„Positive Energie“

"Positive Energie"

Mit seinem Spiel "Little Big Planet" erweckt Mark Healey in uns die Lust, etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen. Ein Gespräch über seine Kindheit, 20 Jahre Erfahrung in der Spielebranche, seine Freundschaft mit Peter Molyneux – und über ein spirituelles Erweckungserlebnis Dein Spiel "Little Big Planet" wurde mehr als 70 Mal ausgezeichnet, unter anderem als "Spiel des Jahres 2008". Was bedeutet dir das? Natürlich ist es angenehm, wenn ich merke, dass unser Spiel von den Leuten gemocht wird. Auch meine Mutter macht so etwas sehr stolz. Aber während der Arbeit an "Little Big Planet" habe ich nicht ein einziges Mal daran gedacht, ob es irgendwelche Preise gewinnen wird. Zum Verkaufsstart hast du gesagt, dass es dir egal sei, wie viele Exemplare über den Ladentisch gingen. Wichtiger sei, dass du selbst mit dem Spiel zufrieden bist. Kann man sich diese Haltung in der Industrie überhaupt leisten? So lange ich nicht hungern muss, kann ich mir solch eine Einstellung immer leisten. Ich mache ja Spiele nicht in erster Linie, um sie zu verkaufen, sondern weil mir das Spaß macht. Es ist ein Hobby. Würde ich nur zehn Stück an den Mann bringen, müsste ich mir zwar einen Job suchen, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren - aber das wäre auch kein Problem. Wie verträgt sich diese Haltung mit deiner Position als Creative Director in dem von dir gegründeten Entwicklerstudio Media Molecule? Ich bin jemand, der Verantwortung gern aus dem Weg geht. Deswegen teile ich sie einfach mit meinen 30 Mitarbeitern. Ich habe "Little Big Planet" auch nicht im Alleingang entwickelt, das war ein Gemeinschaftsprodukt. Wäre das Spiel ein Flop geworden, hätten wir das gemeinsam ausbaden müssen. Das Gewicht auf meinen Schultern wiegt also nicht allzu schwer. Die größte Verantwortung für mich als Creative Director der Firma besteht darin, dafür zu sorgen, dass meine Mitarbeiter möglichst glücklich sind. Denn dann arbeiten sie gerne und gut. Klingt nach einer entspannten Arbeitsweise. Es bedeutet mir viel, die Atmosphäre bei Media Molecule freundschaftlich und familiär zu halten. Wir sind eine recht kleine Mannschaft, jeder kümmert sich um den anderen. Auch die Aufgabenbereiche sind nicht so klar getrennt wie in anderen Firmen. Wenn jemand Lust hat, etwas auszuprobieren, darf er das. Ein Mitarbeiter dreht zum Beispiel nebenbei gerade einen Zombiefilm. Und wenn jemand nur nachts arbeiten kann, weil er sich tagsüber um seine Familie kümmern muss, geht das auch in Ordnung. Aber jeder muss in der Lage sein, selbstständig zu arbeiten und Eigenverantwortung zu übernehmen. Das ist für mich beim Einstellungsgespräch wichtiger als eine Fachausbildung oder ein Universitätsabschluss. "Little Big Planet" durchweht ein Hauch von Punk. Siehst du dich in dieser Tradition? Kann man schon sagen. Zumindest habe ich nebenher immer in schlechten Bands gespielt. Die Do-it-yourself-Philosophie, die sich in "Little Big Planet" wiederfindet, war auch in der Punk-Bewegung ein wichtiger Aspekt. Dass Gamer ihre eigenen Level bauen sollten, war eine der ersten Grundsatzentscheidungen, die wir getroffen haben. Für mich hat das aber vor allem etwas mit Kindheitserinnerungen zu tun: Jeder hat doch früher aus Pappe oder Holz etwas gebastelt. Daran wollte ich anknüpfen und dieses Hochgefühl, das einen überkommt, wenn man etwas mit eigenen Händen erschaffen hat, unter die Leute tragen. In "Little Big Planet" sollen Menschen, die nicht mehr auf die Idee kämen, so hemmungslos kreativ zu werden wie in ihrer Kindheit, wieder zu dieser Schöpfungskraft zurückfinden. Bist du selbst jemand, der seine Freizeit vor allem im Hobbykeller verbringt? Nicht mehr so viel wie früher. In den letzten Jahren habe ich die meiste Zeit mit der Arbeit an Videospielen verbracht. Aber ich habe vor, in dieser