Spiele ohne Grenzen

Spiele ohne Grenzen

Schluss mit starren Spielkonzepten und vorgefertigten Levels! In Zukunft werden wir alle Gamedesigner - und erschaffen Welten, Figuren udn Geschichten selbst. Während wir spielen. Ohne es zu merken. Das Game ist tot, lang lebe das "Game 2.0"

Jahrelang hat man uns Spieler in vorgefertigte Welten eingesperrt. Klar, das Animationsprogramm im Knast war nicht schlecht, und oft fühlten wir uns wie im Club Robinson, wenn uns Chefanimateure wie Solid Snake, Mario oder Gordon Freeman mitschleiften zu den abenteuerlichen Tagestouren ins Land der Terroristenbekämpfung, der magischen Pilze, der Dimensionstore und Gott weiß wohin noch. Wir wollen nicht jammern, denn wir hatten ja alle unseren Spaß. Aber irgendwie haben wir doch immer geahnt: Da geht noch mehr. Und uns heimlich gewundert. Warum darf eigentlich jedes Kind im Sandkasten seine Spielwelt selbst bauen, nur wir nicht? Aber das ist jetzt endlich vorbei. Denn ab sofort gibt es das "Game 2.0". Das Wort ist natürlich geklaut vom Web 2.0: Einem neuen, demokratischeren Internet, an dem der Ottonormalsurfer tatkräftig mitbasteln darf, indem er selbst gemachte Inhalte ins Netz stellt. User Generated Content nennt sich das, und dem Erfolg von Websites wie Youtube, Wikipedia oder Myspace nach zu urteilen könnte darin tatsächlich die Zukunft des Internets liegen. Und die des Videospiels. Denn die Abermillionen, die mit den von unbezahlten Usern erstellten Inhalten auf solchen Web-2.0-Sites gemacht werden, haben auch das Interesse der Games-Industrie geweckt. Sie will künftig ebenfalls "2.0" werden. Uns soll's recht sein, denn dann dürfen wir auch endlich mitbestimmen, was gespielt wird. Das einzige Problem: Der Begriff ist momentan so hip, dass sich plötzlich Games-Entwickler rund um die Welt im Worthochstapeln überbieten: Kaum hat der eine das "Game 2.0" erfunden, will der andere das erste "Internet-Videospiel 2.0" auf den Markt gebracht haben. Und der dritte winkt sogar schon mit dem "Game 3.0". Also was genau ist denn nun das "Game 2.0"? Vielleicht doch nur eine sexy Worthülse, ein schmückendes Logo für den gleichen alten Quark? Oder wirklich der Beginn einer Zeit, in der Entwickler und Spieler Hand in Hand Welten erschaffen, so groß, vielfältig und unvorhersehbar, dass sie die Grenzen unserer Vorstellungskraft um Lichtjahre überschreiten?

