Zum Schießen

Zum Schießen

Als Michael "Burnie" Burns und seine Kumpel Geoff und Gus die Idee hatten, ausgerechnet mit dem Shooter "Halo" eine Sitcom zu drehen, hatte keiner von ihnen je das Wort Machinima gehört. Heute, fünf Jahre und hundert Folgen später, hat ihre anarchische Serie "Red Vs. Blue" sie zu den bekanntesten Computerspielfilmern der Welt gemacht

Zwei Spartaner, in der Welt des Shooters "Halo" absolut tödliche Supersoldaten und die letzte Hoffnung der Menschheit, stehen in ihren futuristischen Rüstungen auf einem Bunker. Sie spähen in den staubigen Canyon vor ihnen. Nichts passiert. Kein Schuss fällt, kein Kampf bricht los. Nichts. Irgendwann fragt einer der beiden: "Was machen wir hier eigentlich? Ich meine, das hier ist bloß eine Schlucht mitten im Nirgendwo." Der andere brummt zustimmend. Der Erste fährt fort: "Der einzige Grund, warum wir hier unsere rote Basis haben, ist doch, dass die da drüben eine blaue Basis haben." "Ja, weil wir gegeneinander kämpfen." "Nein, nein... ich meine: Selbst wenn wir uns zurückzögen und die hier rüberkommen und unser Lager einnehmen würden - dann hätten sie eben zwei Lager mitten in einer leeren Schlucht. Was zum Henker sollten sie damit anfangen?" Schon die Eröffnungsszene der Machinimaserie "Red Vs. Blue", kurz "RVB", offenbart das Dilemma der hier stationierten Computerspielsoldaten in all seiner hintergründigen Komik. "Blood Gulch", so der Name des Canyons, ist für "Halo"-Spieler einfach eine Multiplayer-Map von vielen. Für die Spartaner ist es der Arsch der Welt. Hier herumzurennen und um sich zu ballern - wie es sich für einen Shooter gehört - ist ihnen einfach zu blöd. Und zu anstrengend. Stattdessen vertreiben sie sich die Zeit, indem sie mit ihrem Geländewagen umhercruisen und deutsche Volksmusik hören. Indem sie stundenlang "Ich sehe was, was du nicht siehst" spielen - mit den nur zwei möglichen Antworten "Fels" und "Dreck". Oder indem sie Neuankömmlingen weismachen, die gegnerische Basis sei ein Supermarkt, und sie losschicken, um "Scheinwerferflüssigkeit für den Jeep" zu kaufen. Selbst der Kommandant des roten Teams bastelt lieber aus Abfall Roboter, als Angriffspläne zu schmieden. Während der Anführer der Blauen damit beschäftigt ist, immer wieder als Geist zurückzukehren und einen neuen Körper zu suchen, nur um noch einmal von dem unfähigsten seiner Soldaten versehentlich erschossen zu werden. Ein wenig erinnert der Humor von "Red Vs. Blue" an den Film "M.A.S.H", Robert Altmans legendäre Kriegssatire. Denn er spielt bewusst mit der Lächerlichkeit des virtuellen Krieges: Stell dir vor, es ist Deathmatch, und keiner geht hin.