Hinsicht wieder aktiver zu werden. Vor sechs Monaten haben meine Frau und ich nämlich unseren ersten Sohn bekommen. Für ihn werde ich als erstes ein Rennauto aus Pappkartons bauen. Und ich möchte ihn dazu ermutigen, so kreativ wie möglich zu sein. Deine Spiele bringen Spieler dazu, Tränen zu lachen. Ist Humor ein Teil deines Naturells? Ich glaube, die richtige Bezeichnung für mich wäre "manisch-depressiv". Ich habe aber eine Schwäche für den Humor von Monty Python. Ich mag auch Slapstick-Komödien und die Filme von Charlie Chaplin. Und ich habe schon immer versucht, meinen Spielen eine Dosis Spaß zu verabreichen. In "Dungeon Keeper", für das ich damals die Grafik gestaltet habe, kann man den Kreaturen zum Beispiel eine klatschen, damit sie schneller laufen. Außerdem habe ich Kinder sehr gern. Ich liebe es, sie zum Lachen zu bringen. Kinder besitzen einen ganz eigenen Sinn für Humor, der sehr viel mit Slapstick gemein hat und sich in meinen Spielen wiederfindet. Ich denke, in meinem Herzen bin ich selbst noch ein großes Kind ... ... das nun ein kleines Kind erziehen soll. Meine Frau wird schon dafür sorgen, dass ich die Balance finde. Sie kann mir ja eine klatschen, falls ich zu infantil bin, wenn gerade die Rolle des ernsten Familienvaters gefragt ist. Deine manische Depression, von der du gerade gesprochen hast: Wie äußert sich die? Ich habe starke Stimmungsschwankungen von "himmelhoch jauchzend" bis "am Boden zerstört". In letzter Zeit ist das etwas besser geworden. Aber es kommt hin und wieder vor, dass ich auch während der Arbeit extrem schlecht gelaunt bin und alle um mich herum das abkriegen. Ich versuche, dagegen anzugehen, indem ich einen möglichst objektiven Blickwinkel einnehme, auf mich he-rabschaue und mir sage: "Mark, du bist heute wieder ein echt übel gelaunter Sack. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Reiß dich zusammen!" Dass "Little Big Planet" so ungemein beliebt ist, hilft dir in diesen Momenten nicht? Nein, das spielt dann keine Rolle. Ich bin zwar sehr stolz auf "Little Big Planet", aber letztendlich ist es nur ein Spiel. Es ist kaum in der Lage, irgendeines der wirklichen Probleme auf dieser Welt zu lösen. Es bringt mich immer zum Lachen, wenn Entwickler über ihr Spiel sprechen, als hätten sie ein Mittel gegen Krebs entdeckt. Natürlich sind Videospiele Teil der Kultur und erfüllen eine Aufgabe, aber sie sind nicht von so großer Bedeutung, wie viele es darstellen. Kommen wir zurück zum Thema Kindheit. Erinnerst du dich noch, womit du dich damals am liebsten beschäftigt hast? Meine frühesten Kindheitserinnerungen sind die ans Zeichnen. Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Stift und Papier. Ich habe Arenen mit Hunderten von kämpfenden Gladiatoren und Monstern gezeichnet. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist das eher beunruhigend. Ich habe auch Spinnen gezeichnet, obwohl ich eine Heidenangst vor ihnen habe. Keine Ahnung, was das bedeutet. Ansonsten waren meine Freunde und ich viel draußen und haben Streiche gespielt: nachts an Haustüren klopfen und sich dann verstecken ... solche Sachen. Für uns war es sehr reizvoll, die Grenze zwischen Spaß und Gefahr auszuloten. Auch in der Schule ging es mir vor allem darum, Spaß zu haben. Und wann traten Videospiele in dein Leben? Da muss ich 14, 15 Jahre alt gewesen sein. Ich bekam einen Commodore 64 zu Weihnachten geschenkt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich meinen Freunden davon erzählt habe, was ich mit ihm anstellen würde - noch bevor ich ihn in überhaupt in den Händen hielt. Mein genialer Plan: "Space Invaders" mit Penissen statt Aliens! Die Vorstellung, eigene Spiele zu programmieren, war für mich von Anfang an viel interessanter, als die Spiele anderer zu spielen. Der Computer ist das perfekte Werkzeug, mit dem sich meine Visionen realisieren lassen. Warum? Es