Leidkultur
Fanfaren, Schüsse, Trommelwirbel: Seit Jahrzehnten inszenieren Videospiele Krieg als Abenteuerspielplatz für harte Kerle, Tod und Elend sind meist bloß Kulisse. Doch kann es überhaupt Antikriegsspiele geben? Eine Analyse
Es ist der 6. Juni 1944. Alliierte Landungsschiffe werden vor der Küste der Normandie hin- und hergeworfen von den Wellen des Atlantiks. Nazi-Artillerie feuert vom Strand aus allen Rohren. Hunderte Boote prallen auf die Küste und spucken ihre Fracht auf den Kontinent wie gestrandete Fische, die nur kurz noch zappeln und dann liegen bleiben. Doch ein Mann rennt geradewegs durch das Sperrfeuer den Strand hoch, duckt sich unter den unablässig prasselnden Kugeln weg und erklimmt die Steilküste, bis er zu einem Geschützbunker gelangt. Er presst sich an die Wand, reißt eine Granate von seinem Gürtel und wirft sie hinein. Eine Explosion zerreißt den Bunker. Schnitt. Der Soldat steht im Sonnenschein am Ufer und blickt auf das Meer hinaus. Die Nazis sind besiegt, eine ferne Trompete spielt eine Fanfare, und eine markige Männerstimme dröhnt: „Heldenmut! Pflichtgefühl! Führung! Aufopferung!“ Die Kamera dreht sich um den Soldaten. Hünenhaft steht er vor der Sonne, die seinen Kopf umrahmt wie ein Heiligenschein. Und während das Orchester den Schlussakkord des Intros schmachtet, schiebt sich der Spieltitel ins Bild: „Medal Of Honor: Allied Assault“.
Dieses Spiel und diese Szene stehen beispielhaft für eine ganze Masse an Games, in denen sich Militärpathos und Kriegskitsch mischen. Besonders nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 schossen solche Spiele aus dem Boden wie Atompilze in „Modern Warfare“. Wenn die „Men Of Valor“ zu Marschtrommelschlägen dem „Call Of Duty“ folgen, der Krieg sie zu „Brothers In Arms“ zusammenschweißt und sie dafür am Ende strahlend die „Medal Of Honor“ erhalten, kann man sich sicher sein: Das ist ein Videospiel – und so schön ist Krieg nur hier. Games und Armee passen zusammen wie die Faust aufs Auge, und sie blicken zurück auf eine lange gemeinsame Geschichte. So hat die US-Armee regelmäßig Shooter wie „Doom“, „Delta Force 2“ oder „Rogue Spear“ zu Trainingsprogrammen modifiziert. „Full Spectrum Warrior“ hat sogar seinen Ursprung beim Militär und war ursprünglich eine Simulation, die erst zu einem Taktikshooter umgemodelt und dann zu einem kommerziellen Hit wurde.
Umgekehrt ziehen Spieleentwickler immer wieder Kriegsveteranen oder ehemalige Militärs als Berater hinzu. Die distanzlosesten Beispiele: Raven Software schuf das ultrabrutale „Soldier Of Fortune“ mit Unterstützung des gleichnamigen Söldner-Magazins und des realen Söldners John Mullins, der zugleich die Hauptfigur des Spiel war. Und der Entwickler Kuma Reality Games brüstete sich beim Erscheinen seines pseudodokumentarischen „Kuma\War“, er habe aktuelle Kriegsszenarien nur dank der Insider-Informationen ehemaliger US-Offiziere so realitätsnah nachbilden können. Angesichts des engen Verhältnisses zwischen den Architekten virtueller und realer Kriege wundert es fast, dass das US-Militär erst 2002 auf die Idee kam, mit „America’s Army“ selbst einen Egoshooter auf den Markt zu bringen – als Werbeinstrument, um jungen Amerikanern die Vorzüge des Soldatenlebens nahe zu bringen.
Reine Kriegspropaganda
Der Journalist Hartmut Gieselmann hat sich für sein Buch „Der virtuelle Krieg“ mit den Zusammenhängen zwischen Games und Krieg beschäftigt. Er hat es mit dem Appell beendet, die Kollaboration zwischen Industrie und Militär müsse offen gelegt werden: „Es muss eindeutig klar gemacht werden, dass es sich hierbei um Kriegspropaganda handelt.“ Gieselmann lehnt den tumben „Hurra-Patriotismus“ vieler Spiele ab, „die Krieg als spannenden Abenteuerspielplatz präsentieren“.
Doch seit einigen Jahren wandelt sich die Darstellung des Krie-ges im Computerspiel: Immer häufiger wird der Blick auf Aspekte gerichtet, die nicht ganz so glanzvoll sind. Wenn der Spieler etwa in „Call Of Duty 4“ als Soldat Zeuge wird, wie die Mitglieder seines Kommandos Russen im Schlaf erschießen, wenn er als Präsident Yasir Al-Fulani seine eigene Exekution miterlebt oder als US-Marine nach einer Atombombenexplosion sterbend auf die zerfetzte Stadt blickt, wird die Abscheulichkeit des Krieges spürbar.
