Lückenfüller

Tatsächlich sind beim Übertragen der letzten iPad Ausgabe ins Print-Layout ein paar Sätze der Geschichte zur Play11 verloren gegangen. Darum haben wir uns entschlossen, die Story hier noch einmal in voller Länge zu veröffentlichen. Viel Spaß beim Lesen.

Freies Spiel

Vom 3. bis 5. November fand in Potsdam das vierte „Play“-Festival statt. Videospiele wurden zweckentfremdet, Egoshooter zur Bühne eines Ballettstücks. GEE hat mitgetanzt von Lars Tunçay

Im langen Gang zwischen Multiplex und Elektromarkt sausen Plastikautos über die Fliesen. Modellbahnen aller Größen drehen stur ihre Runden vor den weit aufgerissenen Augen staunender Kinder. Umstellt von der analogen Elektronik der 6. Modellbautage befindet sich auf halber Höhe ein Ladengeschäft, an dem sich die kleinen Bastler die Nasen platt drücken. Drinnen legt ein rhythmisches Ping und Pong den Klangteppich für den Tag, während von einer Leinwand die Furzgeräusche erklingen, mit denen sich „Octodad“ vorwärtsbewegt. In der Mitte des Raums rezitieren zwei Mädchen Shakespeare. „Oh Romeo, mein Romeo“ ist zu hören, dann flitzen sie schnell zum Xbox-Controller, um einen Knopf zu drücken.

Sie spielen „B.U.T.T.O.N.“, was für „Brutally Unfair Tactics Totally Ok Now“ steht und Teil einer Ausstellung der „Play11“ ist. Drei Tage lang versuchen sich Medienpäda-gogen und Künstler an einer etwas anderen Herangehensweise ans Videospielen. Die Exponate, zu denen auch „Pong Invaders Reality“ zählt, bei dem man mit einem Tischtennisball „Space Invaders“-Raumschiffe abschießt, stehen am Eingang und sollen die Passanten neugierig machen auf das, was sich dahinter abspielt. An vier Stationen werden Spiele zweckentfremdet und weitergedacht. Verantwortlich hierfür ist der Verein Creative Gaming. „Das Ziel ist ein Perspektivwechsel“, sagt Andreas Hedrich, Sprecher der Initiative. „Wir wollen zum Nachdenken darüber anregen, welche ungeahnten Aspekte im Computerspielen drinstecken.“

Gespräche statt Broschüren
Creative Gaming agiert als freie Institution ohne strategische Förderung auf Bundesebene. Bildung ist Ländersache und so auch die medienpädagogische Bildung. „Im Fokus der Bundespolitiker ist zwar Film als wichtiges bildungspolitisches Thema angekommen, aber von einer strategischen Entscheidung zum Thema Medienkompetenzförderung für alle Medienformen ist man noch weit entfernt“, sagt Andreas Hedrich. Da ist es effektiver, direkt an die Pädagogen heranzutreten und Interesse zu wecken. In Hamburg klappt das bereits an drei Schulen. 14 Klassen wurden in diesem Jahr von der Ini-tiative betreut. Sie alle behandeln das Thema Computerspielen im Unterricht. In Kunst und Deutsch ebenso wie im Informatikunterricht. „Ich finde, das macht nur dann Sinn, wenn die Lehrer das Thema selber im Unterricht aufgreifen und integrieren können“, sagt Hedrich.

Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, die Eltern zu erreichen. Diese Aufgabe ist in den letzten drei Jahren zur zentralen Aufgabe der medienpädagogischen Arbeit geworden. „Es gibt ständig neue Broschüren, Internetplattformen und Flyer. Deren Botschaft kommt bei den verunsicherten Eltern jedoch nur selten an“, weiß Hedrich. Dass er und seine Kollegen mit der „Play“ auch nur eine Handvoll Erziehungsberechtigte erreichen kann, ist ihm bewusst. „Aber immerhin können wir sie hier direkt in ein Gespräch verwickeln.“

Rentner und Mädchen
Am Samstagnachmittag verirren sich immer wieder Passanten in die Räumlichkeiten. Draußen kreisen die Modellbahnen, und nicht wenige glauben, die „Play“ gehöre zum Programm. Einige ältere Herrschaften wagen sich nach drinnen, wirken jedoch ziemlich verloren neben den spielenden Kids. Interessiert zwar, aber doch mit Abstand. Rentner Josef Schnelle findet die Veranstaltung klasse, „aber nichts für unsereins. Da lassen wir mal lieber die Kinder spielen.“ Hausfrau und Mutter Gisela Leukert hat dagegen keine Berührungsangst. Sie sitzt mit ihren zwei Söhnen an einer der Spielstationen und knobelt sich durch „Machinarium“. „Eigentlich wollten wir Modelleisenbahnen gucken. Aber die Computer sind dann doch reizvoller“, sagt sie und gibt ihrem Sohn den Tipp, den Roboterhals auszufahren, um an einen Schalter für die Brücke zu kommen.