gibt die "Rückgängig"-Taste! Und so die Möglichkeit, viele Dinge risikofrei auszuprobieren, ohne vorher wissen zu müssen, was man eigentlich erreichen will. Als ich anfing, auf dem C64 zu programmieren, erschien es mir wie Magie, dass ich in der Lage war, diese bunten, leuchtenden Gebilde über meinen Fernsehbildschirm schweben zu lassen. Meine Liebe zum Computer ging sogar so weit, dass ich mein Grafikdesign-Studium nach einem Jahr abbrechen musste, weil ich den Rest meines Stipendiums für ein Diskettenlaufwerk ausgegeben hatte. Das musste ich unbedingt haben. Was war das erste Spiel, das du auf dem Commodore 64 programmiert hast? Ein Textadventure mit dem Titel "Agoraphobia". Der Spieler übernimmt die Rolle eines armen Kerls, der panische Angst davor hat, seine Wohnung zu verlassen. Da jedoch nichts mehr zu essen im Haus ist, muss er einen Weg finden, seine Phobie irgendwie zu überwinden. Nachdem er alles Mögliche versucht hat, bleibt ihm am Ende nichts anderes übrig, als sich im Klo runterzuspülen. Von "Agoraphobia" habe ich auf dem Schulhof zwei Exemplare verkauft. Und nun arbeitest du bereits seit zwei Jahrzehnten in der Computerspielbranche. Was ist heute anders als damals? Die Industrie ist riesig geworden. Und ich denke, sie befindet sich gerade in der Übergangsphase zum Erwachsenwerden. Spieler und Spielentwickler beginnen zu erfassen, was in diesem Medium alles möglich ist. Einer, der sich dessen offensichtlich bewusst ist, ist Peter Molyneux, der mit Spielen wie "Dungeon Keeper", "Black And White" und "Fable" immer wieder Gespür für Vision gezeigt hat. Du warst an der Entwicklung dieser Spiele beteiligt. Kann man sagen, dass Peter Molyneux eine Vaterfigur für dich war? In gewisser Weise stimmt das. Aber Peter wäre wohl beleidigt, wenn ich ihm das sagen würde, denn er ist gar nicht so viel älter als ich. Ich respektiere ihn sehr und habe unheimlich viel von ihm gelernt. Als ich 1994 bei seiner Firma Bullfrog anfing, war man dort gerade damit beschäftigt, das Spiel "Theme Park" fertig zu stellen. Ich war ein junger, aufmüpfiger Punk, hatte Probleme mit Autorität und habe mich auch Peter gegenüber ziemlich arrogant verhalten. Kann sein, dass ihm das gefallen hat. Denn er hatte bereits den Erfolg von "Populous" vorzuweisen und war von Leuten umgeben, die ihm nach dem Mund redeten. Ich habe von Peter gelernt, dass es notwendig ist, einem Team so viele Freiheiten wie möglich zu lassen. Nur so entwickeln sich brillante Ideen, die ein gutes Spiel auszeichnen. Das Talent von Menschen wie Peter oder Shigeru Miyamoto besteht darin, die Energie des Teams zu bündeln und ihr eine Richtung zu geben. Die allgemeine Stimmung bei Bullfrog war damals jedoch durchwachsen. Was war los? Bullfrog sollte an Electronic Arts verkauft werden. Die Lage spitzte sich derart zu, dass es Peter zeitweise verboten war, sein eigenes Studio zu betreten. Damals zeichnete sich bereits ab, dass er Bullfrog verlassen würde. Wir haben daher in einer kleinen Gruppe bei Peter zu Hause gesessen und einfach weitergearbeitet. Ich hatte damals sehr starke Rückenprobleme und habe zur Schmerzdämpfung eine Menge Marihuana geraucht. Das war eine schöne Zeit! Dann hat er das Studio Lionhead gegründet. Richtig. Und wir begannen sofort mit der Arbeit an "Black And White". Wir waren eine kleine, eingeschworene Familie - so wie Media Molecule heute. Leider blieb das nicht lange so. Nachdem "Black And White" veröffentlicht worden war, wuchs die Mitarbeiterzahl bei Lionhead auf rund 200 Leute an. Das war weniger gemütlich. Zum Glück ließ mich Peter weitgehend machen, wozu ich Lust hatte. Aus diesem Freiraum heraus entstand "Rag Doll Kung Fu". Ich wollte mir beweisen, dass ich nicht nur als Grafiker gut war, sondern auch ein Spiel programmieren konnte. Wie damals auf dem C64. Dir wurde erlaubt, "Rag Doll Kung Fu" als Independent-Titel zu