„Mehr Freiheit“

"Mehr Freiheit"

Selten passt der Name einer Firma so gut zu ihrem Chef wie Frontier Developments zu David Braben. Seit der Brite 1985 gemeinsam mit Ian Bell das erste echte Open-World-Game "Elite" aus wenigen Kilobytes presste, will er Grenzen erweitern und zum Nutzen aller Neues ausprobieren. Alle Künstler haben eine große Idee, die ihr ganzes Werk durchzieht. Welches ist Ihre? Ich will den Spielern ein Gefühl von Freiheit schenken. Weil ich es selbst zutiefst hasse, vorgefertigten Bahnen folgen zu müssen. War diese "Freiheit" vor mehr als zwanzig Jahren bereits der Antrieb für "Elite"? Ich habe sehr naiv angefangen. Mir war gar nicht bewusst, was alles damals noch nicht ging. Ich war nur fasziniert von der 3D-Grafik im Fernsehen und wünschte mir, dass Spiele ähnlich Eindrucksvolles auf den Bildschirm bringen könnten. Das war der eine Antrieb. Der andere war mein "Animal Learning Program". Das Programm fragte dich: "Denk dir ein Tier. Ist es groß oder klein?" Klein! "Ist es gestreift oder fleckig?" Gestreift! "Ist es ein Tiger?" Wenn du das verneint hast, musstest du der Software eine neue Frage beibringen, mittels derer sie zwischen einem Tiger und anderen Tieren unterscheiden konnte. Das war von schlichter Schönheit. Das Programm verstand nichts von dem, was es erfragte, es war nur zehn Zeilen kurz, aber sehr effizient im Aufbau seiner Datenbank. Das hat mich umgehauen: ein so winziges Programm - und ein so komplexes Ergebnis. Eine vergleichbare Technik haben Sie dann gemeinsam mit Ian Bell benutzt, um trotz mangelnden Speicherplatzes die vielen Planeten bei "Elite" zu generieren. Mein BBC Micro Computer hatte damals ja nur 48 Kilobyte Arbeitsspeicher. Stell dir das vor! Die Größen heutiger E-Mails waren der gesamte Speicher meines Rechners! Der von uns entwickelte Algorithmus errechnete schließlich bei Bedarf ein Sternenreich aus einem winzigen Zahlenblock. Das war wie der Heilige Gral, und er verschaffte uns unendliche Möglichkeiten: "Elite" hatte 2048 Sterne - mehr als unsere reale Galaxie - und der Spieler konnte sie alle besuchen. Haben Sie diese Art von Pioniergefühl, durch virtuose Programmierung aus wenig Speicher ganze Galaxien herauszuholen, heute noch? Ja, aber auf eine andere Art. Ich bin in diesem Geschäft, weil es mir das Gefühl gibt, überall hinreisen zu können, wo noch nie ein Mensch gewesen ist. Und wie im echten Universum haben wir in der Spielentwicklung die letzten 25 Jahre zwar schon sehr viele Plätze besucht, aber noch längst nicht mal einen Bruchteil dessen gesehen, was noch da draußen ist. Deswegen ermüdet es mich auch, wenn so viel Kraft und Geld auf die Produktion neuer Spiele verwendet wird, die unsere Grenzen um keinen Millimeter verschieben. Die nichts Neues ausprobieren. Obwohl es unsere Pflicht ist, den Spielern das zu bieten. Dafür liebe ich Spiele wie kürzlich "Fable 2" oder "Fallout 3". Sie öffnen Welten. Sie lassen mir eine Wahl. Wenn Sie von den alten Programmiertagen erzählen, klingt das, als würde ein Einzelner ein Auto in einer Garage bauen. Ist es heute noch möglich, so erfolgreich zu arbeiten? Eines hat sich verändert: Wolltest du damals einen Rennwagen bauen, musstest du eine Menge Ahnung von Rennwagen haben - mehr nicht. Machst du heute ein Spiel, musst du viel mehr über Spiele wissen, die bereits gibt: Wie spielen die Leute? Was hat sich bewährt? Du musst heute auch das Rennen kennen. Finden Sie überhaupt noch Zeit zu spielen? Ja, wenn auch meistens nur im Winter. (lacht) Bislang bestimmen das All und Themenparks Ihr Lebenswerk. Das klingt nach jemandem, der seine Kindheitsträume auslebt. Würden Sie wie Richard Garriott 20 Millionen Dollar ausgeben, um in den Weltraum zu fliegen? Mit so viel Geld würde ich philanthropischere Dinge