Sie sitzen am Tisch von Spielbar.de, einer Internetplattform für die Auseinandersetzung mit Spielinhalten, die die Bundeszentrale für politische Bildung ins Leben gerufen hat. Hier kann man sich über die Regularien der USK informieren oder Spieletests nachlesen und selbst kommentieren. Allerdings wirkt die Website auf das jugendliche Zielpublikum wenig anziehend, wie Mitinitiator Tobias Miller zugeben muss. „Dafür ist die Konkurrenz im Web einfach zu groß. Wir machen uns gerade Gedanken, wie wir sie für die Spieler attraktiver machen können, ohne die Erwachsenen zu überfordern.“ Gerade werden die Computer und Konsolen ausschließlich zum Spielen genutzt. In der Auseinandersetzung mit Schulklassen an den Vortagen ist es aber laut Miller gelungen, „die Jugendlichen zu sensibilisieren“. Auch wenn der Spielspaß immer vorgeht. Als effektiver empfindet er dagegen den Gang in Jugendeinrichtungen und die Veranstaltung von Eltern-LANs, bei denen die Erziehungsberechtigten mal selbst erleben können, wovon Einrichtungen wie die Bundeszentrale immer reden.

Während eine Gruppe Mädchen bei „Just Dance“ zum Halloween-Song aus „Nightmare Before Christmas“ wogt, sitzen wenige Meter weiter ebenfalls ausschließlich Schülerinnen an den „Sims 2“-Stationen. Wohl vor allem, „weil sie mit der Plattform vertraut sind und Jungs sich schnell langweilen, wenn der Wettbewerb fehlt“, vermutet Gesa Jäger, Filmstudentin an der Hochschule für Film und Fernsehen und seit zwei Jahren Mitarbeiterin bei Creative Gaming. Hier entstehen Machinimas – mithilfe von Computerspielen produzierte Animationsfilme. Und deren Plots drehen sich hauptsächlich um betrogene Liebschaften. „Wir hatten in den drei Tagen einen Jungen dabei, aber der konnte einem echt leid tun, denn der hatte nichts zu melden.“ Julia und Denise haben an einem Nachmittag den schwarzhumorigen Clip „Der Pool des Todes“ gedreht, in dem sie ihre Protagonisten auf mysteriöse Art im Bad versenken. Am Ende des Tages wurde er dann von ihren Mitschülern nachsynchronisiert. Dabei kam eine witziges Telefonat zwischen Tod und Gott heraus, in dem der Gevatter vor Überlastung stöhnt und Mitgefühl mit den Sterblichen zeigt.

Bauen und sprengen
Das sonore Ping und Pong ist nach wie vor zu hören und vermischt sich mit Affengeschrei, das von vorne herüberdringt, bevor die Urheber ein weiteres Mal zum Controller stürmen, um die Knöpfe zu malträtieren. Ein Vater hat es sich in der Indie-Ecke gemütlich gemacht und passt mit einer 3D-Brille auf der Nase fasziniert Quader in die Formen, die das Spiel „Super Hyper Cube“ ihm vorgibt. Der fünfzehnjährige Sohn von Petra Giese versucht sich derweil an einem Nachbau von New York im Freeware-Editor „Kodu“ und präsentiert das Ergebnis stolz seinen Kumpels. Seine Mutter geht ihm dabei zur Hand und lässt sich von den Pädagogen in ein Gespräch verwickeln. „Zu Hause achte ich schon darauf, was er spielt. Da gibt es einen Egoshooter, bei dem man als Polizist dafür bestraft wird, wenn man jemanden erschießt. Das finde ich gut.“ Bald schaut jedoch auch sie auf die Armbanduhr und drängt den Sprössling zum Weitergehen. Immerhin zeigt sie Interesse für das Spielverhalten ihres Sohnes. Das gilt jedoch nicht für alle Besucher, die in den drei Tagen vorbeischauen. „Einige stellen ihre Kids hier ab und gehen weiter“, sagt Gesa Jäger. Die Aufgabe der Medienerziehung wird also wieder einmal weitergereicht.

Nebenan balgen sich Jugendliche um einen Platz an den Notebooks, auf denen „Minecraft“ läuft. Gregor Lange von der Leipziger Computerspielschule betreut den Stand und wirkt am letzten Tag etwas müde. „Am Donnerstag hatten wir 75 Achtklässler aus dem Berliner Wedding hier. Die meisten Jungs waren an unserem Tisch und haben sich um die Rechner gekloppt.“ Ziel war es, mit den Kindern aus dem Problemviertel etwas zu erschaffen. „Das hat auch echt gut funktioniert. Besonders die, die noch nie an ,Minecraft‘ saßen, haben die kompliziertesten Gebilde gebaut. Zum Schluss haben sie die dann aber mit einem Mausklick gesprengt.“ Einiges ist dennoch geblieben, wie etwa das Eisschloss, das der fünfzehnjährige Kilian gebaut hat. Das Bauwerk, in dem er seinen Namen auf einem Schild verewigt hat, erntet am Abend im Rahmen der Abschlusspräsenta-tion Bewunderung.