Demokratie im Game-Design

Aber Moment mal: Bei Computerspielen die Optik verändern, Level kreieren und eigenen Content basteln … gibt's das nicht schon lange? Bereits 1998 bauten doch Fans aus dem Shooter "Half-Life" Hunderte andere Spiele, so genannte Mods, die den Science-Fiction-Shooter in Fußballspiele, Rennspiele und natürlich jede Menge andere Shooter verwandelten. Und schon 1993 konnte man in "Doom" Demos, also virtuelle Filmmitschnitte, aufzeichnen. Selbst ein Jahrzehnt zuvor ließen sich 1984 im Rennspiel "Excite Bike" bereits eigene Strecken erschaffen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Man könnte fast meinen, die "Game 2.0"-Revolution ist gar keine. Wir dürfen doch schon in "Garry's Mod" Gegenstände aus der Luft zaubern und miteinander verschweißen, verschrauben, verkleben und die bizarrsten Maschinen, Fahrzeuge, Häuser, Rennstrecken und, und, und daraus basteln. Wir können doch schon in "Die Sims" eigene Spielfiguren, Häuser, Haus-tiere, Objekte, Fotoalben, Filme erstellen und über die offizielle Sims-Website tauschen. Und wir haben doch mit "The Movies" schon längst auch ein Spiel, in dem es darum geht, eigene Kurzfilme zu drehen und sie über das Internet in die ganze Welt zu verteilen. Ja. All das gibt es schon lange. Aber trotzdem ist das "Game 2.0" nicht nur ein neues Label für alte Optionen. Auf den ersten Blick scheint es zwar so, wenn man sich Games 2.0 wie zum Beispiel "Spore" von Will Wright anschaut. Aber auch nur auf den ersten. Denn nicht umsonst ist Wright einer der genialsten Vordenker der Gamesbranche. Er ist der Schöpfer von "Die Sims", dem meistverkauften Computerspiel aller Zeiten. Und einer der Leute, die uns endlich das Zepter des Gamedesigns in die Hand geben wollen. Inspiriert wurde er dazu durch das Verhalten der Spieler von "Die Sims": "Wir hätten nie gedacht, wie viel Energie die Menschen auf das Designen eigener Gegenstände verwenden würden. Dass sie Stunden nur damit zubringen würden, einen Hut für ihre Spielfigur zu gestalten." Dabei ging es in "Die Sims" eigentlich um ganz andere Dinge. Wright begriff: Wir Spieler wollen endlich mitmachen. Er beschloss also, uns in seinem nächsten Titel "Spore" noch viel mehr Gelegenheiten zum Selberbauen zu geben. Und voilà: "Spore" wird uns unsere eigenen Spielfiguren entwerfen und deren Evolution vom Einzeller zur Hochkultur lenken lassen. Fast alle fremden Figuren und Bauwerke, auf die wir im Spiel treffen werden, werden nicht von Designern, sondern von anderen Spielern gebaut sein. Volkes Stimme wurde also erhört. Aber halt: Das hätten wir doch vorher auch schon gekonnt. Mit einer Mod. Richtig. Doch die entscheidende Neuerung des "Game 2.0" liegt woanders. Zum einen darin, wie stark unser Selberbasteln in das eigentliche Spiel integriert ist. In "Little Big Planet" etwa werden wir mit kleinen knuddeligen Stofffiguren durch Levels hüpfen, die wir zuvor selbst gebaut haben. Und die wir auch während des Spielens einfach immer wieder umbauen können. Ohne dazu in ein separates, kompliziertes Editor-Programm wechseln, in einen Sandkastenmodus umschalten oder riesige, abstrakte Menüs öffnen zu müssen. Wir drücken einfach einen Knopf, und über unserer Spielfigur werden Bilder all der Gegenstände sichtbar, die wir erschaffen können. Wir kleben virtuelle Oberflächen wie Sticker in die Spielwelt. So einfach geht das. Schluss mit dem Astrophysiker-Spezialwissen, das man zum Bedienen von Leveleditoren wie "Hammer" noch benötigte. Das Bauen und Verändern geht so leicht und intuitiv von der Hand wie das Spielen selbst. Sony-Entwicklungsleiter Phil Harrison schwärmt: "Zukünftig werden kreative Werkzeuge so unauffällig in das Spiel integriert werden, dass die Spieler es gar nicht bemerken, wenn sie etwas selbst erschaffen." Die zweite große Neuerung des "Game 2.0" liegt in der Art, wie wir unsere selbst gemachten Inhalte veröffentlichen können. Früher mussten wir unsere Mods, Demos und selbst gebauten Levels verbreiten, indem wir uns bei einer Mod-Website anmeldeten und dort unsere Schöpfungen hochluden. Das war ziemlich umständlich und beschränkte das potenzielle Publikum für unsere Meisterwerke auf jene Spieler, die sich ebenfalls die Mühe machten, solche Sites zu finden und auf ihnen nach User Created Content zu suchen. Im "Game 2.0" wird das viel einfacher. Wie einfach das sein kann, hat Florent Castelnerac mit seinem Autorennspiel "Trackmania United" vorgemacht: "Das Besondere an unserem Spiel ist, dass man seine eigenen Inhalte - also Rennstrecken, Autolackierungen und in einem Editor erstellte Filme - nicht bloß mit dem Spiel herstellen, sondern auch gleich über das Internet an andere Spieler verschicken kann oder in einem spielinternen Browser nach den Kreationen anderer Spieler suchen und sie mit einem internen Peer-to-peer-Tauschsystem runterladen kann. Und all das, ohne das Spiel zu verlassen." Die Idee funktionierte: In atemberaubender Geschwindigkeit entstand eine riesige Community rund um "Trackmania", die Zigtausende von Strecken, Autos und Filmen miteinander tauschte.

Spiele ohne Grenzen

Beim "Game 1.0" gab es immer zwei Gruppen: Einmal die "gewöhnlichen" Spieler. Und dann eine zweite, kleinere Gruppe von miteinander zu einer eingeschworenen Community vernetzten Hardcorespielern. Das "Game 2.0" löst diese Grenze auf: Sobald wir zum ersten Mal das Spiel starten, sind wir vernetzt mit allen anderen Spielern. Die Community kommt zu uns, damit wir uns nicht erst aufraffen müssen, in die Community einzutauchen. Will Wright will dieses Konzept mit "Spore" noch einen Schritt weiter voranbringen. Auch hier sollen unsere selbst gebauten Inhalte direkt vom Spiel aus ins Netz hochgeladen werden. Allerdings ganz automatisch im Hintergrund, ohne dass wir dafür auch nur einen Finger krümmen oder unser Spiel unterbrechen müssen. Und ebenso automatisch sollen diese Lebewesen dann von dem Spiel anderer "Spore"-Zocker wieder aus dem Netz heruntergeladen und in ihr Spiel eingebaut werden, wenn der Computer befunden hat, dass die Krabbeltierchen zu dem jeweiligen von ihnen geschaffenen virtuellen Ökosystem passen. Vor allem aber will Wright die Grenzen zwischen verschiedenen Spieleplattformen sprengen. Sprich: Egal, ob man "Spore" auf einem PC, einer Playstation 3 oder sogar einem Handy spielt - jeder soll mit jedem seine Inhalte tauschen können. Die Vision, Grenzen zu überschreiten, hat auch Sony. Das Konzept des Konzerns heißt "Playsta-tion Home", wurde von ihm bereits vollmundig als "Game 3.0" angekündigt und beschränkt sich natürlich auf eine einzige Plattform - die Playstation 3. Doch auch "Playstation Home" soll Brücken schlagen. Nämlich zwischen den Welten verschiedener Spiele, genauer: alle Spiele für die Playstation 3 verkitten. Anstatt zwischen verschiedenen Games in ein nüchternes Betriebssystem mit Textmenüs entlassen zu werden, soll der Playstation-3-User hier in eine dreidimensionale virtuelle Welt, ähnlich der von "Second Life", eintauchen. In ihr kann er sich mit anderen Spielern treffen, mit ihnen chatten, sich gemeinsam für Multiplayerspiele verabreden und dorthin aufbrechen oder ihre Avatare in seine virtuelle Wohnung einladen und mit Screenshots und virtuellen Trophäen angeben, die er in seinen Spielen gesammelt hat. Eine Spielwelt zwischen den Spielwelten also.

