Schulter schaue und neugierige Fragen stelle.

Haben Sie auch mit Publishern von Online-Rollenspielen über das Thema gesprochen?

Für die sind solche Spiele aus wirtschaftlicher Sicht besonders faszinierend, weil es sich um geschlossene Wirtschaftskreisläufe handelt, die sich wunderbar studieren und direkt manipulieren lassen. Im Vergleich dazu bietet die Weltwirtschaft viel zu viele Unschärfen und Risiken. In einem Online-Rollenspiel kann das Verhalten der Spieler genau beobachtet und wenn nötig in gewünschte Bahnen gelenkt werden. Gerade, weil diese Art von Kontrolle und der lustvollen Hingabe an die Kontrolle durch etwas Höheres fester Bestandteil vieler Spiele ist. Man denke nur an die große Macht, die der Gamemaster über den Verlauf eines Pen-and-Paper-Rollenspieles ausübt – und wie gern wir uns von ihm eine Welt vorschreiben lassen.

In Ihrem Roman „For The Win“ hingegen nutzen die jugendlichen Helden die Möglichkeit, sich im Spiel zu treffen, um Widerstand gegen ihre Auftraggeber zu organisieren. Das Thema Technologie und ihr Nutzen für den zivilen Ungehorsam zieht sich durch Ihr Werk sowohl als Autor als auch als Kämpfer für die Informationsfreiheit. Welche Bedeutung hat Technologie für Sie persönlich?

Es gibt zwei Sichtweisen auf Technologie. Die pessimistische besagt, dass technischer Fortschritt den Regierungen und Großkonzernen grundsätzlich mehr Macht über die Menschen verleiht. Die optimistischere Einstellung wiederum ist, dass Technologie jedem Einzelnen mehr Möglichkeiten gibt, sich mit anderen Individuen gegen die Unterdrückung von oben zu verbünden. Ich persönlich denke, Technologie trägt von sich aus immer dazu bei, die bestehende Ordnung zu stören. Wenn die Obrigkeit übermächtig ist, wird Technologie dazu eingesetzt werden, sie zu unterlaufen. Wenn hingegen die Tendenz dahin geht, dass der Einzelne mehr Freiheiten hat, wird Technologie zunehmend zur Kontrolle des Individuums eingesetzt. Ein gutes Beispiel war die DDR: Die flächendeckende Überwachung durch die Stasi wurde erst durch Abhörtechnik möglich. Aber es war ebenso Technologie – die Verbreitung von Information, verbesserte Formen der Kommunikation – die vierzig Jahre später Perestroika und Glasnost möglich gemacht hat. Ich glaube nicht, dass wir jemals in einem Utopia leben werden, in dem die Menschen vor Überwachung durch die Obrigkeit sicher sind. Aber ich glaube auch, dass wir immer in der Lage sein werden, totalitäre Regime mit der Waffe Technologie zu erschüttern.

Die Hersteller von Spielen versuchen, durch Schutztechnologien wie das „Digital Rights Management“ (DRM) zu verhindern, dass Spieler Kopien ihrer Produkte anfertigen. Sie haben sich mehrfach sehr kritisch über derartige Kontrollmaßnahmen geäußert. Wie würden Sie einen Games-Publisher davon überzeugen, auf DRM zu verzichten?

Kein Kunde ist mit DRM glücklich. Jede Form von Kopierschutz wird eher früher als später ausgehebelt und umgangen. Der des iPads ist einen Tag nach der Markteinführung geknackt worden. Um die Einschränkungen und Unannehmlichkeiten zu umgehen, die DRM nach sich zieht, besorgen sich viele Spieler eine Kopie ohne Kopierschutz im Internet. Spiele-Publisher müssen sich über eines im Klaren sein: Mit DRM verkauft man keine Spiele. Denn gerade ihre Kunden sind meist Menschen, die sich aussuchen können, ob sie eine Kopie legal erwerben oder sie illegal und kostenlos herunterladen. Also wird nicht der Software-Pirat bestraft, sondern ehrliche Käufer, die ihr Spiel irgendwann auf einem anderen Rechner installieren wollen, es aber wegen des „Digital Rights Managements“ nicht können. Ich möchte aber auch Independent-Entwickler davor warnen, ihre Spiele an Firmen wie Apple oder Microsoft zu verkaufen, die Spiele über Downloadplattformen wie iTunes oder die Xbox Live Aracade vertreiben. Denn auch dies geschieht ausschließlich mit DRM. Dadurch werden sowohl Spieler als auch Entwickler an eine Hardware gebunden. Wenn sie irgendwann den Wunsch haben sollten, auf eine andere zu wechseln, dürfen sie das nicht, obwohl es technisch machbar wäre. Wenn ein Schriftsteller hingegen seinen Verlag wechselt, müssen die Leser seine alten Bücher deshalb nicht gleich wegwerfen.

