Pfadfinder

Pfadfinder

Bevor wir ein neues Spiel in den Händen halten, haben Autoren von Walkthroughs es schon viele Male durchgespielt. Ihre Tipps ersparen uns so manchen Nervenzusammenbruch. Wir wollten wissen, wer sich da so viel Mühe für uns macht

"Zum Walkthrough-Schreiben muss man geboren sein." In einem kleinen italienischen Restaurant im Hamburger Stadtteil Winterhude sitzt Frank Glaser und schiebt seinem markanten Statement eine Gabel Tunfischsalat hinterher. "Wir haben für jedes Spielgenre und jede Serie einen Experten. Unsere Autoren sind entweder schon einmal Weltmeister gewesen oder halten Geschwindigkeitsrekorde im Durchspielen", erklärt er nicht ohne Stolz. Frank ist Mitbegründer von Future Press, einem Hamburger Verlag, der sich auf Lösungsbücher spezialisiert hat. Zu diesem Zweck rekrutiert er rund um die Welt außergewöhnliche Videospiel-Talente, Hochleistungsgamer sozusagen.

Legendäre Spieler

Leute wie der Belgier Vincent Merken haben einen Platz im Redaktionsteam für den "Resident Evil 4"-Guide erhalten, weil sie die Fähigkeit besitzen, sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Spiel zu bewegen. Dass Survival-Horror bei Merken nichts mit Überlebenskampf zu tun hat, veranschaulichen 25 beeindruckende Filme, die er zur Demonstration seiner Fähigkeiten ins Internet gestellt hat (Anm. d. Red.: Natürlich könnt ihr diese Filme auf www.geemag.tv ansehen). Sie zeigen unter anderem, wie Merken "Resident Evil 4" in einer Stunde, 52 Minuten und einer Sekunde durchspielt. Allerdings nur auf der normalen Schwierigkeitsstufe. Für den "Pro"-Modus benötigt er etwa eine halbe Stunde länger. Dafür bleibt dann aber auch der Raketenwerfer im Rucksack. Spaßeshalber hat er das Spiel auch schon einmal nur mit einem Messer bewaffnet durchgespielt. Jeder, der einen Teil des unheimlichen Action- games gespielt hat, begreift sofort den Wahnwitz dieser Aktion. Schon den hünenhaften Zwischenboss Bitores Mendez ohne schwere Artillerie niederzuringen, erscheint schier unmöglich. Dass es aber tatsächlich einen Menschen gibt, der den finalen Bosskampf nur mit einem Messer bewaffnet besteht, ist eine jener Legenden, die sich selbst so manch anderer Walkthrough-Schreiber voller Unglauben weitererzählt. Genau solche legendären Spieler sind es, die über mehrere Wochen hinweg mitunter telefonbuchdicke Guides entwickeln. Die jeden Level wieder und wieder spielen. "Man muss das Glück, mit dem man durch ein Spiel gekommen ist, ausschalten können. Erst dann kann man Strategien entwickeln", erklärt Frank Glaser den Arbeitsprozess. Der besteht natürlich nicht nur aus dem Immer-wieder-durchspielen-und-Analysieren der einzelnen Level, sondern auch aus dem Verfassen von verständlichen Texten. Schließlich müssen die Erfahrungen an viele tausend Leser weitergegeben werden. Walk-through-Macher sollten daher nicht nur fantastische Spieler, sondern auch gute Autoren sein. Hauptberuflich verdingt sich Merken als Physikdozent. Er ist also ein spielender Akademiker. Natürlich kann nicht jeder Autor von Game-Guides einen Doktortitel in Naturwissenschaften vorweisen wie er, aber das ist auch gar nicht nötig. "Ich bin ein typischer Studienabbrecher", gesteht Andreas Altenberger. "Aber ich gehöre zu den wenigen Leuten in meinem Umfeld, die immer schon genau wussten, was sie einmal machen würden. Ich wollte beruflich etwas mit Spielen zu tun haben." In der hessischen Kleinstadt Linden, nahe Gießen, bewohnt Andreas ein Haus, das ihm sein Vater vererbt hat. "Es ist gut, dass ich nicht ein paar Hundert Euro Miete im Monat zahlen muss wie andere Leute. So verdiene ich genug für mich selbst. Eine Familie durchbringen könnte ich aber noch nicht." Muss er auch noch nicht. Andreas teilt das Haus lediglich mit seiner riesigen Spielesammlung. Im Lauf der Jahre, mit wohlwollender Unterstützung einer kinderlosen Tante, hat der 30-Jährige an die 6000 Games angehäuft. Ungeordnet hängen die mit Power-Strips festgeklebten Verpackungen seiner Lieblingsspiele an einer Wand in seinem Arbeitszimmer. Diese persönliche Hall Of Fame ist Zeugnis seiner Sammelleidenschaft und seiner Spielerfahrung. Dabei hat er sich auf kein bestimmtes Genre spezialisiert, sondern ist eher ein Allroundspieler. Für die Webseite Gameswelt.de hat er zum Beispiel einen Lösungsweg für das wunderbar knifflige "Shadow Of The Colossus", das Bombast-Rollenspiel "Final Fantasy XII" oder den storylastigen Shooter "Bioshock" entworfen.

