California Games

California Games

Vor mehr als 20 Jahren ließ die Firma Epyx ihre Spieler von Kalifornien, Sonne, Strand und Sport träumen. Und noch heute wird einem bei der Trendsport-Olympiade warm ums Herz Einen Skateboardtrick zu machen ist heutzutage in Videospielen fast so schwer wie in Wirklichkeit. Die Spieler balancieren auf Skateboards nachempfundenen Controllern, oder sie reihen komplizierte Tastenkombinationen aneinander, um Tricks zu zeigen, die sich echte Skater niemals trauen würden. Als Epyx 1987 das Spiel „California Games“ für den Commodore 64 herausbrachte, war die Welt noch einfacher. Schwung holen und drei verschiedene Kunststücke: Viel mehr hatte der Halfpipe-Skater in dem Spiel nicht drauf. Mehr hätte er sich auch gar nicht merken können, denn der Speicher des C64 war viel zu klein für lange Animationen. Statt in etablierten Sportarten – wie Speerwurf und Hürdenlauf in „Summer Games“ oder Skurrilitäten wie Baumstammwerfen und Klippenspringen in „World Games“ – durften sich Spieler bei „California Games“ in Wettbewerben messen, die den lässigen Lifestyle Kaliforniens widerspiegelten: Surfen, Skateboard- und BMX-Radfahren, Rollschuhlaufen, Hackysack, Frisbee-Werfen. Die Olympischen Spiele nachzuspielen machte zwar Spaß, aber diese Disziplinen waren neu und wild. Erst acht Jahre später wurde ein vergleichbarer Wettbewerb in der Realität umgesetzt. Heute sind die „X Games“ des Fernsehsenders ESPN die größte Extremsportveranstaltung der Welt. Entstanden ist die Idee zu „California Games“ aus einem Witz heraus. „Intern nannten die Programmierer bei Epyx die Sportspielsammlungen ,Bummer Games‘, weil sie der simplen Minigames überdrüssig waren“, erinnert sich Kevin Furry, der für „California Games“ Rollerskating und Frisbee-Werfen entwickelte, „da diese Spiele aber so erfolgreich waren, sahen wir uns auf ewig zum Entwickeln kurzer und einfacher Games verdammt.“ Er überzeugte die Chefetage davon, ihren Programmierern beim nächsten Spiel mehr kreativen Spielraum zu geben und sich eine frische Idee fürs Marketing zu überlegen. Das Spiel sollte anders sein und mehr Substanz haben. Der Mix aus Trendsportarten lag für das in Kalifornien ansässige Unternehmen quasi auf der Hand. Aber nicht nur die sportlichen Disziplinen waren frisch, auch das Gameplay fiel raffinierter aus als in den bisherigen Teilen der Serie. Die sind zu dieser Zeit vor allem dafür bekannt, wahre Joystick-Killer zu sein, weil viele Disziplinen nur durch das heftige und lange Herumrütteln am Steuerknüppel zu gewinnen sind. „Mindestens ein Dutzend beim Spielen von ,Summer Games‘ zerbrochene Joysticks hing wie Trophäen an meiner Wand“, sagt Jon Leupp, der damals das Surf-Event programmierte. Diese Art des Gameplays war ohnehin schon lange bekannt, aus Spielen wie „Track And Field“ oder „Decathlon“ und beileibe keine Erfindung von Epyx’ Programmierern. „Jetzt wollten wir etwas Besseres machen als alles, was es vorher gab“, erinnert sich Ken Nicholson. „Bessere Grafik. Besserer Sound. Besseres Gameplay. Innovativ und neuartig sollte unser Spiel werden.“ In „California Games“ spielt häufiger das Timing eine entscheidende Rolle, und die Bewegungsabläufe sind deutlich diffiziler. „Es war keine bewusste Entscheidung, in ,California Games‘ weniger auf Gerüttel zu setzen“, sagt Leupp – „wir haben einfach versucht, die Steuerung für jedes Event so passend wie möglich zu machen.