veröffentlichen, obwohl du nach wie vor bei Lionhead gearbeitet hast. Ja, das war verdammt ungewöhnlich! So etwas kommt in der Branche eigentlich nicht vor. Es bestehen vertragliche Regelungen, nach denen alles, was du während deiner Arbeits- oder Freizeit entwickelst, automatisch deinem Arbeitgeber gehört. Das hemmt Kreativität, und das ist einer der Gründe, warum wir bei Media Molecule auf solch eine Klausel verzichten. In "Rag Doll Kung Fu" spielt das "Ch'i" - die Vorstellung einer den Körper durchfließenden Lebensenergie - eine große Rolle. Woher das Interesse für fernöstliche Philosophie? Die Inspiration dazu verdanke ich einem der prägendsten Erlebnisse meines Lebens. Eines, das ich nicht anders als religiös beschreiben kann. Und ich bin eigentlich ganz und gar kein religiöser Mensch. Lass hören! Wie gesagt, hatte ich damals höllische Rückenschmerzen. Doch alle Ärzte, die ich aufsuchte, haben mir nur Schmerzmittel verschrieben. Ich begann nach Alternativen zu suchen. Ich fing an zu meditieren, bekam Akupunktur und lernte Kung-Fu. Davon war ich wie besessen. Eines Abends kam ich nach einer Kung-Fu-Stunde nach Hause und fühlte mich seltsam. Ein wenig, als ob ich Drogen genommen hätte. Als ich im Badezimmer in den Spiegel sah, hatte ich dann so etwas wie eine außerkörperliche Erfahrung: Ich sah mir von außen dabei zu, wie ich wieder und wieder dieselben Kung-Fu-Bewegungen ausführte. Es war erschreckend. Es war, als hätte sich durch all die verschiedenen Praktiken, die ich gegen meine Schmerzen eingesetzt hatte, unheimlich viel Energie in meinem Körper angestaut. Zu viel Energie. Und die musste raus. Gedanken und Erinnerungen an meine Kindheit begannen immer schneller in meinem Kopf zu kreisen. Ich begann zu zittern, zu lachen und zu weinen. Und auf einmal spürte ich, wie so etwas wie ein böser Atem meinen Körper verließ. Als ich danach wieder tief einatmete, fühlte es sich an, als würde sich mein ganzer Körper mit Licht füllen. Und mir war auf einmal mit großer Klarheit bewusst, was für ein fantastisches Geschenk es ist, am Leben zu sein. Ich hatte das Gefühl, mich endlich daran erinnern zu können, wer ich wirklich bin. Ich war wie neu geboren. Schön. Ja. Und als ich am nächsten Morgen zur Arbeit ging, fühlte ich mich immer noch so lebendig. Die anderen bei Lionhead haben mich gefragt, was mit mir los sei, und einige dachten sicher, ich sei verrückt geworden. Vielleicht hatten sie Recht, aber mir ging es besser denn je. Ganz ehrlich: Eine Woche lang war ich fest davon überzeugt, ich sei Jesus. Dieses Erlebnis hat mich grundlegend verändert. Seither möchte ich durch meine Arbeit etwas von dieser positiven Energie an andere abgeben. Mark Healey, 38, programmiert seit seiner Jugend Computerspiele. Sein erster kommerzieller Auftrag ist die C64-Umsetzung des Spiels "KGB Super Spy" für die Firma Codemasters. Nachdem ihm Peter Molyneux 1994 einen Job in seinem Entwicklerstudio Bullfrog gibt, erstellt er Grafiken für die Spiele "Theme Park", "Magic Carpet" und "Dungeon Keeper". Als Molyneux 1997 sein neues Studio Lionhead gründet, ist Healey einer der ersten Mitarbeiter. Gemeinsam mit Molyneux arbeitet er an "Black & White" und "Fable". In seiner Freizeit programmiert Healey währenddessen das Beat'em-up "Rag Doll Kung Fu" - das erste Independent-Game, das auf der Downloadplattform Steam veröffentlicht wird. Durch den Erfolg von "Rag Doll Kung Fu" ermutigt, verlässt Healey 2006 die Lionhead Studios und gründet seine Firma Media Molecule. Gleich mit seinem ersten Spiel - dem exklusiv für Sonys Playstation 3 entwickelten "Little Big Planet" - landet das Studio einen Welterfolg. Mark Healey lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in England.
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von Volker Hansch / Mai 10th, 2009 /

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