Kolumne

von Chris Rotllan / Januar 27th, 2010 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. […] Es ist 1982, ich bin dreizehn Jahre alt, und ich habe ein Ziel im Leben: möglichst schnell zu Hertie zu kommen. Denn für mich und meine Freunde gibt es nur ein Thema, vor und nach und während der Schule: dieser schwarze Kasten, der im Kaufhaus am Rande unseres Dorfs auf uns wartet. Fast ein wenig hoch für uns steht er da im Regal, doch wir sind in dem Alter, in dem nichts für uns ist zu hoch ist – außer Mathe vielleicht oder Französisch. Wir sind ganz normale Kinder: Wir fahren Fahrrad, unser Kanzler heißt Helmut Kohl, wir hören „Da, da, da“, wir toben nachmittags durch Maisfelder. Oder zumindest waren wir das bis vor Kurzem noch. Bis einer von uns das schwarze Ding mit dem schwarzen Bildschirm entdeckt hat. Seitdem hat unser Traum vier Knöpfe und einen kleinen Hebel. Jeden Nachmittag pilgern wir nun zu Hertie und nehmen sofort die Rolltreppe zu den höheren Stockwerken, zur Computerabteilung, zu unserem Reich. Dort stehen viele hellgraue Tastaturen und Monitore, doch die kümmern uns nicht. Der Mann, der hier arbeitet, kennt uns schon. „Heute aber nicht so lange“, sagt er immer, „und macht nicht so viel Krach.“ Manchmal verscheucht er uns, wenn Kunden da sind, die sich für einen ernsten Computer interessieren, um etwas Ernstes damit anzustellen. Uns interessiert nur eine Maschine im Regal. Man kann mit ihr spielen. Es ist eine Vectrex, das Spiel heißt „Minestorm“, und beides ist von MB – von derselben Firma, die im Fernsehen Werbung macht mit einem Jungen, der wir selbst sein könnten, der zum Spruch „MB präsentiert“ mit einem großen Schlegel einen Gong schlägt. Die Maschine ist ungemein teuer. So teuer, dass sie zu besitzen für uns immer ein Traum bleiben wird. Aber das ist uns nicht wichtig. Keiner von uns kommt je auf die Idee, sich von seinen Eltern eine Vectrex zu wünschen. Uns reicht die Maschine im Kaufhaus. Wir sind gebannt von der Schwärze ihres Bildschirms und dem weißen Licht, das aus ihm herausstrahlt. Diese Maschine wollen wir beherrschen, schlagen, wir wollen besser sein als sie – und, ja, wir wissen, dass wir gegen sie nicht gewinnen können. Wir sind zwar jung und starren auf Monitore, aber wir sind nicht blöd. Wir wissen auch, dass das auf dem Schirm nicht das echte Weltall ist, dass das keine echten Sterne, Ufos und Raumschiffe sind. Doch für uns fühlt es sich so an. Weil das weiße Licht, mit dem die Vectrex das Weltall malt, so hell und weiß ist, als würden wir in eine Supernova blicken. So muss das echte All aussehen, wenn man hindurchschwebt. Was für eine Macht dieses Gerät hat: Wir sind bloß Kinder, doch die Maschine schenkt uns die Galaxie – zumindest, so lange wir nicht an Asteroiden zerschellen und so lange wir treffen und nicht ge-troffen werden. Jeder von uns will immer besser werden. Denn unser Können kauft uns Zeit, Lebenszeit. Wer kein Leben mehr hat, muss weichen und einen Freund an die Köpfe lassen. Niemand will gehen. Lust brennt in unseren Augen. Wir sind Kinder, die mit Bildschirmen groß geworden sind. 1974 wurden wir bereits Fußballweltmeister im Fernsehen, und auch die WM war schwarz und weiß. Mein Fernseher hat drei Programme, da laufen „Kimba, der weiße Löwe“ und „Löwenzahn“. Ich kann hingucken und umschalten. Die Vectrex gibt mir mehr. Sie gibt mir etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte: Auf dem Bildschirm bewegt sich etwas, weil ich es will. Ich neige den Joystick nach links, und mein Raumschiff dreht sich nach links. Es feuert auf mein Kommando. Wenn ich in Gefahr bin, drücke ich hastig einen Knopf, und das Schiff wird an einen zufälligen Ort teleportiert. Das rettet mir oft das Leben, doch manchmal taucht mein Raumschiff auf einem Stern auf und zerplatzt. „Hyperspace“ ist die letzte aller Möglichkeiten. Und ich lerne: Man weiß nie, was dabei herauskommt, wenn man zum Äußersten greifen muss. Die Vectrex erlaubt uns zwar, mit ihr zu spielen – aber sie hat ein Eigenleben, sie wehrt sich. Das alles prägt mich und meine Freunde. Es ist 1982, wir sind dreizehn Jahre alt, und wir erfahren zum ersten Mal, dass es Maschinen gibt, die sich von Kindern zähmen lassen und durch die wir in neue Welten schauen können. Ich bin mir sicher, dass dieses schwerelose Jahr zu allem Weiteren geführt hat: zu meinem ersten Commodore 64, zu „Paradroid“ und „Impossible Mission“, zu meinem Amiga und zu all den vielen Spielen, in denen ich mich sonnen durfte. Und dazu, dass ich gerade diese Kolumne schreibe auf einem Bildschirm. Mit Licht lassen sich Geschichten erzählen, und dieses Licht lässt mich nicht los. Zumindest, so lange ich noch ein Leben übrig habe. Wie war euer erstes Mal? Erzählt uns davon auf http://www.geemag.de/kolumne […]

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