Bier und Spiele

Kein Wunder, dass die Erklärung der Macher, die jüngst erschienene hundertste Folge der Serie werde die letzte sein, Computerspielfilm-Fans rund um den Globs erschütterte. Denn längst ist aus "RVB" das beliebteste aller Machinima-Formate geworden. Und die Abenteuer der lustlosen Spartaner haben Fans auf der ganzen Welt dazu inspiriert, selbst Machinimas zu produzieren. Als Michael "Burnie" Burns und seine Kumpel Geoff Ramsey und Gus Sorola 2002 die Idee zu "RVB" kam, ahnten sie allerdings nicht im Entferntesten, dass sie einmal so großen Einfluss auf die Machinima-Szene haben würden. Vor allem deshalb, weil sie keine Ahnung hatten, was überhaupt "Machinima" war. Sie interessierten sich im Wesentlichen für zwei Dinge: Computerspiele und Alkohol. Um diese Leidenschaften mit der Welt zu teilen (und kostenlos Testexemplare von Spielen zu bekommen), hatten sie die Website "Drunkgamers.com" gegründet. Hier veröffentlichten sie, so Ramsey, "entsetzlich schlechte Computerspieltests, die wir im Vollsuff geschrieben hatten", und gelegentlich Mitschnitte von Multiplayer-Partien ihres Lieblingsspiels "Halo". Wobei durch den Alkohol die spielerischen Leistungen eher mäßig ausfielen, aber während des Spielens zwischen ihnen pausenlos hirnrissige Dialoge improvisiert wurden. Letzteres brachte Burns, der schon während seines Studiums einen eigenen Uni-Fernsehsender betrieben und als Independent-Filmemacher sein Glück versucht hatte, auf eine Idee: eine Sitcom. Gedreht mit den Figuren von "Halo", synchronisiert von den drei betrunkenen Gamern. Sie produzierten einen Trailer für die Serie, der allerdings wenig von dem Comedy-Konzept erkennen ließ: Zu Nu-Metal-Riffs ballerten sich rote und blaue Soldaten über den Haufen. Gus erklärt: "Na ja, wir fanden es irgendwie lustig, ein superlautes Actionintro für eine ruhige, dialogzentrierte Comedyserie zu drehen." Keiner verstand den Witz. "Red Vs. Blue" interessierte niemanden. Drunkgamers.com starb. Erst als Monate später eine große Gameszeitschrift eine der Spielsessions von Drunkgamers.com auf der Heft-CD veröffentlichte, wagten sie einen zweiten Versuch. Um diese PR zu nutzen, produzierten sie eine erste Pilotfolge und luden sie hoch. Innerhalb nur eines Tages zählten sie 20000 Downloads.

Odyssee des Wahnsinns

Eine illustre Gruppe fand sich seither in Blood Gulch ein: Church, der ewig genervte Leiter der Blauen. Und seine Soldaten Tucker und Caboose: der Erste ein Sexbesessener, dessen größte Sorge es ist, wie man in einem Panzer Mädels aufreißt. Der Zweite ein geistig minderbemittelter Spinner, der sich in selbigen Panzer verliebt. Und natürlich Sheila, der Panzer selbst, für den keiner einen Führerschein hat. Auf der anderen Seite des Canyons klopft der rote Teamleiter Sarge mit unsäglichem Cowboy-Akzent Machosprüche und scheitert trotzdem daran, sein Team zu motivieren: den nie um einen Desertationsversuch verlegenen Faulpelz Grif. Oder Donut, dessen rosa Rüstung und Vorliebe für Blumen den ständigen Spott der Truppe auf sich ziehen. Immer abstrusere Ereignisse folgen: Church stirbt und kehrt als Geist zurück. Um herauszufinden, dass sein Team ihn durch seine von einer mordlüsternen K.I. namens "O'Malley" besessene Ex-Freundin Tex ersetzt hat. Der Panzer Sheila verliebt sich in Lopez, den spanisch sprechenden Kampfroboter der Gegner, O'Malley kidnappt Lopez, Rote und Blaue werden durch eine Bombe in die Zukunft (also "Halo 2") geschleudert, und Church muss sich 1000 Jahre lang lahme Witze eines Supercomputers namens Gary anhören. 2000 (!) Jahre später werden Churchs Freunde von einer Armee schlurfender Roboter angegriffen, während der eine Zeitmaschine baut und von einem Außerirdischen gefressen wird, welcher Tucker zum Messias erklärt, nur um ihn heimlich zu schwängern. Um nur einige Eckdaten zu nennen. Je haarsträubender "Red Vs. Blue" wurde, desto mehr liebten die Leute es. Mit dem Begriff "Machinima" verbanden die meisten zuvor bestenfalls Shooter-Clans, die ihre Spielerfolge filmisch festhielten, 14-Jährige, die Furzwitz-Sketche zum Besten gaben, oder Möchtegern-Regisseure, die Computerspiel-Cutscenes notdürftig zu miesen Musikvideos zusammenschnippelten. "Red Vs. Blue" hingegen war mit all seinem Wortwitz, durchdachten Dialogen und liebenswert schrulligen Charakteren vollwertige Fernsehunterhaltung. Machinima war mit einem mal mainstreamtauglich geworden.