Wird es also bald ein Antikriegsspiel geben, ein „Apocalypse Now“ des Videospiels? Ist so etwas überhaupt möglich? „Ein kriegskritisches Spiel müsste das Leid und die menschlichen Katastrophen zeigen, ohne das alles zur Aufstachelung gegen den Gegner einzusetzen oder die Hauptspielfigur als ‚harten Kerl‘ zu präsentieren“, sagt Gieselmann. Doch genau da liegt das Problem: Denn selbstredend sind es in „Call Of Duty“ die Ter-ro-ris-ten, die exekutieren, die bösen Russen haben die Atombombe gezündet – und natürlich ist es der Spieler, der sie tötet und sich dabei sicher ist, dass seine Handlungen moralisch legitimiert sind. Es reicht also nicht, den Spieler nur dem Wahnsinn des Krieges auszusetzen. Schließlich gehört dieser seit jeher zu den wichtigsten Unterhaltungswerten des Mediums. Games waren immer gut darin, Bedrohtheit zu vermitteln. Insofern haben sie schon immer versucht, die Schrecken der Gewalt zu zeigen – solange es die Gewalt der Gegner war. Ein Antikriegsspiel müsste andersherum vorgehen: Es müsste das Widerwärtige der Gewalt zeigen – und zwar der eigenen.
Saubere Wohlfühlgewalt
Fünf Männer in einem Fahrstuhl. Einer davon ist Vladimir Makarov, einer davon sind wir. Er trägt ein Maschinengewehr, genau wie wir. Die Türen gleiten zur Seite, und wir schlendern in die Halle des Moskauer Flughafens. Überall warten Reisende geduldig auf ihren Flug. Wir eröffnen sofort das Feuer auf sie.
Im Flughafenlevel aus „Call Of Duty: Modern Warfare 2“ ist der Spieler als CIA-Agent Teil eines der menschenverachtendsten Gewaltexzesse der Videospielgeschichte – und zwar aus der Sicht des Täters. Das ist verstörend, weil die Reisenden nicht in die „Ich muss schießen, sonst schießt der Gegner“-Logik passen, an die Spieler lange gewöhnt wurden. Die Touristen sterben nicht, weil sie „die Bösen“ sind – sondern weil jemand beim Briefing gesagt hat, dass das so sein soll. Menschenverachtend ist vor allem die Gelassenheit, mit der das vonstatten geht: Seelenruhig schlendern wir durch die Halle, während die Urlauber panisch davonrennen. Wir ballern ein Magazin nach dem anderen in die wehrlose Menge, ungestört von den Leichenbergen und den Todesschreien. In aller Ruhe laden wir nach, während ein Verblutender über den Boden davonzukriechen versucht, mit letzter Kraft nach einer helfenden Hand greift und sie nicht findet. Beiläufig schießen wir auch ihn nieder.
Jegliche Menschenwürde wird hier ausradiert. Die panisch Fliehenden wirken wie Tiere. „Modern Warfare 2“ nötigt uns zu ei---nem obszönen Menschenmähen. Und als wäre das nicht schlimm genug, zieht uns das Spiel auch noch den letzten moralischen Halt unter den Füßen weg: Wir werden von Makarov, der die ganze Zeit von unserer Doppelidentität wusste, erschossen. Davor eröffnet er uns, dass er unsere Leiche dazu missbrauchen wird, den Flughafenanschlag als amerikanischen Terrorakt zu verkaufen. Am Ende war das sinnlose Morden nicht nur sinnlos – es wird sogar noch größeres Blutvergießen hervorrufen.
Es darf bezweifelt werden, dass Activision die Absicht hatte, mit „Modern Warfare 2“ Gewalt zu kritisieren. Dennoch wird an diesem Beispiel – und im Vergleich zum Film – sichtbar, in welche Zwickmühle sich ein Actionspiel begeben würde, wollte es Kritik üben: In einem Antikriegsfilm, der seine Protagonisten Gräueltaten vollbringen lässt, hat der Zuschauer die Option, deren Handeln moralisch abzulehnen – und auch dann läuft der Filmprojektor weiter. Wollte sich ein Computerspieler von dem Flughafengemetzel distanzieren, bliebe er immer zugleich derjenige, der die widerwärtigen Gewaltakte selbst ausführt.