Den roten Faden finden

Im Gegensatz zu Vincent späht er versteckte Goodies und die Schwächen von Computergegnern nicht für einen der umfassenden Gaming- Guides der großen Verlage aus. Andreas' Aufgabe besteht im Verfassen klassischer Walkthroughs. "Ich will einfach den roten Faden eines Spiels wiedergeben", sagt er. Von dieser Art von Hilfestellung ist Frank Glaser nicht sehr begeistert. Für ihn ist das eine einseitige Herangehensweise an die eigentlich so vielseitigen Spiele. Zudem bevormunde die oftmals mangelnde Qualität der Tipps die Hilfe suchenden Spieler. Dadurch würden sie ein Game nur aus der Sicht eines anderen erleben. "Das Negative bei Walkthroughs im Internet ist, dass es keine erprobten Strategien sind", behauptet er weiter. Diese Ansicht vertritt er nicht als einziger. Auch Mathieu Daujam schreibt Lösungsbücher und übersetzt zudem Spiele ins Französische. Und fast klingt es, als hätten sich der französische Autor und der Hamburger Verleger abgesprochen: "Alles, was man an Walkthroughs im Netz finden kann, halte ich für schlecht", sagt er. Mathieu studierte lange in London. Weil das Leben dort so teuer war, jobbte er nebenbei als Tester für Square Enix, dem Schöpfer der "Final Fantasy"-Serie. Schließlich landete er als Übersetzer bei dem Lösungsbuchverlag Piggyback. Mittlerweile erarbeitet er hauptsächlich Konzepte für die Spielhilfen. "Wir haben einen anderen Ansatz. Wir wollen mehr liefern als einen schmalen Pfad durch das Spiel." Um dem Spieler dieses "Mehr" geben zu können, teilt Mathieu Teams ein, die für viele Wochen vor Spielen wie etwa "Metal Gear Solid 3" sitzen. In dieser Zeit erproben sie, welche Strategien sich in den Bosskämpfen gegen den Scharfschützen The End, den Pistolero Ocelot oder den brutalen Oberst Volgin erfolgreich anwenden lassen. Sie kartografieren jede Fundstelle von Tieren und Pflanzen, die der Held Solid Snake essen muss, um sein Abenteuer lebendig zu überstehen. Jeder noch so kleine versteckte und freispielbare Bonus findet sich auf einer der mehr als 200 Seiten wieder. Sogar die Information, dass man die dralle Doppelagentin Eva nur mit einem knappen Bikini bekleidet im Menü vorfindet, wenn man sie zuvor umsichtig beschützt. Oder wie man mit einer Kamera Schnappschüsse von Geistern macht, die ein Zwischenboss im Kampf herbeiruft. Oder auf welcher Radiofrequenz Snake das Lied "Surfing Guitar" der 66 Boys hören kann, während er seine Wunden heilt.