“ Natürlich: Je älter die Lieblingsspiele der eigenen Jugend sind, desto mehr werden sie verklärt. Mächtig kompliziert und anspruchsvoll schien es Spielern damals, der Figuren auf dem Bildschirm Herr zu werden. Nicht zuletzt weil sich bereits damals niemand die Blöße geben wollte, die Anleitung zu lesen. Oft wurde erst mal planlos herumprobiert, und die einzelnen Wettbewerbe waren schneller vorbei als die Ladepausen dazwischen. Erst nach und nach erschlossen sich die Feinheiten der Steuerung. Umso erstaunlicher, wie schnell man die Mechanik der Minispiele heute im Griff hat. Sehr deutlich wird das beim Frisbee-Werfen. Wurfgeschwindigkeit und -winkel werden dabei durch ein Steuerelement bestimmt, wie es heute in Golfspielen Standard ist: Ein Strich wandert über eine Skala, und es gilt ihn im richtigen Moment zu stoppen. Früher war es eine echte Herausforderung, den kleinen grünen Bereich zu treffen, um die Scheibe mit voller Wucht loszuschleudern. Heute wirkt er gar nicht mehr so klein, und der Strich bewegt sich so langsam, dass es überhaupt kein Problem ist, ihn mit dem korrekten Timing zu stoppen. Auch beim Surfen gelingen heute auf Anhieb Ritte auf der Welle, wie sie in der Jugend nicht mal bei geübt-geschickten Freunden zu sehen waren. Und beim Rollerskaten springt man jetzt bei voller Fahrt über Hindernisse, während die Figur früher meistens verzweifelt am Boden lag. Heute, als gereifter Spieler, erkennt man zudem, wie clever die Entwickler die Disziplinen auf ihre wesentlichen Merkmale reduziert haben. Trotz ihrer beschränkten Möglichkeiten rufen die Spiele Emotionen hervor, die zu den Sportarten passen. Beim Surfen schneidet man mit aufgekantetem Brett schöne Schwünge in die Welle, um beim Hacky-sack den Ball lange in der Luft zu halten und dabei noch Tricks zu machen, zählt Konzentration, und beim BMX und Rollerskaten spürt man die Anstrengung vom ständigen Treten und Schwungholen am eigenen Leib. Game-Design und Programmierung wurden damals noch in Personalunion übernommen. Nur für Grafik und Sound gab es Extraleute. Insgesamt haben etwa zehn Menschen an dem Spiel mitgearbeitet. Die meisten waren um die 20 Jahre alt, und vor allem die Programmierer inszenierten sich gern als exzentrische Wunderknaben. „Wir hatten viele Freiheiten“, sagt Kevin Furry, „Ausflüge zu Toys’R’Us waren an der Tagesordnung. Überall hingen aufblasbare Tiere und Palmen herum. In jedem Büro standen Fahrräder, Rollschuhe und Skateboards, und auf den Tischen lag Spielzeug.“ Die Disziplinen wurden einzeln entwickelt, aber die Programmierer tauschten sich untereinander aus und prahlten voreinander mit neu kreierten Spezialeffekten oder besonders cleverem Assembler-Code. Die meisten von ihnen sind auch heute noch lose in Kontakt, manche sogar gut befreundet. Ob ihre Programmierer etwas draufhatten, überprüfte Epyx mit einem Einstellungstest, bei dem komplizierte Fragen zu einem bestimmten Prozessor gestellt wurden. Damit sie aber auch wussten, worauf es bei ihrer jeweiligen Sportart ankommt, zahlte das Unternehmen ihnen Trainingsstunden und Reisen. Kevin Furry fuhr nach Venice Beach zum Rollerskaten und spielte in Stanford Frisbee mit Sportstudenten. Chuck Sommerfelle hatte das Halfpipe-Event sowieso nur