Sleep Is Death

Sleep Is Death

Wie könnte ein Computerspiel aussehen, in dem sich zwei Spieler gegenseitig eine Geschichte erzählen? Was würde passieren, wenn sich einer gegen die Fantasie des anderen auflehnt? Der Entwickler Jason Rohrer hat ein Game geschaffen, das diese Fragen beantwortet – und noch dazu unglaublich viel Spaß macht pc | mac | linux download Getestet PC | Entwickler & Publisher Jason Rohrer | Termin erschienen | Preis Was es einem wert ist (mindestens 1,50 Euro) | USK nicht geprüft | Spieler 2 | URL http://sleepisdeath.net Eva isst den Apfel nicht. Lessings Nathan der Weise hat keine Lust auf Drama und bittet einen Dschinn, ihn irgendwohin zu zaubern, wo es interessanter ist. Ein Schlangengott beschwört ein sprechendes Schnitzel, das daraufhin eine Mittagspause fordert. Das sind Geschichten, die das Spiel „Sleep Is Death“ erzählt – oder besser: erzählen lässt. Denn das neue Game von Jason Rohrer ist ein Werkzeug, mit dem die Spieler selbst Spiele erfinden können. Eine Art digitales Lagerfeuer. Jason Rohrer, die Ein-Mann-Spielewerkstatt, hatte schon immer ganz eigene Vorstellungen davon, wie ein Computerspiel auszusehen hat: Das bekannteste, „Passage“, dauerte exakt fünf Minuten, und der Spieler konnte dessen Spielverlauf nur unwesentlich beeinflussen. Dafür konnte er hinterher wunderbar über seine eigene Existenz philosophieren. „Passage“ war eher eine Analogie auf das Leben als ein Spiel. „Sleep Is Death“ ist eher Theaterstück als Game. Es wird per Netzwerk oder über das Internet gespielt. Einer der Spieler ist ein ganz normaler Spieler, der seine Figur mithilfe der Maus bewegt, Sprechblasen mit Text füllt und in Point-&-Click-Manier Aktionen ausführt. Der andere Spieler ist das Spiel. Er tritt an die Stelle der künstlichen Intelligenz, die normalerweise das Geschehen steuern würde. Er erschafft in einem Editor mit ein paar Mausklicks aus Pixelblöcken Schauplätze, Gegenstände und Spielfiguren. Er kontrolliert die Szenerie, die Musik, das Personal und alles, was sonst noch passiert. „Sleep Is Death“ liefert zwar einige Kulissen mit: eine Gerichtsverhandlung zum Beispiel oder den biblischen Sündenfall, aber es ist dank der rudimentären 8-Bit-Grafik und vielen hilfreichen Funktionen und Schaltflächen des Editors nicht schwer, eigene zusammenzubasteln. Gespielt wird abwechselnd: Was der eine Spieler im Editor zusammenbaut, schickt er per Mausklick auf den Bildschirm des anderen. Dieser reagiert darauf und schickt das Resultat wieder zurück. So wird die Geschichte Stück für Stück und Bild für Bild weitererzählt. Speichern oder rückgängig machen lässt sich nichts, alles ist vergänglich. Dabei sitzt der Spieler mit dem Editor am längeren Hebel. Er kann die Spielwelt beliebig verändern oder seinen Spieler in ein komplett anderes Szenario transportieren, wenn ihm das alte langweilig wird. Auch das erfordert nur ein paar Mausklicks im Editor. Für mehr ist sowieso keine Zeit: Der Spieler und der Spieler, der das Spiel spielt, haben jeweils nur 30 Sekunden für ihren Zug. Das ist wenig, wenn man gerade mit- und gegeneinander eine Geschichte erzählt – aber genau diese Beschränkung hält die Handlung im Fluss. Sie macht sie ein Stück weit unberechenbar, oder besser: unprogrammierbar. Jason Rohrers neues Werk ist eine kleine Revolution, ein Aufruhr gegen das Gewöhnliche und eine Liebeserklärung an den Menschen. Wo eine digitale Intelligenz völlig überfordert wäre, wird „Sleep Is Death“ erst interessant: wenn die Geschichte aus den Fugen gerät, weil einer der Spieler nicht wie vorgesehen agiert. Wenn er gegen die Story rebelliert und beide Seiten gegen- oder miteinander eine Geschichte improvisieren müssen. Wenn Eva, statt den Apfel zu essen, Adam petzt, dass sie von einer Schlange belästigt wird, und dieser versucht, die Schlange zu verprügeln, woraufhin diese sich in ein Mädchen verwandelt. Wenn plötzlich eine Horde bewaffneter Nonnen auftaucht oder mit einem Mal ein brennender Baum im virtuellen Schlafzimmer des Spielers steht. Das ist nicht nur der Punkt, an dem „Sleep Is Death“ seine Mini-Revolution lostritt, es ist auch derjenige, in dem Jason Rohrers Botschaft versteckt ist – denn Rohrer wäre nicht Rohrer, wenn er nicht eine Botschaft hätte. Dieses Mal lautet sie: Noch auf lange Zeit kann keine künstliche Intelligenz die menschliche ersetzen. Dem Chaos ist der Code noch nicht gewachsen. „Sleep Is Death“ ist der Beweis.
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von Volker Hansch / Juni 6th, 2010 / 4 Kommentare

4 Kommentare

  1. mp3 sagt:

    Die Idee ist an und für sich ja alt. Angefangen beim klassischen, spielerischen Erzählen über Konzepte wie Pen’n’Paper und interaktives Rollenspiel bis hin zu deren elektronischen Adaptionen… Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Neverwinternights zBsp. einen Multiplayer mit klassischem Spielleiter der Raum, Charaktere und Objekte sowie Kommunikation steuern konnte. Andere Schritte in die Richtung finden sich bei http://www.zombiemaster.org/about.php oder anderen Community-Projekten.

    Interessanter wäre es eigentlich, wenn Spieler und Spielleiter tatsächlich auf eine Stufe gehoben werden und sich auf Handlungseben ebenbürtig sind. Besonders wenn es um die Veränderung des Spiel-Raum geht. Wir haben da mal eine Art Portal-Spieler vs. Spielleiter – Idee gehabt: http://bit.ly/90qY9D

  2. Tino sagt:

    Diese Möglichkeit gab es glaube ich auch im ersten Vampire The Maskerade. Hab es damals aber nie getestet. Hab mir das Spiel jetzt hier mal gekauft aber hab noch keinen der es mit mir spielt ^^

  3. BIGBen sagt:

    Ich zögere noch, es mir zu holen, weil ich befürchte, dass ich keinen (vernünftigen oder dauerhaften) Mitspieler finden werde.

    Kann man auch online mit zufälligen Spieler spielen?

  4. Groucho Marx sagt:

    Macht tatsächlich jede P&P-Versoftung grafisch ansprechender und facettenreicher. Vampire, Neverwinter Nights, etc. Allerdings ist die Dynamik bei Sleep Is Death das herrausragende. Man improvisiert eben zügig vor sich her…das ist durchaus ein Element, dass bei komplexeren Spielen mit Gamemaster fehlt. Dafür gibts hier auf Spielerseite kein gruppendynamisches Element. Bin mir noch nicht ganz sicher, was davon zu halten ist…