tun, als einen Raumflug zu buchen, so faszinierend der auch sein mag. Denn mit Astronomie, wie sie mich fasziniert, hat so ein Flug in den erdnahen Orbit nichts zu tun. Er hat keinen höheren Zweck als das eigene Vergnügen. Raumfahrt sollte sich relevanten Forschungen zuwenden - etwa der Frage, ob wir auf dem Mars oder dem Mond leben könnten. Denn das wirft nebenher neue Technologien für das Hier und Jetzt ab. Setzen Sie Hoffnungen in die Suche nach außerirdischem Leben? Fänden wir welches, würde es wohl eher einem Schleimklumpen gleichen als einer Person. Womöglich begegnen wir in tausend Jahren auf einem Planeten Wesen, die auf dem Stand unserer Dinosaurier sind. Aber Kollegen zu treffen, mit denen sich plaudern ließe, erscheint mir eine zu vermessene Erwartung. Es ist erstaunlich genug, dass wir existieren. Zurück auf die Erde und zum zweiten Teil Ihres Werks, den Themenparks und Achterbahnen. Fahren Sie selber gerne mit? Ich bevorzuge, die Bahnen zu konstruieren oder konstruieren zu lassen. Ich möchte grundsätzlich, dass die Spieler sich gedanklich mit etwas auseinandersetzen. Man muss nicht immerfort auf etwas schießen. Deswegen haben wir auch "Dog's Life" gemacht. Haben Sie denn einen Hund? O ja, ein ehemaliger Rettungshund, eine Mischung aus Windhund und Saluki. Haben Sie Kinder? Nein. Warum sind Spieleentwickler eigentlich so zurückhaltend mit der Veröffentlichung von privaten Eckdaten und Biografien? Weil wir sehen, wie es in der Filmindustrie läuft, und wir vorbeugen wollen, genauso eitel zu werden. Beim Film haben die, die am lautesten schreien, meist am wenigsten für die Gestaltung des Werks geleistet. Die Schauspieler bekommen alle Publicity, aber sie haben die Filme nicht gemacht. Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten machen die Filme. Mich stört ja bereits, dass in der Spieleindustrie meist wir den Ruhm abkriegen, der dem ganzen Team gebührt. Aber wie übel ist das in Hollywood: An wen denken die Leute, wenn sie "Blade Runner" hören? An Harrison Ford und nicht an Ridley Scott! Das liegt wohl daran, dass Schauspieler die Charaktere verkörpern, zu denen wir eine emotionale Beziehung aufbauen. Ähnliches geschieht derzeit in Spielen und scheint der zweite große Fortschritt neben dem "Open World"-Gefühl zu sein: Wir empfinden Empathie mit den Figuren. In Ihrem Werk mit dem Hund in "Dog's Life", aber ganz besonders mit Toku in "Lost Winds", um den wir uns als Spieler richtig liebevoll sorgen. Es ist mehr als "nur" Empathie. Es ist das Gefühl, dass dir die Geschichte und die Welt eines Spieles etwas bedeutet. Das lässt sich zum Beispiel auch durch Gestik und Spieleransprache erreichen. Als wir die "Wallace & Gromit"-Spiele gemacht haben, haben wir viel gelernt. Wenn Gromit dir zuwinkt und dich ansieht, dann schafft das eine Verbindung. Ähnliches erzielen wir, wenn sich Toku verletzt oder einschläft. Wobei das nicht unbedingt neu ist: Seitdem Super Mario in drei Dimensionen spielt, erinnern seine Physiognomie und seine Bewegungen mehr an ein kleines Kind als an einen Mann. Das war sicher kein Zufall, denn das erzeugt fürsorgliche Gefühle. Leider missachten das zu viele Spiele immer noch. Die "Call Of Duty"-Reihe zum Beispiel ist fantastisch, aber das Schicksal deiner Figur ist dir eigentlich egal. Ihr neues Videospiel "The Outsider" ist seit Langem angekündigt. Wie wollen Sie Ihre vielen Erkenntnisse darin umsetzen? Man könnte sagen, wir versuchen, "Fable" mit der Fernsehserie "24" zu verschmelzen. Die Story soll so komplex sein, dass sie den Spieler wirklich als Geschichte interessiert. Wie soll sich "The Outsider" von etablierten "Open World"-Spielen wie "Fable 2" oder "Grand Theft Auto IV" unterscheiden? Jedes Spiel setzt seine Schwerpunkte. Wir wollen große Schritte im