Geltung statt Geld

Die Spielindustrie erfindet das "Game 2.0" natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe und Begeisterung für mehr Demokratie im Gamedesign. Aber sie hat eines kapiert: Eine große Community, die das Spiel kontinuierlich mit eigenen Ideen füllt und erweitert, bindet Spieler langfristig an das Produkt. Spätestens seit "Half-Life", das dank seiner Mod-Community über Jahre populär blieb, ist das jedem in der Branche klar. Eine große Community und deren schöpferischer Input bringt dem Entwickler aber auch kreative Vorteile. Castelnerac weiß, dass "die Schöpferkraft und Originalität von 6 Millionen Spielern viel größer ist als die von 100 professionellen Entwicklerstudios". Das bringt Entwicklern nicht nur einen kreativen Mehrwert, sondern spart auch Arbeitskräfte und damit Entwicklungskosten ein, wie Will Wright erläutert: "Unser Team bei 'Spore' ist deutlich kleiner als noch bei den Entwicklungsarbeiten zu ,Die Sims'. Es umfasst 70 Leute, was gemessen an heutigen Standards sehr wenig ist. Im Grunde outsourcen wir die Artwork-Arbeit an die Spieler." Lass den Spieler einen Teil der Arbeit selbst machen, und er wird zum Dank deinem Game länger treu bleiben: Klingt eigentlich paradox. Ist es aber gar nicht. Denn auch der Spieler hat etwas von diesem Deal. Will Wright nennt es "subjektive Wertsteigerung". "Spieler ziehen große Befriedigung daraus, eigene Dinge zu kreieren und diese dann anderen Leuten zugänglich zu machen. Weil wir dem Spieler das Eigentumsrecht an seiner Spielfigur überlassen, ist der gefühlte Wert des Spiels für ihn wesentlich höher." Klar. Das Spiel wird zu unserem eigenen Werk. Und indem wir unser Werk verbreiten, zeigen wir der Welt, was wir draufhaben. Im Grunde ist diese "subjektive Wertsteigerung" nichts anderes als das allzu menschliche Geltungsbedürfnis, das bereits Web-2.0-Seiten wie Youtube und Myspace zu ihrem Erfolg verholfen hat. Der User will selbst etwas erschaffen - und sich damit der Welt zeigen. Egal ob Hochzeitsvideos, Songs oder Urlaubsfotos. Und nun eben auch Rennstrecken, Levels und Spielfiguren. Und damit sind die Möglichkeiten des "Game 2.0" noch lange nicht ausgeschöpft. Jorge Lima ist ein Visionär, dem noch viel Größeres vorschwebt. Er ist Leiter des "Open Source Metaverse Project". Lima und seine Leute träumen davon, dass der User Created Content aller Computerspiele untereinander austauschbar wird, indem man gemeinsame Programmstandards und eine gemeinsame Spielengine schafft. Lima prophezeit: "Eines Tages wird jedes Spiel Teil eines globalen dreidimensionalen Netzes sein. Ein Spiel wie 'Second Life' ist ja im Grunde nichts anderes als Youtube. Es ist eine Art 3D-Website, auf der Menschen Inhalte erzeugen und anderen anbieten können. Und andere Spiele bilden weitere '3D Sites'. Unser Ziel ist es, sie alle zu einem großen '3D-Web' zu vereinen." Noch ist das natürlich alles Zukunftsmusik. Aber wer weiß: Vielleicht werden wir in einigen Jahren mit unseren "World Of Warcraft"-Nacht-Elfen in einem "Trackmania"-Rennwagen durch die Welt von "Second Life" heizen. In einem echten Game 3.0. Text: Danny Kringiel, Illustration: ITF Grafik Design
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von Volker Hansch / Juli 10th, 2007 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. hinweiser sagt:

    tippfehler im vorspann…