Gewissenhafter Arbeiter

Nicht alle Tipps benötigen gleich viel Recherche. Und die Entwickler der Spiele unterstützen in der Regel die Autoren der Komplettlösungen mit umfangreichen Informationen. Die genaue Anzahl der Trefferpunkte von Gegnern und die Zeit, die das Abfeuern eines Maschinengewehrs in Frames pro Sekunde braucht, sind in unzähligen Tabellen aufgelistet. Das sind natürlich Hinweise für Hardcorespieler, die dem Walkthrough-Schreiber Andreas Altenberger nicht zur Verfügung stehen. Auf der Suche nach der Idealspur verlässt er sich auf sein Geschick. Ein Vierteljahrhundert regelmäßiges Spielen am Computer und diversen Konsolen waren auch ein gutes Training. Andreas weiß intuitiv, wann er bei einem Jump'n'Run zum Sprung ansetzen muss, wo ein Monster verwundbar sein könnte und wann es gilt zum Angriff überzugehen oder besser noch in Deckung zu bleiben. Zuletzt kämpfte er sich mit dem Attentäter Altair in "Assassin's Creed" durch das mittelalterliche Morgenland. Um jeden wichtigen Spielzug zu erfassen, ohne ständig das Joypad zur Seite legen und einen Stift in die Hand nehmen zu müssen, macht ein Programm automatisch alle halbe Sekunde einen Screenshot des Geschehens. Später, wenn er dann seine Eindrücke in klare Handlungsanweisungen zusammenfasst, schließen die Bilder die Lücken in seinem Gedächtnis. Dann gilt es gewissenhaft zu arbeiten. Das bekommen auch seine Freunde zu spüren. Neben seinem Schreibtisch mit dem gigantischen 42-Zoll-Monitor steht auf einer Kommode ein kleiner alter Röhrenfernseher. "Auf dem können meine Kumpels zocken. Dann stören sie nicht, solange ich arbeite." Länger als vier Stunden muss man aber nicht auf ihn warten, denn nur so lange kann Andreas die eigene Spannung und den Spielspaß aufrecht halten. "Würde ich zwölf Stunden am Stück spielen, verlöre ich automatisch die Motivation. Und dann wären meine Walkthroughs womöglich nicht mehr so gut, wie ich es mir wünsche." Während wir nämlich die Konsole einschalten, um abzuschalten, startet er mit der Betätigung des Power-Knopfs seine nächste Schicht. Und wenn er seinen roten Faden verliert und stecken bleibt? "Dann greife ich auch schon einmal auf die Lösungsvorschläge anderer zurück." Allerdings nur in absoluten Notfällen. "Wer von A bis Z ein Spiel anhand eines Walkthroughs spielen möchte, dem würde ich raten, es erst einmal allein zu probieren. Ansonsten macht man sich das Spiel kaputt. Schließlich kann das Lösen von Rätseln und das Finden von Wegen durch das Spiel eine Menge Spaß machen." Text: Tim Rittmann, Illustration: ITF Grafik Design
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von Volker Hansch / Januar 10th, 2008 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Richard Grossmann sagt:

    Zufälligerweise habe ich die genannten Lösungsbücher von MGS3 und Resident Evil 4. Der angesprochene Speedrun von Vincent Merken, indem er das Spiel nur mit einem Messer durchläuft, wird auch im Buch genannt. Nur deswegen ist es mir im Profi-Modus gelungen Krauser zu besiegen(er ist mit Messer leichter zu besiegen als mit Schusswaffen).
    Das MGS Lösungsbuch ist so ausführlich wie kein anderes. Hat sonst schon jemand eine Tsuchinoko gefangen?