vorgeschlagen, weil er bereits während der Highschool selbst Skateboard gefahren war, und Jon Leupp qualifizierte sich für den Wettbewerb im Wellenreiten, weil er auf Hawaii aufgewachsen war und deswegen bereits auf einem Surfbrett gestanden hatte. „Ken Nicholson entwickelte sich sogar zu einem Hackysack-Verrückten, der jede Menge verschiedene Schuhe und Bälle in seinem Büro herumfliegen hatte“, erinnert sich Kevin Furry. So eng vertraut mit ihrer Disziplin, gelang es den Entwicklern, sie auf den Punkt zu reduzieren. Auch in den heute populären Sportspielsammlungen mit Bewegungssteuerung – sei es für Wii, Playstation Move oder Kinect – werden die Games wieder auf ihre Essenz abstrahiert. Oft genügt eine einzelne Handbewegung, um eigentlich komplexe Manöver auszuführen. Und natürlich setzen auch moderne Spiele oft auf körperliche Anstrengung durch schnell zu wiederholende Bewegungen. Und wie ihre Vorgänger machen sie am meisten Spaß mit vielen Teilnehmern. Bis zu acht Spieler konnten an den „California Games“ teilnehmen, die Disziplinen wurden nacheinander absolviert und Rekorde in der Highscore-Liste gespeichert. Da klickten die Mikroschalter um die Wette, und die Tische wackelten – heute wird gemeinsam herumgehampelt. „Das Original wirkt heute so primitiv“, sagt Ken Nicholson, „es ist kaum zu glauben, dass es zu seiner Zeit State of the Art war. Auflösung, Farbtiefe, Prozessorgeschwindigkeit, Grafik- und Soundfähigkeiten und sogar die Entwicklertools waren so bescheiden, dass es fast peinlich ist. Wenn ich das Spiel heute sehe, ist es, als würde ich eine alte Kinderzeichnung von mir ansehen.“ Kevin Furry ist sich sicher: „Die Vorstellungskraft der Spieler war der Schlüssel zu unserem Erfolg.“ Dabei haben die Entwickler nicht nur bei der Steuerung Sinn für Feinheiten bewiesen. Natürlich ist die Grafik pixelig und blass, aber für Details wie Haarbänder, Ohrringe, Gestrüpp am Strand oder Sponsorenlogos im Hintergrund hat es damals gereicht. Sogar Späße wie sporadisch auftretende Erdbeben beim Skaten, einen Delfin, der gestürzte Surfer auslacht, oder einen Vogel, der vom Hackeysack zu Fall gebracht wird, haben Nicholson und seine Kollegen in den begrenzten Speicher des C64 gepackt. Wellenrauschen und Möwengeschrei unterstreichen die lässige Sommer-Atmosphäre. Es gibt Spiele, die deutlich schlechter gealtert sind. Eine Neuauflage ihres Klassikers mit den technischen Möglichkeiten von heute können sich die Entwickler von damals gut vorstellen. Vielleicht mit ein paar neuen Disziplinen wie Snowboarden oder Kitesurfen. „Zwischen den Events würde man mit einem roten Cabrio an der Küste entlangcruisen“, sagt Ken Nicholson, „es gäbe verschiedene Radiostationen wie bei ,GTA‘, und die Gewinner würden eine Party in der Playboy-Mansion feiern.“ „California Games“ gibt es unter anderem als Virtual-Console-Download für Nintendos Wii und kostet 5 Euro. Ebenfalls spielbar ist es mit dem C64 DTV, einem Competition-Pro-Joystick mit eingebautem C64-Emulator und 30 vorinstallierten Spielen. Darüber hinaus gibt es Software-Emulatoren für Mac und PC. Wer Spieldateien aus dem Internet nutzt, bewegt sich allerdings in einer rechtlichen Grauzone.
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von Moses Grohé / Februar 5th, 2011 /

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