Storytelling und in der Beziehung zur Hauptfigur machen. Wir sind dabei nicht die einzigen - aber das ist gut so. Die Spielebranche ist derzeit vergleichbar mit Filmindustrie in den Dreißigern. Da ent-standen parallel völlig unterschiedliche Meisterwerke, von den jedes für sich Grenzen erweitert hat. Neugierig macht uns der Claim des Spiels: "Nimm einem Mann alles, und du verlierst jede Kontrolle über ihn. Er ist wieder frei." Das Motto von "The Outsider" geht zurück auf den russischen Schriftsteller Alexander Solschenizyn. Er schrieb: "Die Sowjetunion hat den Menschen alles genommen. Das bedeutet aber auch, dass die Menschen der Sowjetunion nichts schulden." Dieser Gedanke spielte schon in Filmen eine Rolle, allen voran in "Auf der Flucht". Niemand kann dem Mann darin etwas anhaben, denn es kann ihm nichts Schlimmeres mehr passieren als bereits zum Tode verurteilt zu sein. Er könnte Menschen ausrauben oder den Präsidenten erschießen. Er macht es aber nicht. Das finde ich interessant, und diese Handlungsfreiheit wird es auch im Spiel geben. Man muss sich klar machen, was es heißt, wenn wir nichts mehr zu verlieren haben. So fangen Revolutionen an. Es wird also auch ein politischer Kommentar? Man kann das Spiel auf dieser Ebene lesen. Es ist, wie wenn ein Kind und ein Erwachsener "Toy Story" anschauen. Der Erwachsene wird eine andere Ebene des Humors wahrnehmen als das Kind, aber auch das wird Spaß haben. Um glaubwürdige Figuren zu simulieren - müsste die Branche da nicht die Forschung über Künstliche Intelligenz forcieren? Wir haben auf diesem Gebiet sehr viel erreicht. Wir sind in lehrreiche Sackgassen gelaufen und haben große Fortschritte gemacht. Werden wir erleben, dass eine Künstliche Intelligenz sich ihrer selbst bewusst wird? Dieses "Bewusstsein" würde nur von außen betrachtet wie eines wirken. Es ist doch so: Je weniger wir von etwas verstehen, desto magischer erscheint es uns. Jemand, der das erste Mal hört, wie ein Navigationssystem im Auto dir sagt, dass du links abbiegen sollst, wird glauben, der Wagen könne denken. Sobald er versteht, was da passiert, ist es entzaubert. Und wir begreifen jeden Tag mehr. Gesichtserkennung zum Beispiel war früher undenkbar - heute beherrschen sie schon Fotokameras. Will sagen: Da kommt viel auf uns zu, aber wir werden es erwartet haben. David Braben, 44, begann seine Karriere als "Kilobytejäger", indem er aus Frührechnern wie dem BBC Micro Meilensteine der Videospielgeschichte wie "Zarch" (später "Virus") und "Elite" herausholte. Seine Firma Frontier Developments gründete er, um 1993 den "Elite"-Nachfolger "Frontier" auf den Markt bringen zu können. Später widmete sich Braben gemeinsam mit Chris Sawyer den Achterbahn- und Themenparkreihen "Roller Coaster Tycoon" und "Thrillville", brachte zwei Mal "Wallace & Gromit" auf die Konsolen, ließ uns in "Dog's Life" ein Hundeleben begleiten und lotete 2008 mit dem Jump'n'Run "Lostwinds" die Steuerungsmöglichkeiten der Wii aus. Sein aktuelles Projekt "The Outsider" ist seit 2005 angekündigt, will als besonders gutes Ding allerdings Weile haben. "Elite 4" war eine Zeit lang das "Chinese Democracy" der Spielebranche, liegt aber klar auf Eis. Der geduldige Perfektionist erhielt im September 2005 den Titel "Entwicklerlegende" bei den Develop Industry Excellence Awards.
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2009 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Heinz-Wewrner Arens sagt:

    Als Elite-Fan der frühen 80er Computerspieljahre und nochmals faszinierter Frontier-Kämpfer der 90er freue ich mich – wie viele andere auch – das David sich seinen Opportunismus bewahrt hat. Und auf Elite-4 warte ich natürlich auch noch sehnsüchtig und notfalls bis „in alle Ewigkeit“ (Bin ja auch Opportunist)…