Sie selbst bieten alle Ihre Bücher auf Ihrer Homepage zum kostenlosen Download an, verkaufen aber auch genügend Exemplare im Buchhandel, um davon leben zu können. Könnte dieses Modell auch bei Künstlern mit geringerem Bekanntheitsgrad funktionieren?

Ich glaube nicht, dass mein Weg ein Patentrezept für jeden Künstler ist. Es war schon immer so, dass die wenigsten von ihrer Kunst leben konnten – was sie jedoch nicht daran gehindert hat, Kunst zu produzieren. Fest steht aber: Kein Geschäftsmodell, welches darauf baut, dass Texte, Bücher oder Filme nicht kopiert werden dürfen, funktioniert. Denn alles kann kopiert werden, und alles wird kopiert.

Finden Sie das gut?

Im Großen und Ganzen schon, wenn man von einigen negativen Konsequenzen für die Privatsphäre absieht. Denn natürlich können auch persönliche Daten beliebig kopiert und verbreitet werden. Aber einer der größten Menschheitsträume – der Zugang zu allem Wissen dieser Welt – ist durch das Internet und die Verfügbarkeit von Kopien sehr nahe gerückt. Das zu kritisieren wäre in etwa so, als würde man sich über zunehmende Fettleibigkeit aufregen, wenn die Nahrungsversorgung jedes Menschen gesichert wäre. Aber es gibt trotz der freien Verfügbarkeit von Kopien durchaus Möglichkeiten, mit Kunst Geld zu verdienen. Es gibt das Modell, bei dem der Kunde selbst bestimmt, wie viel ihm Kunst wert ist. Es gibt im Bereich der Musik das Modell, dass kostenlose MP3-Downloads Werbung machen für Livekonzerte, die Gewinn einbringen. Es war schon immer so, dass technologischer Fortschritt bestimmte Berufe obsolet werden ließ. Mit Einführung des Radios verloren zum Beispiel viele Livemusiker ihren Job. Dank des Internets wurde das vergangene Jahr wiederum zum ertragreichsten für Künstler, die live aufgetreten sind.

Und welches Modell ist Ihrer Meinung nach für die Gamesbranche praktikabel?

Das zeigt sich am Erfolg von Spielen wie „World Of Warcraft“: Durch die monatlichen Beiträge, die jeder Spieler zahlen muss, generieren diese Spiele einen enormen Gewinn. Aufwendig produzierte Single-Player-Spiele scheinen hingegen kein erfolgversprechendes Zukunftsmodell zu sein. Denn aufgrund der hohen Kosten trauen sich Publisher immer seltener, kreative Risiken einzugehen. Die größten Aussichten auf Erfolg hat derzeit jede Form des Experiments, solange es nicht zu viel kostet. Nur auf diese Weise kann man neue Wege finden, mit Videospielen Geld zu verdienen. Und besonders die Entwicklung, die wir gerade im Bereich der Independent-Games erleben, deutet in diese Richtung. Cory Doctorow, 38, ist gebürtiger Kanadier und lebt mit seiner Frau Alice und seiner zweijährigen Tochter Poesy Emmeline Fibonacci Nautilus Taylor Doctorow in London. Dort schreibt er nicht nur Science-Fiction-Romane wie den Bestseller „Little Brother“, sondern versorgt zudem als einer der Mitherausgeber den beliebten Kuriositäten-Blog Boingboing.net mit täglichen Einträgen. Neben einer ausgeprägten Obsession für Disney gilt sein Interesse vor allem den Fragen des Urheberrechts und den Möglichkeiten, mithilfe von Technologie die Welt zum Besseren zu verändern. Doctorow ist Gründer der britischen Open Rights Group und war Vorsitzender der Electronic Frontier Foundation. In seinem Buch „Content“ kritisiert Doctorow die immer dras-tischeren Maßnahmen großer Konzerne zur Sicherung intellektuellen Eigentums. Er selbst stellt alle seine Bücher parallel zur regulären, im Buchandel erhältlichen Variante als Gratis-Download auf seiner Website zur Verfügung. www.craphound.com
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von Oliver Klatt / Juni 8th, 2010 /

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