Tanzen, nicht schießen
Am letzten Tisch schließlich sieht alles nach einer typischen LAN-Session aus. Auf den Rechnern läuft ein Freeware-Egoshooter, und einige Medienpädagogen, ein angehender Game-Designer und eine Zahnmedizinerin lassen die Waffen sprechen. „Das ist aber nur dafür da, die Spielmechanik kennenzulernen“, erklärt die Studentin Jana Dugnus, die zusammen mit Gesa Jäger den Workshop „Urban Terror Dancing Queen“ leitet. Ziel ist es, mithilfe der Mechanismen des Spiels auf HipHop-Beats zu tanzen. Jenny Hicks, im richtigen Leben Interfacedesignerin, übernimmt die Choreografie, die eilig in verschiedenen Einstellungen auf dem Papier festgehalten wird. Aufgereiht stehen die Teilnehmer im Raum und proben die 
Bewegungen in der Realität. Erst dann werden sie im Spiel umgesetzt, was gar nicht so einfach ist. Zu Outkasts „Hey Ya“ springen die Soldaten über- und untereinander, vollführen Pirouetten und sliden mit gewetzten Messern über den virtuellen Boden. Das punktgenaue Timing ohne hel-fende Markierungen und ohne sich dabei gegenseitig ab-zu-stechen gestaltet sich schwierig. Aber etwas später 
flimmert tatsächlich ein auf den Beat geschnittener Musikclip über den Bildschirm.

Die „Play11“ neigt sich dem Ende zu. Eine Frau verlässt gut gelaunt den Saal mit ihren Söhnen und fragt beim Rausgehen nach dem Stempel auf ihrer Bonuskarte für die Modellbautage. Hinter ihnen stapeln vier Studenten hektisch schwarz-weiße Pappwürfel im Raum. Das Spiel „Ordnungswissenschaft“ von Till Wittwer, Marek Plichta und Jakob Penca entstand im vergangenen Jahr im Rahmen der drei Festivaltage und erhielt gerade den Preis für „Best Interaction“ auf der Game-Veranstaltung IndieCade in Kalifornien. Direkt daneben arbeiten die Laboranten unter Hochdruck an der Fertigstellung des diesjährigen Spiels. Dazu muss jede Gliedmaße, die der Motion-Capture-Aufbau mittels Kinect von ihrer Spielfigur, einem kleinen Astronauten, erfasst hat, am Rechner einzeln markiert werden. Am Ende entsteht so ein virtuelles Puppenspiel, mit dem die Besucher fasziniert experimentieren.

Gesa Jäger schlägt ihren eigenen Highscore und kommt schließlich auf stolze 384 abgeschossene „Pong Invaders“, während in einer dunklen Kabine „Roland muss aufs Klo“ gespielt wird. In einer Berliner Wohnung steht Jan Dose vor der Kamera. Der Schweiß rinnt ihm von der Perücke herab, denn er muss seit Stunden aufs Klo. Die Teilnehmer der „Play11“ versuchen nun mit den Mechanismen eines Point-&-Click Adventures die Rätsel zu knacken, die Martin Thiele, der Schöpfer der Show, ihnen aufgegeben hat, um Roland Erleichterung zu verschaffen. Hilfe bekommen sie dabei von den Besuchern der gleichzeitig stattfindenden „Next Level Conference“ in Köln. Das sorgt schon mal für Durcheinander, mit vereinten Kräften landet Roland aber schließlich am Ziel. Draußen räumen derweil die Modellbauer die Schienen einzeln in Kisten. Womöglich bauen sie im nächsten Jahr sogar eine Weiche in die Räumlichkeiten der „Play12“.

Die Ergebnisse des Festivals gibt es auf www.play11.de
von Moses Grohé / Dezember 8th, 2011 / 3 Kommentare

3 Kommentare

  1. Benjamin sagt:

    Ist das jetzt der komplette Artikel? In der Printausgabe gab es einen inhaltlichen Sprung von einer Seite auf die andere.

  2. Moses sagt:

    Hi Benjamin,
    ja das ist jetzt der komplette Artikel. Ich dachte ich hätte das auch oben drüber geschrieben …

  3. […] Diesre ist nicht nur im Magazin (Display und Druckausgabe) sondern auch auf der Webseite unter http://www.geemag.de/2011/12/08/luckenfuller/ […]