Vom Erfolg überrannt

So konnte Burns für die Serie weitere Helfer ins Boot holen. "Rooster Teeth Productions", so ihr neuer Name, bestand neben ihm nun aus Matt Hullum und Joel Heyman, zwei alten Studienkollegen, von denen der erste in Hollywood an Spezialeffekten (unter anderem für den "Spongebob"-Kinofilm) gearbeitet hatte und der zweite sein Glück als Seriendarsteller (zum Beispiel in "Friends", "Angel" oder "Alias") versucht hatte. Und natürlich weiterhin aus dem Technologie-freak Gus Sorola, der sich rühmt, einen Abschluss im "Hauptfach Bier mit Nebenfach Nickerchen" zu haben, und dem Chefchaoten Geoff Ramsey, der sich mittlerweile den Titel "Unternehmensbanane" verliehen hatte. Sie wurden vom Erfolg völlig überrannt. Die wöchentlichen Zuschauerzahlen überschritten die Millionenmarke. Hunderttausende spendeten Geld. Fernsehsender riefen an und wollten Interviews. Die Presse vom "Wall Street Journal" bis zum "New York Times Magazine" riss sich um sie. Sie durften Machinima-Werbespots für die Xbox 360, den Zune Player, die E3, das "Forbes Journal" und Electronic-Arts-Computerspiele produzieren. Sie wurden mit Auszeichnungen überschüttet, und ein Filmkritiker verglich "Red Vs. Blue" gar mit den Werken Samuel Becketts.

Und was sagt Bungie?

Von den bierseligen Improvisationen der Drunkgamers.com-Tage hat sich der Produktionsprozess heute weit entfernt. Rooster Teeth unterhalten ihr eigenes Büro in Austin, Texas, und arbeiten in genau koordinierter Arbeitsteilung an mehreren Machinimaserien zugleich (siehe Kasten). Burns schreibt die Drehbücher, der Rest der Crew überarbeitet sie und nimmt dann im eigenen Studio die Dialoge auf. Mit dieser Tonspur als Leitfaden "spielen" die Darsteller dann an vier miteinander vernetzten Xbox-Konsolen die Szenen, während ein weiterer Spieler als virtueller Kameramann agiert. Am Ende überarbeitet Burns am Computer die Aufnahmen, und nach 40 bis 50 Stunden steht eine neue Serienfolge. Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was hält Bungie von der ganzen Sache? Das Entwicklerstudio der "Halo"-Reihe gewährte den anarchischen Filmern nicht nur von Anfang an völlige künstlerische Freiheit, es beauftragte Rooster Teeth sogar damit, Machinima-Werbefilme für "Halo 2" und "Halo 3" zu drehen, und baute, nur für Rooster Teeth, einen Befehl in "Halo 2" ein, der die Figuren ihren Waffen senken lässt. Die Serienstaffeln sind mittlerweile als Kauf-DVDs erhältlich und gerade auch als PAL-Version mit deutschen Untertiteln erschienen. Rooster Teeth haben es mit "Red Vs. Blue" nach ganz nach oben geschafft. Vielleicht könnte die Serie sogar ein Dauerbrenner wie "Die Simpsons" werden. Von wegen. Nach vier Jahren und hundert Folgen Rot gegen Blau und trotz empörten Einsprüchen Tausender Fans soll nun Schluss sein. Ob Gus Sorola die Bewohner der Schlucht denn nicht fehlen werden? Doch, natürlich. Aber er sei sicher, irgendwann werde man dort noch einmal vorbeischauen. Am Arsch der Welt.

Was ist was: Machinima

Machinima steht für Filme, die mithilfe von Computerspielen gedreht werden. Die ersten Machinimas entstanden 1997 auf Basis des Shooters "Quake". Zunächst einfach "Quake-Movies" genannt, wurde die Bezeichnung 1998 durch das Kunstwort "Machinima" ersetzt, das in sich die Begriffe "machine", "animation" und "cinema" vereint. Text: Danny Kringiel
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von Volker Hansch / September 10th, 2007 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. jannik sagt:

    Interessante Story.. habe mich nie wirklich mit red Vs. Blue beschäftigt und es nur am Rande wahrgenommen.
    Werde mal einen Blick drauf werfen.