Dieser Spagat war für viele Spieler unerträglich. Und so entfachte gerade dieser Level, der von leicht konsumierbarer Gewalt abrückte, einen Skandal: Als „Modern Warfare 2“ 2009 in Deutschland erschien, regten sich nicht nur die üblichen „Kil-lerspiel“-Hetzer über die Gewaltdarstellung auf, sondern auch die Spielemagazine. In ihrer Wut wurde hörbar, wie flau es den Spielern ohne ihre saubere Wohlfühlgewalt wurde. So schimpfte die Spiele-Webseite Krawall.de: „Warum man selbst Henker spielen muss, damit die Bosheit so richtig klar wird, das müsste uns Activision dann bei Gelegenheit schon noch verraten.“ Und auch die Gamestar forderte die Rückkehr zum gewohnten Schema der immer nur von den Gegnerfiguren ausgehenden hässlichen Gewalt: „Hätte man tatsächlich ein Empfinden für das Leid der Opfern solcher Verbrechen schaffen wollen, wäre die Perspektive eines der Opfer die richtige gewesen, nicht die reaktionslose Mittäterrolle.“ Viele zum nicht moralisch legitimierten Töten genötigte Spieler reflektierten also nicht ihre Rolle, sondern warfen trotzig die virtuelle Flinte ins Korn.
Innere Konflikte
Einen anderen Ansatz verfolgt Yager Development derzeit im Shooter „Spec Ops: The Line“. Das Spiel, das Anleihen bei dem Antikriegsfilm „Apocalypse Now“ und der ihm zugrunde liegenden Novelle „Heart Of Darkness“ macht, schickt uns als US-Soldat Martin Walker in ein verwüstetes Dubai der Zukunft. „Wir wollen nicht nur ein gutes Actionspiel machen“, sagt Studiochef Timo Ullmann, „sondern grundsätzliche Fragen stellen: Was ist moralisch? Und kann ich mich moralisch verhalten, während ich als Soldat weiter meinen Auftrag ausführe?“ Der Spieler begebe sich in „Spec Ops“ mit seiner Figur nicht nur auf eine äußere Reise nach Dubai, sondern auch auf eine innere: „Martin Walker ist ein hoch professioneller Soldat“, sagt Ullmann, „doch im Laufe des Spiels werden ihn die Ereignisse, auf die er trifft, verändern.“
Die Schrecken des Krieges zeigt auch „Spec Ops“, nötigt den Spieler jedoch nicht dazu, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Die Entscheidung liegt alleine bei ihm und hat Folgen für den Spielverlauf. Einmal beobachtet Walker etwa mit seinen Begleitern aus sicherer Entfernung, wie Soldaten Zivilisten „sandboarden“: Aus kurzer Distanz schießen sie immer wieder knapp über deren Gesichter in den Sand. Der Spieler muss nun entscheiden, wie er mit der Situation umgeht. Dabei stellt Ullmann der Hauptfigur absichtlich zwei Teamkameraden an die Seite, um den moralischen Konflikt auf die Spitze zu treiben: Während der eine die Folter nicht weiter mit ansehen will und darauf drängt, einzugreifen, warnt der andere, das würde sie nur selbst in Gefahr bringen, getötet zu werden. Was ist gut, was schlecht? „Wir werfen den Spieler in eine moralisch komplexe Situation und lassen ihn darüber entscheiden“, sagt Ullmann, „wir wollen ihn nicht erziehen, ihm aber Denkanstöße geben.“ Dennoch: Als Antikriegsspiel im engeren Sinne will er sein Spiel nicht verstanden wissen – zentral sei für ihn, den Spieler zu unterhalten.
Kann also ein Antikriegsspiel überhaupt funktionieren – wenn virtueller Krieg doch vielen so viel Spaß macht? Ist alle vorhandene Kritik an Gewalt bloß Fassade, hinter der im Grunde doch nur bequeme, konsumierbare Kriegsspiele stecken? Das Brow-sergame „September 12th“ zeigt im Kleinen, wie es gehen könn-te: Der Computerspielforscher Gonzalo Frasca hat es 2002 als kritischen Kommentar zu den US-Militäroperationen im Nahen Osten geschaffen. Der Spieler blickt darin auf eine arabisch anmutende Stadt. Gestalten in Gewändern laufen über einen Basar. Unter ihnen: schwarz gekleidete Männer mit Waffen. Terroristen. Der Spieler steuert ein Fadenkreuz. Feuert er auf einen Terroristen, fliegt behäbig eine Rakete heran. Wenn sie aufschlägt, ist der Terrorist längst fort. Dafür zerstört sie einen halben Häuserblock und tötet etliche Zivilisten. Passanten knien sich trauernd über die Toten und verwandeln sich schließlich in Terroristen. Fährt der Spieler also un-beirrbar mit dem Bombardement fort, endet jede Partie gleich: Die Straßen werden schwarz vor Terroristen.
„September 12th“ bringt tatsächlich das Kunststück fertig, ein reinrassiges Antikriegsspiel zu sein. Und doch ist mit ihm die Frage nicht gelöst, ob auch Mainstream-Games sich gegen den Krieg wenden können. Denn „September 12th“ ist nicht nur ehrlich, un-missverständlich und kompromisslos in seiner Botschaft – sondern auch stinklangweilig. Es ist eher ein spielbares, simples Modell des amerikanischen Kriegs gegen den Terror als ein wirkliches Spiel. Und seine Botschaft zeigt womöglich den einigen Ausweg aus dem Dilemma der Kriegsspiele: Der einzige Weg, es zu gewinnen, ist, es nicht zu spielen.
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